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Köln: JVA-Insassen spielt Fußball mit Inklusionsmannschaft


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Inklusionsmannschaft trifft JVA-Insassen
"Ich trage mein Gefängnis lebenslang mit mir herum"


06.09.2024Lesedauer: 5 Min.
Michelle auf dem Platz: Die 30-Jährige lässt sich nicht unterkriegen.Vergrößern des Bildes
Michelle auf dem Platz: Die 30-Jährige lässt sich nicht unterkriegen. (Quelle: Martin Henning)

Beim Fußballspielen Vorurteile und Berührungsängste abbauen: Insassen der JVA Köln-Ossendorf und die Inklusionsmannschaft des FC Germania Zündorf haben ein besonderes Projekt ins Leben gerufen.

Der Ball kommt zu Verena. Trotz Krücken und eines gerade heilenden Kreuzbandrisses nimmt sie die Kugel perfekt an. Jetzt steht sie dem Torwart im Eins-gegen-Eins-Duell gegenüber. Aber der Winkel zum Tor ist etwas spitz. Also legt sie blitzschnell quer auf Sabine (Name geändert), die locker einschieben kann. Treffer! Großer Jubel beim Team. Man würde nicht glauben, dass die Mannschaft erst kurz zuvor zusammengestellt wurde.

Es ist ein sonniger Septembertag in der JVA Ossendorf. Auf dem roten Gummiplatz kämpfen die Teams "Bora", "Ozeanien", "Frankreich" und "Die Knastbuddies" um den Turniersieg. Sie sind bunt durchmischt. Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen kicken zusammen mit inhaftierten Menschen – von U-Haft bis Langstrafe ist alles dabei. Heute findet das dritte und letzte Treffen statt, mit dem Turnier als krönendem Abschluss.

"Der Fußball leiht mir seine Beine"

Zwischen JVA und Inklusionsmannschaft hat es sich in kürzester Zeit eingespielt, das sagen alle Beteiligten. Eine, die beim Projekt besonders viel für den Teamgeist tut, ist Michelle. Die 30-Jährige ist aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen dauerhaft auf einen Rollator angewiesen. Doch davon lässt sie sich das Kicken nicht nehmen. Wenn Michelle spricht, entstehen Bilder im Kopf. "Der Fußball ist meine Leidenschaft, er leiht mir seine Beine, sein Herz", sagt sie. Und, bezogen auf das gemeinsame Projekt: "Es fühlt sich gar nicht an, wie gefangen zu sein. Hier verbindet sich ein Schicksal mit dem anderen."

"Wir haben sehr schnell zueinandergefunden", sagt Michelle über ihre neuen Teamkameraden. "Natürlich war ich am Anfang aufgeregt, wie es wohl sein würde im Gefängnis. Das hat sich aber ganz schnell gelegt." Und sie ergänzt: "Ich habe grundsätzlich keine Angst, auf andere Menschen zuzugehen."

Wunsch nach einem offenen Miteinander

Die Zeit in der JVA habe ihr einige Erkenntnisse gebracht, sagt Michelle. Sie habe gelernt, ihre Freiheit wertzuschätzen und darum zu kämpfen, den eigenen Weg weiterzugehen. "Und ich habe mich bestätigt gefühlt, dass ich nicht die Einzige bin, die für ihren Lebensweg kämpfen muss."

Sobald die Insassen entlassen würden, müssten sie "ihren Kampf führen – um die Anerkennung in der Gesellschaft. Genauso wie Menschen mit Beeinträchtigungen auch", sagt die 30-Jährige. "Ich würde mir ein offenes Miteinander wünschen, wo spannende Diskussionen und Geschichten ausgetauscht werden."

FC-Stiftung brachte die Teilnehmenden zusammen

Initiator des Projekts ist die FC-Stiftung, die schon länger mit der JVA zusammenarbeitet. Einmal im Jahr besuchen die Profifußballerinnen des 1. FC Köln die Anstalt. Ziel der Stiftung ist, Menschen Teilhabe zu ermöglichen, die sie sonst nicht haben. Da auch schon länger Kontakt zur Inklusionsmannschaft von Germania Zündorf bestand, war es nur eine Frage der Zeit, bis JVA und Germania zusammenkamen.

"Es sind Menschen wie du und ich"

"Am ersten Tag sieht man die Mauern und denkt sich: Wow, wo bin ich gelandet?", sagt Gökhan Erdek. Der 27-Jährige ist Trainer der Zündorfer Inklusionsmannschaft und hat mit seinem Team schon viele Projekte auf die Beine gestellt. So richtete er Anfang Juni die erste Inklusions-EM mit Mannschaften aus sieben Ländern aus. Am Anfang des aktuellen Projekts habe es durchaus Berührungsängste gegeben, sagt Erdek. "Aber es sind Menschen wie du und ich, die haben mal Scheiße gebaut, dafür sitzen sie ein. Wir spielen zusammen und hier gibt es keine Unterschiede."

Keiner seiner Spieler sei jemals zuvor in der JVA gewesen, sagt Erdek. Zudem hätten auch die meisten Insassen noch nie mit körperlich oder geistig beeinträchtigten Menschen zu tun gehabt. "Uns war es wichtig, Begegnungen zu schaffen und gleichzeitig Gemeinsamkeiten und Vielfalt in den Vordergrund zu stellen."

Welche Fähigkeiten der Fußball fördert

Das erhofft sich auch Ileana Wünsche vom Projekt. Wünsche ist Vertreterin Sport- und Freizeitkoordinator der JVA Ossendorf. Bei ihr trainieren Menschen, von denen einige sogar in der Bundesliga Fußball gespielt haben. Zu den prominentesten Inhaftierten gehörte in der Vergangenheit Deniz Naki, Ex-Profi unter anderem für den FC St. Pauli und den SC Paderborn.

Wünsche spielte selbst für den 1. FC Köln in der 2. Bundesliga und weiß, welche Fähigkeiten der Fußball fördern kann. "Die Insassen lernen, sich an Regeln zu halten, pünktlich zu sein und eine Vorbildfunktion einzunehmen", sagt die 39-Jährige. Nur wer sich im Haftalltag benehme, könne auch an solchen Veranstaltungen teilnehmen. "Beim Projekt sind auch Inhaftierte dabei, denen es guttut, auf andere Menschen einzugehen und die hier sehen: Es gibt Menschen, denen geht es schlimmer. Es ist ein guter Start, um zu sagen, ich mache jetzt mal was aus meinem Leben."

Viele der Inhaftierten würden Menschen mit Beeinträchtigungen auf der Straße nicht wahrnehmen, sagt Wünsche. "Durch das Projekt können wir sie wachrütteln und sagen: Es sind Menschen wie wir alle. Wir lassen bewusst gemischte Mannschaften spielen, sodass alle gemeinsam lernen, mit Fehlern und Schwächen umzugehen und Hürden zu überwinden." Sämtliche Teilnehmer aus der JVA hätten aber sehr offen auf das Projekt reagiert. "Für mich war emotional, wie die Inhaftierten auf die Fußballerinnen und Fußballer aus Zündorf eingehen."

"Wir sind zwar in Haft, aber wir sind auch nette Leute"

Ein Beispiel dafür sieht man abseits des Platzes. Immer wieder stehen Michelle und Ulf (Name geändert) zusammen. Hier haben sich zwei gefunden, das wird schnell klar. Ulf sitzt derzeit in U-Haft und wartet auf seine Verhandlung. "Weniger als fünf Jahre", das ist seine Hoffnung für das Urteil. Der 43-Jährige hat studiert, drückt sich überlegt aus und wirkt mit seiner freundlichen Ausstrahlung nicht so, wie man sich einen JVA-Insassen vorstellt.

"Viele der Menschen sind aufgrund einer Situation oder einer falschen Entscheidung hier", erzählt er. "Wir haben einen Querschnitt der Gesellschaft: Menschen mit hohem, geringem und keinem Bildungsabschluss. Es kann jeden treffen." Projekte wie jenes mit Germania Zündorf seien "unglaublich wichtig", betont er. "Man kann sich bewegen und sorgt für Begegnung und soziale Interaktion."

Berührungsängste beim Projekt habe er gar nicht gehabt, sagt Ulf. "Ich habe auch vorher schon mit Menschen mit Beeinträchtigungen zu tun gehabt. Und ich hatte eher das Gefühl, dass sich die Inklusion um uns Gefangene dreht. Dass wir eine Chance haben, zu zeigen: Wir sind zwar in Haft, aber wir sind auch nette Leute."

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Dabei habe er viele lustige, aber auch bewegende Momente erlebt, sagt der 43-Jährige. "Das hat mir noch einmal vor Augen geführt, was ich eigentlich alles in meinem Leben habe. Ich bin zwar inhaftiert, aber gesund." Dann stockt Ulf, es entsteht eine lange Pause. "Michelle hat mir gesagt: 'Du gehst hier irgendwann wieder raus. Ich trage mein Gefängnis ein ganzes Leben mit mir herum.' Das hat mich tief bewegt."

Am Ende gewinnen alle

Auf dem Platz wird derweil das Finale ausgetragen. "Ozeanien" und "Frankreich" stehen sich gegenüber. Nach einem spannenden Match gewinnt "Ozeanien" mit 3:2 und damit das Turnier. Am Ende dürfen sich aber alle als Gewinner fühlen. Für jeden Teilnehmenden gibt es eine Urkunde und ein Trikot des 1. FC Köln. Außerdem sind die Inklusionskicker und einige Insassen im November zu einem Heimspiel des FC eingeladen.

Ein gemeinsames Gruppenfoto schließt das besondere Projekt ab. Alle sind sich einig: Schon bald soll wieder gemeinsam in der JVA gekickt werden.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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