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Krebsgefahr durch Munition – ein Tauchroboter aus Kiel gibt Hoffnung für die Ostsee


Schleichende Krebs-Gefahr
Wie ein Roboter die Ostsee von Munitionsbergen befreien soll

Von Sven Raschke

Aktualisiert am 08.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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Exemplare des so genannten Crawlers existieren bereits und sind seit einigen Jahren in Norwegen im Einsatz, um dort etwa Ölplattformen zurückzubauen.Vergrößern des Bildes
Exemplare des sogenannten Crawlers existieren bereits und sind seit einigen Jahren in Norwegen im Einsatz, um dort etwa Ölplattformen zurückzubauen. (Quelle: SeaTerra/leer)

Kiels Küste ist wie die gesamte Nord- und Ostsee von Munitionsbergen verseucht. Bisherige Räummethoden scheitern an der puren Menge. Ein neuartiger Roboter lässt eine komplette Bergung erstmals realistisch erscheinen.

Geschätzte 1,6 Millionen Tonnen Bomben und Munition liegen in Nord- und Ostsee begraben. Eine der größten Deponien befindet sich in der Kolberger Heide direkt vor der Kieler Förde. Die verrottenden Altlasten aus den Weltkriegen sind buchstäbliche Zeitbomben für das Ökosystem. Mit den bisherigen Methoden ist die Räumung praktisch nicht zu schaffen. Zusammen mit dem Kieler Meeresforschungsinstitut GEOMAR arbeitet ein Hamburger Unternehmen deshalb an einem Unterwasserbagger, der die komplette Bergung erstmals realistisch erscheinen lässt.

Riesige Munitionsberge vor Kiels Küste

Welches Ausmaß die Munitionshalden am Meeresgrund einnehmen, hat eine im Herbst 2020 gestartete Forschungsexpedition in der westlichen Ostsee unter der Leitung des GEOMAR-Instituts jüngst noch einmal deutlich gemacht. Bei der Expedition wurde auch neue Technik erprobt. "Luise" und "Anton" getaufte autonome Unterwasserfahrzeuge fotografierten den Meeresgrund ab und nahmen magnetische Messungen vor. Von der Effektivität der Roboter waren selbst die Forscher überrascht.

"Die Kolberger Heide ist wirklich massiv belastet, das sind richtige Munitionsberge", sagt Professor Jens Greinert, Leiter der Arbeitsgruppe Tiefsee-Monitoring am GEOMAR. "Und auch in der Lübecker Bucht haben wir erhebliche Mengen an Munition gefunden, die außerhalb bekannter Belastungsflächen liegt. Damit konnten wir erneut nachweisen, dass die auf Seekarten vermerkten Gebiete nicht vollständig sind."

Die Bestandsaufnahme ist noch längst nicht abgeschlossen. Weitere Expeditionen in diesem und im kommenden Jahr sind bereits geplant, vor allem auch, um "Luise" und "Anton" weiter zu testen und zu verbessern.

Eine schleichende Krebs-Gefahr am Meeresgrund

Die Munition vor Kiels Küste hatten nach dem Zweiten Weltkrieg die Alliierten dorthin befördert. Aus dem Auge aus dem Sinn, mag man sich damals gedacht haben. Doch das rächt sich nun. Zum einen stellt die teils noch explosionsfähige Munition eine Gefahr für Bauarbeiten dar, wenn etwa ein Offshore-Windpark entstehen soll. Alte Minen könnten laut Greinert manövrierunfähige Schiffe gefährden. Auch ein Missbrauch durch Terroristen ist für den Forscher denkbar.

Die größte Gefahr aber besteht für Umwelt und Mensch, wenn die rostenden Halden sich langsam auflösen und der enthaltene Sprengstoff sich im Meer verteilt. "Die Sprengstoffe sind krebserregend und könnten über Muscheln und Fische auch in die Nahrungskette des Menschen gelangen", erklärt Greinert. "Noch ist es zwar nicht so weit – aber wir wissen nicht, wie schnell sich das ändert."

Mehr als 20-mal effizienter als bisherige Methoden

Die bisherigen Räummethoden sind umständlich und langwierig. "Es werden entweder Taucher oder ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge eingesetzt", erklärt Torsten Frey, Projektwissenschaftler am GEOMAR. Das Bergen großer Mengen sei auf diese Weise aber nicht effizient möglich.

Einen deutlichen Effizienzsprung verspricht ein Projekt der nahe Hamburg gelegenen Firma Sea Terra. Das auf Kampfmittelräumung spezialisierte Unternehmen arbeitet mit Unterstützung des Kieler GEOMAR-Instituts am eingangs erwähntem Unterwasserbagger. Exemplare des sogenannten Crawlers existieren bereits und sind seit einigen Jahren in Norwegen im Einsatz, um dort etwa Ölplattformen zurückzubauen. "Die Technik ist also schon vorhanden und müsste nur noch für den Einsatz zur Kampfmittelräumung in Nord- und Ostsee modifiziert werden", sagt Dieter Guldin, Leiter Projektmanagement bei Sea Terra.

Die größte Herausforderung sei dabei die Strömung, so Guldin. Gegen die hilft das Gewicht des Baggers. Neun Tonnen schwer würde das Fahrzeug von einem Schiff auf den bis zu 40 Meter tiefen Grund in Nord- oder Ostsee abgelassen, um dort auf Gummiketten seinen ferngesteuerten Räumdienst anzutreten. "Der Crawler kann auch bei vier bis fünf Knoten Strömung zuverlässig arbeiten, und das rund um die Uhr, Tag und Nacht", erklärt Guldin. Eine Pumpe saugt störenden Sand fort, ein Greifarm befördert Munition oder Bombe anschließend in einen Korb. Bis zu 50 Objekte am Tag soll der Bagger so einsammeln können. "Bei der konventionellen Räumung schafft man zwei oder drei Objekte am Tag", so Guldin.

Problematisch würde es dann, wenn die Gefahr bestünde, dass die betagten Kampfmittel beim Einsammeln explodieren. Dann müssten doch wieder konventionelle Methoden her. Also entweder das fragile Objekt mithilfe von Luftsäcken an die Oberfläche heben und auf einer Sandbank sprengen. Oder, wenn selbst das zu gefährlich ist, die Sprengung am Meeresgrund. "Das will man aber nach Möglichkeit vermeiden, um das Meer nicht zu verschmutzen und Fische und Meeressäuger nicht zu gefährden", sagt Guldin.

Wirtschaftsministerium soll Entwicklung fördern

Zwei Millionen Euro kostet der Meeresbagger. In den nächsten Tagen wollen Sea Terra und das GEOMAR-Institut gemeinsam einen Antrag auf Förderung beim Wirtschaftsministerium einreichen. "Ich schätze es als wahrscheinlich ein, dass der Antrag angenommen wird", sagt Professor Greinert vom GEOMAR. "Das Feedback, das wir bisher aus dem Ministerium bekommen haben, ist positiv." Geht alles gut, könnte der Bagger-Roboter ab 2023 in Nord- und Ostsee abtauchen.

"Beim Antrag um die Förderung geht es aber nicht nur um die Anschaffung und Modifizierung, sondern auch um die Erforschung, wie effizient die Methode überhaupt ist – und auch wie teuer das Ganze am Ende wird", so Guldin. Denn dafür – und wie lange es letztlich dauern würde, 1,6 Millionen Tonnen Munition aus Nord- und Ostsee zu entfernen – gebe es bisher noch keine Erfahrungswerte.

Professor Greinert wagt ein Prognose: "Wenn die Technik sich in den nächsten Jahren bewähren sollte, könnte man bis 2050 sicher 90 Prozent der uns bekannten Gebiete räumen. Es wäre nur noch eine Frage der Anzahl der Roboter. Dann steht dem nichts mehr im Wege, außer dem Willen und den Finanzen."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Professor Jens Greinert, Leiter der Arbeitsgruppe Tiefsee-Monitoring am Geomar
  • Torsten Frey, Projektwissenschaftler am Geomar
  • Dieter Guldin, Leiter Projektmanagement bei Sea Terra
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