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Verstecktes Mädchen in Attendorn: War das Jugendamt überlastet?


Zum Fall in Attendorn
War das Jugendamt überlastet?

Von Florian Eßer, Laura Isabel Schameitat

Aktualisiert am 17.11.2022Lesedauer: 3 Min.
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Links liegen gelassen (Symbolbild): Das Jugendamt kommt vor allem in NRW nicht mit der Arbeit hinterher. (Quelle: Christoph Hardt via www.imago-images.de)

Im Fall des versteckten Mädchens aus Attendorn rückt das Jugendamt immer mehr in den Fokus. Das Beispiel legt strukturelle Schwachstellen bei den Ämtern offen.

Seit der Fall des Mädchens publik geworden ist, das von seiner Mutter in Attendorn gefangen gehalten wurde, steht vor allem das zuständige Jugendamt in der Kritik. Demnach habe es schon früh Hinweise auf das Schicksal des Kindes gegeben, es seien sogar anonyme Briefe beim Jugendamt eingegangen. Gehandelt wurde aber erst jetzt, das Entsetzen ist groß.

Auch in Lüdge gab es Kritik an Jugendamt und Polizei

Dabei ist das Versäumnis des Jugendamtes in Attendorn kein Einzelfall. Bereits bei den Ermittlungen zum Missbrauchskomplex von Lüdge war das Jugendamt 2019 in die Bredouille geraten. Damals wurden drei Männer angeklagt, die in der Kleinstadt im Kreis Lippe hundertfachen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen begangen haben sollen. Alle Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Bis dahin hatte das Martyrium der Kinder, die auf einem Campingplatz missbraucht wurden, schon zehn Jahre angedauert.

Auch hier hätten die Verbrechen viel früher enden können: Bereits 2002 gab es einen Vermerk bei der Polizei, dass der spätere Hauptangeklagte ein Mädchen missbraucht haben soll. 2016 wurde das Jugendamt darauf aufmerksam gemacht, dass es auf dem Campingplatz womöglich zu pädosexuellen Straftaten komme. Aber wie in Attendorn, so in Lüdge: Nichts geschah.

Jugendämter sind besonders in NRW überfordert

Diese Beispiele zeigen nicht einfach nur menschliches Versagen aufseiten der Behördenmitarbeiter. Vielmehr offenbaren sie ein strukturelles Problem aus Personalmangel, Überlastung und Überforderung. Aber das ist nicht neu.

Bereits 2018 präsentierte die Universität Koblenz eine bundesweite Studie, wohlgemerkt die erste ihrer Art, welche die "gefühlte" Überforderung vieler Ämter mit Daten und Statistiken untermauerte. Laut dieser Studie nämlich "betreuen 32 Prozent der Jugendämter viel mehr Kinder und Jugendliche, als sie laut dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) verantwortungsvoll bewältigen können."

So empfehle der ASD, dass ein Jugendamtsmitarbeiter maximal 35 Kinder betreuen solle. "Bei fast einem Drittel der Ämter sind es aber bis zu 100 Kinder und Jugendliche", heißt es weiter. Besonders "extreme Fälle von Überlastung" seien zudem in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen. Eben in jenem Bundesland, in denen Attendorn und Lüdge liegen (ebenso wie Wermelskirchen, ein weiterer Schauplatz des grausamen Missbrauchs von Kindern).

Zum Personalmangel kommt der Papierkram

Was die Studie auch zeigt, ist das Ausmaß der Bürokratie, das die ohnehin schon unterbesetzten Jugendämter bewältigen müssen. Die Dokumentation von Familienbesuchen und anderen Terminen verschlinge bis zu 63 Prozent der Arbeitszeit, so die Studie.

Demnach schaffe es nur jeder fünfte Sozialarbeiter, die elementar wichtigen Protokolle während oder noch am Tag der Gespräche mit möglichen Opfern oder Zeugen auszufüllen. So bleibe jeder zweite Fall schlichtweg unprotokolliert. "In manchen Fällen massiver Gewalt ist das eine lange Zeit – im Extremfall zu lange", so der Hessische Rundfunk in einem Artikel mit Bezug auf die Studie.

Kreis Olpe: 46 Fälle pro Sozialarbeiter

Wie aber sieht die Situation derzeit im Kreis Olpe aus? Wie eine Sprecherin auf Anfrage von t-online mitteilte, seien im zuständigen Bezirkssozialdienst derzeit 22 Personen tätig. Offene, unbesetzte Stellen gebe es keine. Und doch zeigt sich auch hier, dass die Arbeitsanforderungen deutlich über den Empfehlungen des ASD liegen. Weiter erklärte die Sprecherin des Kreises nämlich, dass jeder Mitarbeiter des Sozialdienstes im Durchschnitt 46 Fälle betreue. Elf mehr also, als der ASD als maximale Obergrenze empfiehlt.

In Reaktion auf den Fall aus Attendorn möchte das Jugendamt des Kreises Olpe nun seine Strukturen und Arbeitsabläufe überprüfen. Dafür habe es auch das Landesjugendamt um Unterstützung gebeten, so die Sprecherin. Zurzeit würden die Verfahrensstandards an die "erhöhten Anforderungen des Landeskinderschutzgesetzes NRW angepasst", hieß es weiter. "Als Vorgriff darauf wurde zwischenzeitlich angeordnet, dass jeder Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung künftig dem Vier-Augen-Prinzip unterliegt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Schriftliche Auskunft einer Sprecherin des Kreises Olpe
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