Was die Gesellschaft vom Handball lernen kann Ein Wintermärchen? Wir brauchen drei davon!
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Unsere Handballer schreiben die bislang schönste Geschichte des Jahres: einig und wild entschlossen, zusammen Großes zu erreichen. Sie taugen zum Vorbild, wie man schwierige Aufgaben märchenhaft angehen könnte.
Natürlich hat ein Schlagwurf in den Torwinkel nichts mit Politik zu tun, eine aufopferungsvoll kämpfende Mannschaft nichts mit dem Kampf gegen rechts und der beste Torwart der Welt nichts mit dem Zustand der Ampelregierung. Andererseits: Spüren Sie das auch? Ist da nicht doch was?
Lassen wir den Gedanken kurz zu: Seit 2006 träumen wir von einer Erzählung, die uns alle, die das Land so inspiriert wie dieses Sommermärchen damals. Diese frische, spannende Melange aus Heimatgefühl und Willkommenskultur, Deutschlandliebe und Weltoffenheit, Vielstimmigkeit und Gemeinschaft. Die Handball-EM 2024 und die deutsche Nationalmannschaft sind wie eine kleine Erinnerung an damals. Noch hat kaum jemand schwarz-rot-goldene Überzieher über seine Seitenspiegel am Auto gezogen. Es gibt keine Fanmeile. Und dennoch. Es könnte gerade ein Wintermärchen entstehen.
Es gibt diese Mannschaft, die sich gemeinsam allem entgegenstellt, was auf sie zukommt. Andere werfen vielleicht mehr Momentum in die Waagschale, aber vielleicht niemand so viel Herz, so viel Einigkeit, so viel Entschlossenheit. Es gibt dieses eine große Ziel, für das alle kämpfen, auch wenn sie aus unterschiedlichen Vereinen stammen und sonst erbittert miteinander wetteifern.
Das ist das Märchenhafte an diesen Geschichten – 2006 und auch ein bisschen 2024. Und genau da liegt der Zusammenhang: In der Erzählung, die die Handballer gerade beginnen, auf dem Spielfeld wahrzumachen, steckt das Wunder, das wir auch auf zwei anderen Felder bräuchten.
Wir müssen alle gemeinsam der drohenden Gefahr gegen rechts entgegentreten, so wie sich die deutschen Handballer gemeinsam den übermächtigen Franzosen entgegengeworfen haben oder den wütenden Isländern. Egal, woher wir kommen, wo unsere Wurzeln liegen, und egal, wie unterschiedlich unsere Standpunkte ansonsten sind: So einig müssten wir gegen die zusammenstehen, die wieder von Deportationen träumen und vorschreiben wollen, wer Teil unserer Gemeinschaft sein darf. Aber: Wir sind noch nicht genug und mancherorts auch keine Mehrheit mehr.
Märchen sind eben so. Im Mittelteil sieht es immer düster aus. Je schwerer die Aufgabe ist, je größer die Gefahr und je härter der Widerstand, umso schöner das Happy End. Hänsel und Gretel waren Gefangene der Hexe. Rotkäppchen sogar schon aufgefressen. Märchen sind erst am Ende Erfolgsgeschichten.
Den Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, müsste genauso geschlossen die Bundesregierung mit einer zupackenden Politik begegnen: den Haushaltslöchern, der Verteilungsungerechtigkeit, der Klimakrise, den Feinden von außen und innen. So wie die deutschen Handballer zusammen einen Plan verfolgen, um bei dieser Heim-EM zu bestehen. Angeleitet von einem, der zeigt, wie es gehen kann. Gestützt von einem, der ihr den Rücken freihält. Aber: Die Ampel hat offensichtlich weder einen Alfred Gíslason noch einen Andi Wolff.
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Die deutschen Handballer müssen noch drei "Endspiele" gegen Topgegner gewinnen, bevor das Halbfinale winkt. Uns allen, die wir gegen Ewiggestrige zusammenstehen wollen, drohen in drei ostdeutschen Bundesländern Landesregierungen unter Beteiligung der AfD. Die Ampelregierung scheint zu zerstritten, zu mutlos und vielleicht auch nicht kompetent genug zu sein, um solide Politik für uns alle zu gestalten. Kurz: Es sieht düster aus im Mittelteil, in der Tat.
Und an diesem Punkt machen uns und der Ampel die Handballer vor, was uns helfen könnte. Gemeinsam kämpfen statt gegeneinander. Zusammenstehen. Gesicht zeigen und ja, auch Flagge. Das Ego zurückstellen. Das große Ganze im Blick haben und dafür bereit sein, alles zu geben. Bis zum Happy End. Der Glaube an ein Märchen eben. Oder drei.
- Eigene Beobachtungen.