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Lina-E.-Prozess in Sachsen: Die "Neonazi-Jäger" von Ostdeutschland


Der Prozess um Lina E.
Die "Neonazi-Jäger" von Ostdeutschland

Von Edgar Lopez

18.01.2023Lesedauer: 5 Min.
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Prozessauftakt im Fall Lina E. am 8. September 2021 am Oberlandesgericht in Dresden: Der Fall wird unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen verhandelt.Vergrößern des Bildes
Prozessauftakt im Fall Lina E. am 8. September 2021 am Oberlandesgericht in Dresden: Der Fall wird unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen verhandelt. (Quelle: Arvid Müller/imago images)

Der Prozess gegen die 27-jährige Lina E. ist verlängert worden. Worum geht es eigentlich im Verfahren gegen die "Neonazi-Jäger" in Ostdeutschland?

Der Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. vor dem Dresdener Oberlandesgericht wurde jüngst bis Ende Mai dieses Jahres verlängert. In dem sogenannten "Antifa-Ost-Prozess" soll vor allem geklärt werden, ob es tatsächlich eine im juristischen Sinne kriminelle Vereinigung war, die von Leipzig-Connewitz aus loszog, um systematisch Neonazis in Ostdeutschland zu verprügeln und zum Teil schwer zu verletzen.

Fraglich ist auch, ob die Leipziger Studentin Lina E. wirklich Anführerin solch einer Gruppe gewesen ist, die in Medien als die ostdeutschen "Neonazi-Jäger" betitelt werden. Die inzwischen 27 Jahre alte Frau sitzt seit ihrer Festnahme vor zwei Jahren und drei Monaten in Untersuchungshaft.

Worum geht es im Antifa-Ost-Prozess?

Am Oberlandesgericht Dresden müssen sich seit September 2021 drei Männer und eine Frau wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Die vier Angeklagten werden von der Bundesanwaltschaft beschuldigt, gewalttätige Angriffe auf Rechtsextreme und Neonazis in Sachsen und Thüringen verübt zu haben. Insgesamt geht es um sechs Taten, zwei davon in Eisenach, der Rest im Großraum Leipzig – sowie den versuchten Diebstahl zweier Hämmer aus einem Leipziger Baumarkt.

Das Verfahren wird im Hochsicherheitssaal des Staatsschutzsenats in Dresden durchgeführt. Besucher müssen vor dem Eintritt eine Sicherheitsschleuse passieren und werden durchsucht. Drinnen ist der Verhandlungsbereich durch dickes Sicherheitsglas vom Besucherbereich abgetrennt. Hier findet übrigens auch das Verfahren zum Diebstahl im Grünen Gewölbe statt.

Welche Personen sind beteiligt?

Die bekannteste Angeklagte ist Lina E. Die 27-jährige Studentin wurde im November 2020 festgenommen, als sie gerade einer gerichtlich angeordneten Meldeauflage in einer Leipziger Polizeistation nachkam. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft. Damals liefen gegen die Frau bereits Ermittlungen wegen eines Überfalls auf den Eisenacher Rechtsextremisten Leon Ringl im Dezember 2019.

Außerdem angeklagt sind der Mathematikstudent Lennart A. (29), der Pfleger Jannis R. (37), beide aus Leipzig, sowie der Pfleger Jonathan M. aus Berlin (29). Letzterer kommt aus dem Umfeld der Hausbesetzerszene der Rigaer Straße in Berlin und saß schon einmal in Haft, weil er einen Polizeihubschrauber mit einem Laserpointer geblendet hatte.

Was ist im Prozess bisher passiert?

Nachdem der Prozess im September 2021 mit großer medialer Aufmerksamkeit begonnen hatte und etliche Zeugen geladen waren, ist es mittlerweile ruhiger geworden. Gesteigertes öffentliches Interesse kommt immer dann auf, wenn wichtige Figuren aussagen. So war es auch, als Leon Ringl aus Eisenach im März 2022 den Zeugenstand betrat. Seine Aussagen, wonach er bei beiden Überfällen in Eisenach dieselbe Frau wiedererkannt habe, sind mit Vorsicht zu genießen.

Vor Gericht wurde klar, dass Ringl nach einem Überfall auf ihn vor seiner Wohnung im Dezember 2019 früh die Identitäten der mutmaßlichen Angreifer kannte. Dies nutze er im Fall von Lina E. mutmaßlich für seine Aussagen zum Überfall auf seine Kneipe "Bull’s Eye", ohne wirklich sicher sein zu können, dass es sich in beiden Fällen um dieselbe Frau – nämlich Lina E. – handelte.

Ringl sitzt seit April selbst in Haft, weil die Bundesanwaltschaft gegen ihn ebenfalls wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt – der rechtsextremen Gruppe "Knockout 51". t-online berichtete über den Fall, lesen Sie hier weiter.

Für noch größeres Aufsehen sorgte im Juni 2022 die Nachricht, dass sich ein früherer Weggefährte der Angeklagten Lina E. den Ermittlern als Zeuge angedient hatte. Auch wenn es juristisch betrachtet in Deutschland keine "Kronzeugen" gibt, wird Johannes D. in der Berichterstattung oft als solcher bezeichnet.

Der 30-Jährige sagte seit Juli insgesamt zwölfmal vor dem Oberlandesgericht aus. Dabei belastete er Lina E. und vor allem deren Verlobten Johann G. schwer. Sie sollen immer wieder an der Planung und Durchführung von Angriffen beteiligt gewesen sein. Und sie sollen diese Angriffe im Vorfeld mit Gleichgesinnten regelmäßig trainiert haben.

Einer konkreten Tat konnte er Lina E. nur beim Überfall auf Leon Ringl beschuldigen, da er selbst daran beteiligt war. Seine Aussagen zur Struktur einer mutmaßlichen kriminellen Vereinigung werden von der Verteidigung angezweifelt, auch weil im späteren Verlauf seiner Befragung herauskam, dass er sich nicht richtig an die Entstehung seiner Aussagen bei den vorangegangenen Vernehmungen durch die Polizei erinnern konnte.

Die einzige Aussage, die sich durch den Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden konkret überprüfen lässt, ist die Behauptung, dass es im August 2019 in einer Halle auf dem Gelände des Fußball-Viertligisten Chemie Leipzig ein Antifa-Training für den politischen Straßenkampf gegeben haben soll. Dieses soll mit mehr als 50 Personen während eines laufenden Spiels stattgefunden haben.

Mehrere Zeugen wurden dazu bisher geladen, darunter Vereinsoffizielle, Sicherheitsmitarbeiter und Polizisten. Die Frage, ob es dieses Training wirklich gab, konnte bisher allerdings nicht geklärt werden. Johannes D.s Aussagen zur Struktur der mutmaßlichen Gruppe werden für den Staatsschutzsenat voraussichtlich dennoch ausreichend sein, um am Ende ein Urteil wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung sprechen zu können.

Was ist der aktuelle Stand?

Das Gericht ist derzeit offenbar nicht eindeutig davon überzeugt, dass Lina E. an einem Überfall auf einen Kanalarbeiter in Leipzig-Connewitz im Januar 2019 sowie am Überfall auf den Ex-NPD-Stadtratsabgeordneten Enrico Böhm im Oktober 2018 beteiligt war. Zweifel gibt es auch hinsichtlich ihrer Tatbeteiligung am Überfall auf einen Rechtsextremisten im sächsischen Kühren im Oktober 2018.

Eine morphologische Gutachterin hat sie Anfang Januar 2023 nach eigener Aussage aber "wahrscheinlich" als eine Frau identifiziert, die in einem Regionalzug mitfuhr, in dem auch Rechtsextreme mitfuhren, die später am Bahnhof Wurzen angegriffen wurden. Das macht auch ihre Tatbeteiligung wahrscheinlicher.

Im Januar brachte die Verteidigung von Jannis R. einen Beweisantrag ein, der belegen soll, dass R. nicht am Überfall auf das "Bull’s Eye" in Eisenach beteiligt gewesen sein kann. Sollte das Gericht diesen Beweisen folgen, wäre es bereits das zweite Mal, dass Bundesanwaltschaft und Landeskriminalamt Sachsen einen Ermittlungsfehler eingestehen müssen, der wohl darauf beruht, dass abgehörte Gespräche falsch interpretiert worden sind.

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Bereits im März 2022 konnte Jonathan M.s Verteidigung belegen, dass dieser nicht am Überfall auf das "Bull’s Eye" beteiligt war, obwohl dies aufgrund eines abgehörten Gesprächs von der Anklage so vorgebracht worden war. Die Belege dafür kommen ausgerechnet von einer Überwachungskamera des Bundeskriminalamtes, mittels derer die damalige Wohnung des Angeklagten gefilmt worden war.

Und wie geht es weiter?

Das Gericht war ursprünglich wohl schon so weit, die Beweisaufnahme zu schließen. Die Verteidigung hatte im Januar 2023 jedoch noch weitere Beweisanträge eingebracht, die jetzt geprüft werden müssen. Dazu gehört unter anderem die Einholung von mehreren Gutachten zu einzelnen Tatkomplexen. Derzeit pausiert das Verfahren drei Wochen, weil der Senat im Urlaub ist.

Weiterverhandelt wird Anfang Februar. Wie schnell der Prozess dann voranschreitet, hängt davon ab, ob das Gericht weitere Gutachten einholt und wie schnell diese dann erbracht werden können. Mit einem Prozessende ist nicht vor Ende März oder Anfang April zu rechnen. Vorsorglich wurde jedoch schon einmal bis Ende Mai terminiert.

Verwendete Quellen
  • Besuch aller Verhandlungstermine im Prozess
  • Eigene Recherchen
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