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AfD in der Krise: Warum der Partei der eigene Erfolg zum Verhängnis wird


Tagesanbruch
Die Fassade bröckelt

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 03.07.2025 - 07:29 UhrLesedauer: 8 Min.
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AfD-Chefin Alice Weidel: Die Methoden, in der Partei an die Macht zu kommen, sind berüchtigt. (Quelle: IMAGO/Revierfoto/imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die rot-schwarze Koalition um Friedrich Merz brütete am Mittwochabend bei 38 Grad über Lösungen zum Strompreis und Erleichterungen für alle Haushalte. Kein leichtes Thema. Denn für Vergünstigungen müssen in Zeiten von knappen Kassen und Rekordverschuldung an anderer Stelle immer Späne fallen. Rund fünf Stunden diskutierten die Koalitionäre – um am Ende keine Lösung zu finden. Zumindest nicht für das Stromproblem. Ein anderes, umstrittenes Wahlgeschenk soll dafür früher umgesetzt werden. Aber dazu später mehr.

Die stärkste Oppositionspartei AfD hat derweil auch zu kämpfen – und zwar mit sich selbst. Bei mehreren Themen geht es um ihre DNA, ihr ureigenstes Selbstverständnis und die größten Versprechen an ihre Wähler. Gewaltig schwankt die in Teilen rechtsextreme Protestpartei dabei und hat sich über Jahre in eine für sie nicht ungefährliche Zone manövriert.

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Je älter, größer und erfolgreicher die Partei wird, desto weiter entfernt sie sich von ihrem Markenkern als "Alternative für Deutschland". Alles, wirklich alles, wolle sie anders machen als ihre Konkurrenten, postuliert sie seit 13 Jahren. Lange löste sie dieses Versprechen auch in einigen parteiintern wichtigen, aber nach außen kaum bekannten Punkten tatsächlich ein.

Doch ihr Erfolg birgt für die AfD eine Schattenseite, nämlich die Erkenntnis: Viele dieser Ideale sind gar nicht durchzuhalten, will man von politischer Relevanz sein. Noch dazu wollen AfD-Funktionäre einiges von dem, was sie dem Wähler versprechen, offenbar schon seit einer ganzen Weile gar nicht umsetzen. So langsam bröckelt die Fassade.

Beispiele gefällig?

Basisdemokratie vs. Hinterzimmer: Lange waren Parteitage der AfD im Vergleich zu denen anderer Parteien wild, verrückt, ehrlich. Funktionäre aus den tiefsten Tiefen der Basis standen Schlange an den Saalmikrofonen, brüllten die eigenen Vorstände an und taten auch sonst ohne jede Zurückhaltung ihre Meinung kund. Wer eine herausragende – in der Regel radikale – Rede hielt, die der Saal goutierte, konnte es bei der Aufstellung für wichtige Ämter völlig unabhängig von seiner Position in der Partei weit nach oben schaffen. Die AfD machte auf die Art zumindest eines wahr: Basisdemokratie großzuschreiben, normale Mitglieder stärker zu beteiligen, nah "am Volk" zu sein. Zumindest jenem Teil des Volkes, das die AfD wählt.

Für die Parteispitze aber sind solche Strukturen unangenehm, weil sie ein recht unkontrollierbares Pulverfass sind. Regelmäßig wird so unter den Augen der Presse an die Oberfläche gesprengt, was man als Spitze lieber verborgen gehalten hätte. Stück für Stück haben sich deswegen andere Strukturen etabliert, seit zwei Jahren circa haben sie sich vollkommen durchgesetzt. Nun werden bei der AfD, wie bei vielen anderen Parteien, bereits im Vorfeld eines Parteitags im Hinterzimmer die größten Probleme geklärt und Personallisten detailliert im Voraus abgekaspert.

Überraschungen, harte Gegenpositionen? Gibt's nicht mehr. Die Basis? Kaum noch von Bedeutung. Es sind Netzwerke von hochrangigen Funktionären, die in Parteivorständen, Landes- und Bundesparlamenten sitzen, die jetzt den Lauf bestimmen. Das macht die Partei professioneller, es entrückt sie aber auch von ihrer Basis. "Endlich Altpartei!", scherzten sie schon im Sommer 2023 auf einem Parteitag in Magdeburg, als die AfD ihre Kandidaten für die EU-Wahl erstmals relativ geräuschlos aufstellte. Seither hat sich diese Tendenz noch erheblich verstärkt.

Berufserfahrung vs. Berufspolitiker: Die AfD wollte eine Partei der Praktiker, der Berufstätigen sein, die Ahnung vom "echten Leben" und der Wirtschaft haben. Sie gab sich deswegen die unter deutschen Parteien einzigartige Regel, dass ihre Kandidaten für die Parlamente mindestens fünf Jahre lang außerhalb der AfD in einem Job gearbeitet haben müssen. Doch auch das ist vorbei: Inzwischen werden von dieser Regel immer wieder Ausnahmen gemacht, in manchen Fällen fälschten Kandidaten sogar ihre Lebensläufe – und wurden dennoch aufgestellt.

So erobern unter anderem immer häufiger Kandidaten, die zeitnah nach Schule oder Studium bei einem AfD-Abgeordneten in Lohn und Brot stehen, Plätze auf den Listen und in Ämtern der Partei. Arbeitserfahrung in der "echten Welt" haben sie nicht oder kaum. Das passiert auch im Umfeld der beiden AfD-Parteichefs – nicht zuletzt, weil die jungen Aufsteiger ihren Förderern treu ergeben, von ihnen abhängig und für deren Machterhalt nützlich sind. Parteifilz, würde die AfD selbst schimpfen. Wenn sie denn ehrlich wäre.

Unerbittlicher Kampf um attraktive Posten: Funktionäre, die sich von der Partei abwenden, kritisieren oft vor allem eines: Gier und aggressives Postengeschacher, bei dem Qualifikationen gar keine Rolle spielen. Machtkämpfe werden auch in anderen Parteien geführt, in der AfD aber geht man dabei mit besonders harten Bandagen gegeneinander vor. Rechtsextremismus – das ist eben nicht nur eine Gesinnung, die den Staat verachtet, sondern im Zweifel auch das Wohlergehen der eigenen Parteikollegen mit Füßen tritt.

Immer wieder hört man aus dem Umfeld der Partei von Lügen, Erpressung, Bestechung und Attacken, die sich sogar gegen die Familien parteiinterner Kritiker richten. Nur über einen Bruchteil davon kann die Presse berichten, weil die Betroffenen den Medien nicht genug vertrauen oder sich vor Konsequenzen fürchten. Als "Verräter" oder "Feindzeuge" stehen Interne sofort da, wenn sie Probleme der Partei auch nur ansatzweise öffentlich machen. Für die AfD ist das ein großes Glück, für ahnungslose Wähler ein großes Pech.

Geld und Komfort: Die Parteichefs der AfD beziehen für diesen Posten kein Gehalt. Stolz ist man darauf, gern pochen AfDler nach außen darauf: Parteiämter seien Ehrenämter. Was sie in der Regel nicht verraten: Weidel und Chrupalla sind in Personalunion Chefs in der Fraktion der AfD – und als solche streichen sie aus Steuermitteln eine stattliche Zulage ein. Sie erhalten ohnehin 12.000 Euro als Diäten für Bundestagsabgeordnete, hinzu kamen bisher 6.000, neuerdings sogar 12.000 Euro sogenannte Funktionszulage, wie t-online exklusiv berichtete. Wohlgemerkt: pro Kopf und pro Monat.

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Ein Hohn ist das für eine Partei, die öffentlich stets anderes heuchelt und andere für Ähnliches verurteilt. Und die auch von ihren Mitgliedern an der Basis viel verlangt: Glaub an uns, auch wenn der Verfassungsschutz und Gerichte uns im Visier haben. Gib dich uns hin mit Haut und Haar, brich zur Not mit deinem Umfeld, auch wenn es in Zukunft – zum Beispiel als Beamter – noch sehr viel empfindlichere Konsequenzen für dich haben könnte.

Sehr treffend schrieb ein Kollege des "Stern" gerade den Satz: Die AfD-Funktionäre lebten "äußerst komfortabel im sogenannten Widerstand". Für große Teile ihrer Basis gilt das nicht.

Dass diese Dissonanz nicht schon lange für mehr Unruhe in der AfD sorgt, hat viel damit zu tun, dass sie auf Funktionärsebene eine Beutegemeinschaft sein mag, an der Basis aber oft eine Glaubensgemeinschaft ist. Kritik, und sei sie noch so berechtigt, perlt ab. Unabhängige Medien werden "Lügenpresse" verunglimpft, Fakten als Erfindungen des Feindes dargestellt und Kritiker aus den eigenen Reihen sollen stets gekauft oder vom Verfassungsschutz beeinflusst worden sein.

Die Dissonanz aber wächst und wird immer häufiger offenbar, je länger die AfD im System mitspielt. Immer schwerer könnte es für die Partei so zumindest werden, neue Wähler mit ihrer Lüge von der "Alternative" zu gewinnen. Und vielleicht wachen auch einige ihrer Langzeitwähler und Parteimitglieder auf und erkennen: Die AfD ist in vielen Punkten eine Partei wie jede andere. Und in manchen noch sehr viel schlimmer.


Der Sieger im Stromstreit heißt Söder

Die Erwartungen waren groß. Um kurz vor 23 Uhr am Mittwochabend wurden sie enttäuscht: Die schwarz-rote Koalition hat trotz Forderungen aus der Union, öffentlichem Druck und langer Diskussion keine Lösung für ihr Stromproblem gefunden. Für deutsche Haushalte und kleinere Betriebe also wird die Stromsteuer nicht auf das europäische Mindestmaß gesenkt. Für das produzierende Gewerbe sowie die Land- und Forstwirtschaft hingegen schon.

5,4 Milliarden Euro spart die Regierung auf diesem Wege ein. Erst wenn es neue finanzielle Spielräume gebe, könnten auch Privatleute noch stärker entlastet werden, heißt es im Beschlusspapier, das nach fünf Stunden Verhandlung an die Presse geschickt wurde. Verwiesen wird auf andere Maßnahmen, von denen alle profitieren sollen, wie zum Beispiel die Abschaffung der Gasspeicherumlage.

Die Senkung der Stromsteuer für alle ist allerdings ein wohlklingendes Versprechen im noch jungen Koalitionsvertrag der Regierung. Und nicht nur das dürfte in den nächsten Tagen für Kritik sorgen. In besagtem Papier aus den Verhandlungen am Mittwochabend wird eine Entlastung auf Anfang 2027 festgesetzt, die mit geschätzt 4,5 Milliarden Euro aus Steuermitteln ähnlich viel wie die Stromsenkung für alle kosten wird: die Ausweitung der Mütterrente. Sie soll allen Müttern in Zukunft unabhängig vom Geburtsjahr ihrer Kinder drei Rentenpunkte für die Erziehungszeit zusichern.

Ob es technisch überhaupt möglich ist, die Ausweitung der Mütterrente Anfang 2027 umzusetzen, ist fraglich. Die Deutsche Rentenversicherung hatte bereits darauf verwiesen, dass dies wegen notwendiger Vorbereitungen erst 2028 möglich sei. Das ist auch den Verhandlern um Merz und Klingbeil bewusst. "Sofern eine technische Umsetzung erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, wird die Mütterrente rückwirkend ausgezahlt", heißt es in ihrem Papier.

Fest stehen dürfte damit der einzige Gewinner dieses langen, heißen Abends: Markus Söder. Die Ausweitung der Mütterrente nämlich war ein Wahlversprechen seiner CSU, ihr früherer Start eine Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten. Klappt es doch nicht mit der Auszahlung ab 2027, dürfte das nicht auf seine Kappe gehen – sondern auf die von Friedrich Merz.


Ohrenschmaus


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Zum Schluss

Die Verzweiflung des Markus Söder vor dem Mütterrente-Beschluss:

Ich wünsche Ihnen einen kühlen Donnerstag. Morgen begleitet Florian Harms Sie wieder in den Tag.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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