"Ein Raubtier" - Die lange Aufarbeitung im Fall R. Kelly

New York (dpa) - Was haben die ersten Tage im Missbrauchsprozess gegen R. Kelly gebracht?
Der Fall des einstigen Pop-Superstars ist - nach FΓ€llen wie denen von Filmproduzent Harvey Weinstein, Schauspieler Kevin Spacey und Komiker Bill Cosby - die nΓ€chste viel beachtete juristische Aufarbeitung im Zuge der #Me-Too-Γra. Und schon jetzt eine besonders eindrΓΌckliche, weil so umfangreiche VorwΓΌrfe verhandelt werden.
Einst hΓΆrte man ihn stΓ€ndig im Radio, auch in Deutschland. Doch seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es MissbrauchsvorwΓΌrfe und viele weitere offene Fragen zum Leben des heute 54-JΓ€hrigen SΓ€ngers von Hits wie "The World's Greatest" und "I Believe I Can Fly". Hat er einen Beamten bestochen, um 1994 die damals erst 15-jΓ€hrige SΓ€ngerin Aaliyah mittels gefΓ€lschter Geburtsdokumente heiraten zu kΓΆnnen? Hatte er wirklich mehrfach Sex mit anderen MinderjΓ€hrigen? Filmte er sie wΓ€hrend des Geschlechtsverkehrs und danach in demΓΌtigenden Situationen, um sie mit kompromittierenden Aufnahmen unter Druck setzen zu kΓΆnnen?
"Dieser Fall handelt von einem Raubtier", waren laut ΓΌbereinstimmenden Medienberichten die einleitenden Worte von StaatsanwΓ€ltin Maria Cruz Melendez zum Prozessauftakt. Er sei "ein Mann, der ΓΌber Jahrzehnte hinweg seinen Ruhm, seine PopularitΓ€t und sein Netzwerk von Menschen, ΓΌber die er verfΓΌgen konnte, dazu genutzt hat, MΓ€dchen, Jungs und junge Frauen fΓΌr seine eigene sexuelle Befriedigung herauszusuchen, zurechtzumachen und auszubeuten. Dieser Mann, dieses Raubtier, ist der Angeklagte, Robert Silvester Kelly - bekannter als R. Kelly."
Erste Zeugenaussagen vor Gericht
Die VorwΓΌrfe, die Melendez am Mittwoch ausfΓΌhrte, sind umfangreich, unter anderem geht es um die sexuelle Ausbeutung MinderjΓ€hriger, Kidnapping und Bestechung. Kelly soll seine mutmaΓlichen Opfer mit viel Finesse gefunden haben, ausdrΓΌcklich konzentriert auf MinderjΓ€hrige und mit psychologischer Manipulation. Essen und ToilettengΓ€nge seiner Opfer seien nur mit Genehmigung mΓΆglich gewesen.
Auch eine erste wichtige Zeugin wΓ€hlte deutliche Worte. "Ich bin zu Robs Haus gegangen und Rob nannte mich eine dumme Schlampe", las die heute 28 Jahre alte Frau am Donnerstag laut US-Journalistinnen, die am Gericht den Fall verfolgten, aus ihrem Tagebuch vor. "Rob hat mich drei Mal geschlagen. Er sagte, wenn ich ihn noch einmal anlΓΌge, wird der nΓ€chste Schlag nicht mehr mit der flachen Hand sein. Er hat mir ins Gesicht gespuckt und in meinen Mund und mich wΓ€hrend eines Streits gewΓΌrgt", habe die Frau weiter aus ihrem Tagebucheintrag zitiert. Sie hatte ihren Angaben zufolge im Jahr 2009 fΓΌr ein halbes Jahr eine Beziehung mit dem Musiker. Sie sei erst 14 Jahre alt gewesen, als sie ihn kennenlernt habe und 16 Jahre alt, als sie zum ersten Mal Sex gehabt hΓ€tten.
Es ist bemerkenswert, dass es nun ΓΌberhaupt zu diesem Prozess gekommen ist. Denn jahrzehntelang konnte sich Kelly einer juristischen Aufarbeitung entziehen. 2008 musste er sich bisher zum einzigen Mal vor Gericht verantworten, damals wurde er wegen des mutmaΓlichen Besitzes von Bildern schweren sexuellen Kindesmissbrauchs freigesprochen. Anfang 2019 sorgte dann die TV-Dokumentation "Surviving R. Kelly" (etwa: R. Kelly ΓΌberleben) fΓΌr viel ΓΆffentliches Aufsehen, der Fall wurde noch einmal vorangetrieben. Im Juli 2019 wurde R. Kelly schlieΓlich festgenommen.
Wochenlanger Prozess erwartet
Laut Prozessbeobachtern soll Kelly vor Gericht bisher ruhig und oft ausdruckslos das Geschehen verfolgt haben. Ohnehin hat er in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder die VorwΓΌrfe gegen ihn zurΓΌckgewiesen und als gezielten Rufmord bezeichnet. Seine Verteidigung versucht, die mutmaΓlichen Opfer als unzuverlΓ€ssig zu brandmarken - es seien enttΓ€uschte Fans, die sich zu Stalkerinnen entwickelt hΓ€tten. Auch bei der Zeugin von Mittwoch und Donnerstag sollte der Eindruck einer dreisten LΓΌgnerin entstehen. Sie habe dem Musiker gegenΓΌber ihr Alter mit 19 Jahren angegeben - und erst spΓ€ter zugegeben, minderjΓ€hrig zu sein, gibt die "New York Daily News" Argumente der Verteidigung wieder.
Der Prozess kΓΆnnte Wochen dauern, die Rede ist von bis zu 3500 BeweisstΓΌcken. Bei einer Verurteilung in allen Punkten droht dem SΓ€nger laut Sprecher der Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslang. Im New Yorker Stadtteil Brooklyn lΓ€uft aber ohnehin nur der erste Prozess auf Bundesebene gegen ihn. Selbst wenn er freigesprochen wΓΌrde, wird Kelly sich in einem Γ€hnlichen Verfahren in Illinois verantworten mΓΌssen.