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Stuttgart: Anti-Israel-Demos – Polizeirabbiner aus Ulm in Sorge


Angriff auf Israel
Polizeirabbiner: "Solidarität ist da, aber die Worte sollten deutlich sein"

  • Roland Beck
InterviewVon Roland Beck

13.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Polizeirabbiner Shneur Trebnik fordert einen anderen Umgang mit Anti-Israel-Demonstranten. (Quelle: Stefan Puchner)

Shneur Trebnik ist der erste Polizeirabbiner Deutschlands. Im Interview berichtet er, wie er nach den Angriffen auf Israel die deutschen Beamten berät und sagt, was sich ändern müsste.

Shneur Trebnik wurde Ende 2020 in Baden-Württemberg zum ersten Polizeirabbiner Deutschlands ernannt. Er ist seitdem die Kontaktperson zwischen den jüdischen Bewohnern des Bundeslandes und den Beamten. Er schult Polizeianwärter und erprobte Einsatzkräfte über das Judentum und lädt sie zu Synagogenbesuchen ein. "Da gibt es auch bei erfahrenen Polizisten noch viel Unwissenheit", berichtet Trebnik, der am 30. Dezember 1975 in Kfar Chabad in Zentralisrael zur Welt kam und heute Rabbiner der Synagoge in Ulm ist.

Die Sicherheitslage der jüdischen Gemeinden in Deutschland hat sich nach dem Angriff der Hamas auf Israel verschärft. Im Interview mit t-online spricht Trebnik über seine Arbeit, die Berührungsängste der Deutschen und die Solidaritätskundgebungen mit Israel, die seiner Meinung nach manchmal noch deutlicher sein müssten.

Mit Sorge blickt er vor allem auf die Anti-Israel-Demos in Deutschland. Er findet, dass Demonstrations- und die Meinungsfreiheit hier Grenzen haben sollte.

t-online: Herr Trebnik, was genau ist die Arbeit eines Polizeirabbiners?

Shneur Trebnik: Diese Arbeit hat nichts mit Seelsorge für jüdische Polizeibeamte zu tun, wie man vielleicht meinen könnte. Ich bin die Kontaktperson zwischen den jüdischen Menschen in Baden-Württemberg und der Polizei. Meine Arbeit richtet sich zum Beispiel primär an Polizeianwärter, die sich während ihrer Ausbildung auch einige Stunden mit dem jüdischen Glauben und Leben vertraut machen sollen. Dazu gehört auch, einen Blick in eine Synagoge zu werfen. Aber ich stehe auch für erfahrene Polizeibeamte zur Verfügung.

Zeigt Ihre Arbeit Wirkung?

Ich muss Ihnen sagen, dass gerade bei erfahrenen Polizeibeamten, die schon lange im Dienst sind, die Unwissenheit rund um das Judentum groß ist. Ich habe ganz am Anfang meiner Arbeit als Polizeirabbiner mit einem Beamten im höheren Dienst gesprochen. Er war sehr stolz, dass er schon oft auf Gedenkveranstaltungen, in jüdischen Museen sowie an den Gedenkstätten in Dachau und Auschwitz war. Ich habe ihn dann ganz, ganz leise gefragt, ob er denn auch schon einmal in einer Synagoge war. Und er musste es verneinen. Selbstverständlich habe ich ihn dann zu einem Besuch eingeladen, bei dem ich viel Wissen vermitteln konnte.

Haben die Deutschen zu viele Berührungsängste?

Vor zwei Jahren haben wir 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert. Das begrenzt sich keinesfalls auf die grausamen Holocaust-Kapitel. Dass Deutsche zum Beispiel nicht in eine Synagoge gehen, um sich dort einmal umzuschauen, liegt sicher auch an Berührungsängsten, aber es können auch Vorurteile sein.

Das Telefon des Polizeirabbiners klingelt. "Einen Moment bitte, ich melde mich gleich wieder, das ist sehr wichtig, das ist die Polizei."

Nach vier Minuten kann Shneur Trebnik das Interview fortführen.

Hat Sie die Polizei am Telefon um Rat gefragt?

Ja. Ich wurde soeben wegen einer dringenden Angelegenheit um Rat gefragt, die Lage ist eben gerade sehr angespannt, auch in Baden-Württemberg. Vor dem Angriff auf Israel hat mich die Polizei vielleicht einmal im Quartal angerufen, weil der Bedarf nicht so groß war. Jetzt ruft sie jeden Tag mindestens einmal an. Oft geht es dabei um die Sicherheitslage. Ich mache aber keine Lagebewertung, ich bin kein Sicherheitsexperte. Aber der Austausch ist einfach wichtig.

Unterstützen Sie bei Veranstaltungen, zum Beispiel bei einer Demonstration, mit Ihrem Wissen die Polizei?

Ja, sehr oft. Dabei geht es aber weniger um akute Sicherheitsfragen. Es geht dabei eher um allgemeine Fragen in Bezug auf den jüdischen Glauben. Zum Beispiel bei bestimmten Gedenktagen und welche Auswirkungen diese haben könnten.

Es gibt seit dem Angriff der Hamas sehr viele Solidaritätskundgebungen mit Israel in Deutschland. Ist das ein starkes Zeichen, dass die Deutschen an der Seite Israels stehen?

Ich erzähle Ihnen von einer Aktion in Baden-Württemberg, die gedacht war als Unterstützung für israelische Gewerkschaften. Es sollten auf Karten Worte der Solidarität geschrieben werden. Doch da war kein Wort von Terror oder Anschlag oder Massaker. Ich habe dann gefragt: Reicht das, was Sie da schreiben? Die Solidarität ist da, aber die Worte sollten manchmal noch viel deutlicher sein.

Glauben Sie, dass der Terrorangriff auf Israel dazu führt, dass sich die Menschen verstärkt mit dem jüdischen Leben und Glauben beschäftigen?

Das ist meiner Meinung nach zu früh. Momentan überwiegen Wut und Trauer. Vielleicht passiert das nach einiger Zeit.

Wie gehen die Menschen in Ihrer jüdischen Gemeinde mit der Situation um?

Die Menschen kommen in die Synagoge, sie beten. Wir haben jetzt jeden Tag mindestens einen Gottesdienst. Viele in unserer Gemeinde haben Angehörige in Israel, machen sich Sorgen. Meine ganze Familie ist auch in Israel. Wir sind täglich im Kontakt. Die Kommunikation funktioniert.

Nach dem Angriff auf Israel hat die Terrorgruppe Hamas zur Mobilisierung aufgerufen. Es gibt auch verstärkt Anti-Israel-Demos in Deutschland. Wie gehen Sie damit um?

Ich weiß, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist. Aber wohin hat dies geführt? Was wir gerade erleben, sollte ein Ausrufezeichen für uns alle sein. Es fing mit Karikaturen und Beschimpfungen gegen Israel in den sozialen Medien an. Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit könnten irgendwann einmal sehr, sehr böse Taten bringen.

Wir sollten sehr vorsichtig sein mit dem, was wir anderen Menschen erlauben zu sagen und zu schreiben. Wir müssen einen großen Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Äußerungsfreiheit machen. Ein Mensch kann jede Meinung haben, die er haben will. Aber in dem Moment, wo es zur Äußerung kommt, dann ist es eben nicht mehr nur eine Meinung, dann wird das mit der Gesellschaft geteilt. Und da müssen wir aufpassen.

Fühlen sich die Mitglieder in den jüdischen Gemeinden sicher?

Ich habe bislang keine konkreten Vorkommnisse mitbekommen. Gott behüte uns, dass es niemals wieder einen Anschlag wie im Jahr 2019 in Halle auf eine Synagoge geben wird. Aber wir sitzen alle im selben Boot. Das betrifft ja nicht nur die Mitglieder in den jüdischen Gemeinden. Die Opfer in Halle waren am Ende keine Juden, sondern Passanten, die dort zufällig waren.

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Was glauben Sie, wie sich die Lage in Israel weiterentwickeln wird?

Ich bin kein Prophet. Ich weiß es nicht. Das, was ich den Mitgliedern meiner jüdischen Gemeinde und auch nicht Nicht-Juden sage, kann ich nur weitergeben: Jeder sollte morgens, wenn er aufsteht, auf seine Weise und auf seine Art ein, zwei Minuten zu Gott beten. Ich glaube, das brauchen wir jetzt alle. Es ist das Einzige, das wir aus der Ferne tun können.

Herr Trebnik, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Shneur Trebnik am 12.10.2023
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