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Kölner Friseur über den Corona-Stillstand: "Das ist die pure Existenzangst"


Corona-Stillstand in der Branche
Kölner Friseur: "Verzweiflung treibt manche in die Schwarzarbeit"

Von Florian Eßer

Aktualisiert am 01.02.2021Lesedauer: 5 Min.
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Nils Ferrand, 29, ist Friseur in fünfter Generation. Durch die Krise sieht er seinen Berufszweig bedroht.Vergrößern des Bildes
Nils Ferrand (29) ist Friseur in fünfter Generation: Durch die Krise sieht er seinen Berufszweig bedroht. (Quelle: Stephan Haubrich)

Arbeiten ist im Lockdown für Friseure derzeit verboten. Helfen sollen Gelder vom Staat. Doch diese kommen nicht an. Viele Kölner Friseure stehen jetzt vor dem Aus und greifen zu drastischen Maßnahmen.

Dass der zweite Corona-Lockdown nun schon mehrere Wochen anhält, ist den Menschen mittlerweile anzusehen: Die Haare werden immer länger, viele fiebern der Wiedereröffnung von Friseurgeschäften ebenso freudig entgegen wie der von Gastronomie und Kultureinrichtungen. Wie den Menschen ihre Haare, wachsen den Friseuren in Köln dabei langsam die finanziellen Probleme über den Kopf. Wann sie ihre Salons wieder öffnen dürfen, ist nämlich noch nicht absehbar und auch mit den Hilfsangeboten sehe es derzeit dürftig aus, wie etwa Nils Ferrand erklärt. Der 29-Jährige ist Friseur in fünfter Generation, seine Familie ist seit 120 Jahren im Friseurhandwerk tätig.

2019 eröffnete Nils Ferrand seinen Salon "Scissors by Ferrand" auf der Severinstraße, mitten im Herzen der Kölner Südstadt. Üblicherweise geht es hier sehr geschäftig zu, viele Passanten kommen an dem breiten Schaufenster des Salons vorbei, das den Blick auf ein elegantes Interieur aus Kronleuchtern und einladenden Sofas freigibt.

"Viele Unternehmen nicht mehr in der Lage, in Vorkasse zu treten"

Die zentrale Lage des denkmalgeschützten Gebäudes, in dem sich der Salon befindet, macht sich Ferrand zufolge auch in seinen Mietkosten bemerkbar. So liege die Monatsmiete für das Ladenlokal warm bei rund 3.500 Euro – Fixkosten, die Ferrand auch in Zeiten des Lockdowns abgelten muss. Hinzukommen die Gehaltszahlungen für seine sechs Mitarbeiter. Diese erhalten zwar Kurzarbeitergeld, doch muss Ferrand jedes Mal in Vorkasse gehen, um das Geld für seine Beschäftigten beantragen zu können.

Der Friseurmeister sagt: "Viele Unternehmen sind aber gar nicht mehr dazu in der Lage, in Vorkasse zu treten". Außerdem reiche das Kurzarbeitergeld ohnehin nicht wirklich zum Leben aus: "Friseure haben eh kein sonderlich hohes Nettoeinkommen und wenn sie davon nur noch 60 Prozent kriegen, kann man sich ja ausrechnen, was bleibt". Schließlich würden Friseure auch ohne Pandemie ihre Fixkosten vom Gehalt bezahlen, leben aber vom Trinkgeld – das nicht in den Kurzarbeitsgeldern berücksichtigt wird.

Friseure haben keinen Anspruch auf Dezemberhilfen

Also wie die Rechnungen begleichen, wenn der Salon nicht öffnen darf und Kunden sowie Einnahmen ausbleiben?

Eine Frage, die derzeit viele Unternehmer umtreibt. Auf die Dezemberhilfen der Bundesregierung haben Friseure und viele andere Betriebe keinen Anspruch, da sie das zweifelhafte Glück genossen, den halben Dezember über arbeiten zu können. Stattdessen können Friseure auf das neue Förderprogramm, die "Überbrückungshilfe III", zurückgreifen – dieses falle laut Ferrand aber so spärlich aus, dass es die Kosten des Betriebes nicht einmal ansatzweise decken würde: "Ich werde vielleicht zwei- oder dreitausend Euro kriegen, das war's."

Ein weiteres Problem liege darin, dass die Überbrückungshilfe erst im Februar beantragt werden kann – obwohl Salons wie der von Nils Ferrand seit Mitte Dezember geschlossen sind. Wie der Friseur schätzt, werden die Auszahlungen der Mittel dann Mitte bis Ende März erfolgen. Bis dahin, erklärt er weiter, werden viele seiner Kollegen aber nicht überleben: "Ich kenne viele, die Insolvenz anmelden müssen. Es geht uns wirklich bescheiden und finanziell ist nicht mehr viel möglich."

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte der Deutschen Presse-Agentur Mitte Januar: "Die als Bazooka-Hilfen groß angekündigten Hilfen müssen endlich bei den Betrieben ankommen und dürfen nicht von Bürokratie ausgebremst werden."

Friseurmeisterin: Verlust von 200.000 Euro

Immer neue Kredite aufzunehmen sei schließlich auch keine Alternative – immerhin treibe das viele Menschen in die Überschuldung, was es dann auch zukünftig erschwere, finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Ein Teufelskreis und eine aussichtslose Situation, vor allem dann, wenn die eigenen Rücklagen und Ersparnisse bereits ausgeschöpft sind.

Ferrands Mutter ist ebenfalls Friseurmeisterin, sie betreibt insgesamt sieben Salons, deren Kosten sie in der Krise auch aus der eigenen Tasche begleichen musste. Wie Nils Ferrand erzählt, habe seine Mutter allein im vergangenen Jahr so einen Verlust von 200.000 Euro gemacht: "Sie ist 59 Jahre alt und was da verloren ging, war auch ihre Altersvorsorge. Wie soll sie das in dem Alter wieder reinholen?"

"Ich kann die Not der Menschen verstehen"

Ferrand gehe es aber nicht nur um seinen eigenen Laden, betont er, vielmehr gehe es ihm um die Grundsätzlichkeit: Auch bei seinen Kollegen, mit denen der Friseurmeister im steten Austausch steht, mache sich auf Grund der bedrohlichen Lage nämlich Frustration und Verzweiflung breit. Verzweiflung, die manchen sogar in die Schwarzarbeit treibt. Immer wieder hört man davon, dass sich Friseure zu illegalen Hausbesuchen hinreißen lassen, um ihren Kunden die Haare im heimischen Badezimmer zu schneiden.

Auch Nils Ferrand bekam schon derartige Anfragen, einmal wurden ihm sogar 150 Euro für einen Haarschnitt geboten: "Die Leute wollen uns ködern und uns dazu verlocken, auf solche Vorschläge einzugehen", erzählt er, "aber ich bitte alle darum, niemandem überhaupt erst solche Angebote zu unterbreiten."

Obwohl der Friseur solche Praktiken ablehnt, ringe ihm die Situation auch Verständnis für Kollegen ab, die schwach werden und auf Angebote zur Schwarzarbeit eingehen: "Gutheißen tue ich das auf gar keinen Fall, aber ich kann die Not der Menschen verstehen. Es geht ja auch darum, seinen Kindern etwas zu essen auf den Tisch zu stellen – das ist die pure Existenzangst, sie wissen nicht, was sie sonst tun sollen."

Dieses Bild bestätigt auch Handwerkspräsident Wollseifer: "Die Hilfen würden dringend gebraucht. Und zwar jetzt, weil sonst viele Betriebe den Lockdown nicht überleben werden. Die Politik muss ganz rasch die von ihr geweckten Erwartungen an die tatsächliche Lage anpassen, sonst droht viel Glaubwürdigkeit und Bereitschaft zur Unterstützung der Corona-Maßnahmen bei unseren Betrieben verloren zu gehen."

Mike Engels, Obermeister Friseur- und Kosmetikinnung Köln, und selbst Inhaber eines Salons, geht sogar noch weiter. Er sagte auf Anfrage von t-online: "Angesichts der fehlenden Hilfen wird meiner Schätzung nach ein Drittel der Kölner Salons das Ganze nicht überleben." In der Rheinmetropole gibt es etwa 1.300 Friseurbetriebe.

Um in der Krise nicht untätig zu sein, vertreibt Nils Ferrand auf seiner Website nun Haarpflegeprodukte. So soll wenigstens ein bisschen Geld in die Kasse fließen. Wie es jedoch auf lange Sicht weitergehen soll, weiß der 29-Jährige nicht: "Wie soll ich denn sonst Einnahmen generieren? Ich kann ja schlecht über das Internet Haare schneiden", sagt er nicht ohne Galgenhumor und fügt hinzu: "Wir Friseure wurden ja oft belächelt, aber bei so vielen Leuten, die uns fragen, ob wir ihre Haare nicht doch schneiden könnten, glaube ich mittlerweile, wir sind systemrelevant."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Nils Ferrand
  • Nachrichtenagentur dpa
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