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Gewalt gegen Obdachlose in Köln: "Das sind nicht alle Junkies und Alkis"


Messerangriff in Köln
Mehr Gewalt gegen Obdachlose – das sind die Gründe

Von Hans-Peter Brodüffel

Aktualisiert am 11.03.2022Lesedauer: 3 Min.
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Gewalt gegen Obdachlose: "Das sind nicht alle Junkies und Alkis"Vergrößern des Bildes
Gewalt gegen Obdachlose: "Das sind nicht alle Junkies und Alkis" (Quelle: Dominik Sommerfeld)

Angriffe auf Obdachlose haben seit Pandemiebeginn zugenommen, das belegen Polizeizahlen. Ein Blick auf den Angriff am Wiener Platz, auf eine, die ganz nah dran war und auf örtliche Hilfsangebote.

Der Mann im Holzfällerhemd, der am 21. Februar in der U-Bahn-Haltestelle Wiener Platz einen Obdachlosen mit einem Stich in den Hals fast getötet haben soll, ist gefasst. Nach einer großen Plakataktion mit Foto des gut erkennbaren Tatverdächtigen haben die Ermittler der Kölner Mordkommission "Holzfäller" den Tatverdächtigen gefasst, ungefähr zweieinhalb Wochen nach dem Angriff.

"Die Gewalt gegen Obdachlose wird immer brutaler. Obdachlose werden angezündet, mit Farbe und Messer attackiert", erzählt Linda Rennings, die Obdachlose mit ihrem Verein "Heimatlos in Köln" betreut. Massive Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen seien häufig der Grund; viele würden denken, dass diese Menschen nichts taugten und der Gesellschaft zur Last fielen. "Das sind nicht alle Junkies und Alkis", sagt Renning. Und: "Die Pandemie hat das Elend auf den Kölner Straßen sichtbarer gemacht."

Köln: Polizei bestätigt höhere Zahl von Angriffen auf Obdachlose

Hauptkommissar Christoph Gilles von der Pressestelle der Kölner Polizei bestätigt auf Anfrage von t-online einen deutlichen Anstieg der Attacken gegen Obdachlose in den Pandemiejahren 2020 und 2021. 2018 meldete die Polizei noch 83 Delikte, ein Jahr später 120 Delikte. 2020 waren es dann 186, 2021 151 Delikte.

Christoph Gilles sagt: "Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Zunahme dieser Delikte auch im Zusammenhang mit einem in den letzten Jahren subjektiv wahrzunehmenden, verstärkten Zuzug unter anderen osteuropäischer Menschen in die Obdachlosenszene stehen könnte."

Natürlich sind das nur Vermutungen und Erfahrungen von zwei Menschen, die im Thema sind, natürlich ist damit nicht abschließend geklärt, warum die Gewalt gegen wohnungslose Menschen zunimmt. Aber es sind Anhaltspunkte.

Linda Rennings jedenfalls weiß selbst, wie schnell das Leben einen aus der Bahn und auf die Straße werfen kann. Fünf Jahre hat sie selber "Platte gemacht", wie es im Jargon der Straßenkulturszene heißt. Mehr als ein Jahr lang lebt sie auf dem Friedhof Köln-Dünnwald, um der geliebten verstorbenen Großmutter nahe zu sein, schläft auf einer der Bänke, geht containern.

Doch "et kölsche Linda" ist eine Stehauffrau, sie zieht in eine WG für psychisch kranke Obdachlose. "Dann habe ich im Rahmen eines EU-Programms eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin für Menschen mit Psychiatrie-Diagnose gemacht. Seit 2011 lebe ich in meiner eigenen Wohnung."

Eine Vertrauensperson rund um den Wiener Platz

Heute schreibt sie für "Draussenseiter", Deutschlands ältestes Straßenmagazin, das bereits seit 30 Jahren über die Situation von Obdachlosen in Köln berichtet. Als parteilose sachkundige Bürgerin stellt sie ihr Wissen der Linksfraktion im Kölner Stadtrat zur Verfügung.

Jeden Tag ist Linda Rennings vor Ort am Wiener Platz, immer begleitet von ihrem Hund Clayd. Mit den Menschen im Milieu hat sie ein enges Vertrauensverhältnis. Zu ihren Aktivitäten zählt die Ausgabe von 40 bis 60 Essen an jedem Donnerstag und Gutscheinen im Wert von zehn Euro für den Einkauf in einem Supermarkt.

"Ohne Linda wäre ich schon lange nicht mehr. Dieser Engel hat mir den Arsch gerettet", erzählt Udo aus der U-Bahnszene am Wiener Platz. Die Stadt Köln, so Rennings, müsse dringend mehr Notunterkünfte schaffen. Nicht zuletzt für Obdachlose mit Hunden. "Ein Hund hat für Obdachlose eine sehr große Bedeutung. Er ist der einzige Freund, der ihnen geblieben ist."

Neue Anlaufstelle mit FC-Hilfe

Linda Rennings setzt große Hoffnung auf die neue Anlaufstelle für Obdachlose nur wenige Gehminuten vom Wiener Platz, mit der sie intensiv kooperiert: die "Mülheimer Arche". "Durch die neue Anlaufstelle besteht die Chance, den Hotspot in der U-Bahn zu entzerren und zu befrieden."

Die Container-Anlage "Mülheimer Arche" wurde von dem am Rosenmontag gegründeten Verein "Arche für Obdachlose" errichtet – im Verbund mit dem 1. FC Köln, Arsch Huh und der Bethe-Stiftung. Für die "Mülheimer Arche" stehen jetzt erst einmal 200.000 Euro aus Spendengeldern bereit. Die Anlaufstelle ist zunächst einmal drei Monate geöffnet.

An fünf Werktagen zunächst von 12 bis 16 Uhr beraten drei Fachkräfte des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) die Menschen. Wer mag, bekommt eine warme Suppe und die Gelegenheit, Wäsche zu waschen, Kleidung zu besorgen oder sich einfach nur aufzuwärmen. Außerdem gibt es dort eine Arztpraxis für Menschen ohne Krankenversicherung. Betreiber ist der Mediziner-Verein Caya (Come as you are).

Derlei Angebote sollen Obdachlose schützen, ihnen einen sicheren Raum geben. Damit es für solche Taten, wie die in dem Ermittlungsfall "Holzfäller", möglichst wenig Gelegenheit gibt.

Verwendete Quellen
  • "Arche" für Obdachlose
  • Bethe-Stiftung
  • Eigene Gespräche
  • Polizei Köln
  • Vringstreff
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