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"Wetten, dass..?"-Skandal: Als ein Mann das ZDF vor Millionen bloßstellte


Fernsehskandal vor 35 Jahren
Als ein Mann das ZDF vor Millionenpublikum bloßstellte

  • Steven Sowa
Von Steven Sowa

Aktualisiert am 04.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Bernd Fritz: "Das Heft mit der Auflösung ist bis heute das bestverkaufte", erzählt er 2017 dem "Spiegel".Vergrößern des Bildes
Bernd Fritz: "Das Heft mit der Auflösung ist bis heute das bestverkaufte", erzählt er 2011 dem "Spiegel". (Quelle: imago stock&people)

Im September 1988 ereignet sich eine historische Blamage für das ZDF. Bei "Wetten, dass..?" foppt ein Betrüger nicht nur Thomas Gottschalk, sondern die ganze Nation.

"Ich muss noch einmal nachschmecken", murmelt der Kandidat im "Wetten, dass..?"-Studio in seinen Schnauzbart. "Schmeckt edel, ist Goldocker." Das Publikum applaudiert, Thomas Gottschalk gratuliert: Richtig geschmeckt. Der Mann mit dem hellblauen Anzug hat den ersten Buntstift in der Tasche. Was in diesem Fall so viel heißt wie: Er ist auf dem besten Weg, seine Wette zu gewinnen. Denn Thomas Rautenberg, wie er sich in der ZDF-Show nennt, will Buntstifte anhand ihres Geschmacks erkennen.

Ihm gelingt das Unmögliche. Er identifiziert alle sieben Farben, darunter so illustre Titel wie "Zitron", "Bergblau" und "Karmin-hell". Die Wette ist gewonnen – doch dann kippt die Stimmung. Thomas Gottschalk, damals noch 38 Jahre jung, will von seinem Kandidaten wissen, was sein Geheimnis ist. Wie kann ein Mensch Buntstifte am Geschmack erkennen? Gottschalk selbst leckt an einem der Exemplare, fährt sich mit der Zunge über die Lippen: Aber nein, da sei nichts. Er könne sich nicht erklären, wie Kandidat Rautenberg das hinbekomme.

Dann das TV-Beben: "Ich kann's nicht – ganz einfach", posaunt der Mann triumphierend in die Kameras. Das Grinsen in seinem Gesicht wird breiter und breiter. Ohne verdunkelte Skibrille steht er nun im "Wetten, dass ..?"-Studio und blickt in ein ungläubiges Publikum. Er sei gar nicht Thomas Rautenberg, sondern Bernd Fritz, Chefredakteur der "Titanic". In der nächsten Ausgabe der Satirezeitschrift wolle er aufdecken, wie ihm sein Streich gelungen ist. Denn eines könne er definitiv nicht: Buntstifte am Geschmack erkennen.

Der bis heute größte Farben-Fake der Fernsehgeschichte. Unter Pfiffen verlässt der Scharlatan das Studio. Wochenlang rätselt die Republik: Wie konnte dieser Betrug gelingen? Hatte Fritz einen Funkempfänger? Einen Komplizen im Publikum? War die Brille doch nicht blickdicht? Ist es gar Zauberei?

"Man darf an Menschen nicht mehr glauben"

Gottschalk versucht an diesem Septemberabend im Jahr 1988 zu retten, was nicht mehr zu retten ist. "Da muss man durch. Das ist Unterhaltung und wir machen Unterhaltung. Du hast uns geholfen und wir haben an dich geglaubt", so der Moderator zu Bernd Fritz. Rund fünf Minuten versucht Gottschalk, dem Betrüger auf die Schliche zu kommen, will unbedingt den Trick erfahren. Doch der bleibt eisern. Gottschalks Schlussfolgerung schließlich: "Man darf an Menschen nicht mehr glauben."

Die Täuschung bleibt perfekt – bis zur Oktober-Ausgabe der "Titanic" aus dem Jahr 1988. Die Auflösung des Satire-Streichs erscheint in Heftform: Eine zehnseitige Titelstory von Bernd Fritz höchstpersönlich. "Ich war der Lutscher", heißt die Rekonstruktion der ZDF-Falle. Ein höchst amüsanter Text, der mit der Geschichte des echten Thomas Rautenberg beginnt. Der war wirklich Grafiker und meldete sich bei der "Titanic"-Redaktion mit der Idee, "Wetten, dass..?" hereinzulegen. Den Kontakt zum Sender habe er schon gelegt, dieser zeige Interesse an der "Buntstift"-Wette, nur: Er selbst wolle das nicht machen, ob nicht bei "Titanic" jemand Lust habe.

So ist die Wette geboren. Natürlich haben die Spaßvögel aus der Frankfurter Satire-Hochburg Lust, das ZDF vor aller Augen bloßzustellen. Schließlich schalten am Ende 18 Millionen Menschen ein. Ungeahnte Reichweiten für eine Horde Ulknudeln, die sonst in verqualmten Humorstuben Karikaturen zeichnen und Schmuddelwitze kreieren. Die "Wetten, dass..?"-Sabotage wird quasi zum One-Hit-Wonder, denn: Bis heute gilt die Ausgabe mit der Auflösung der Aktion als das meistverkaufte "Titanic"-Heft. So jedenfalls erzählt es Bernd Fritz im Jahr 2011 in einem Interview.

Dennoch ist die Satire-Aktion auch der Durchbruch für die "Titanic". Angekommen im Mainstream, jeder Deutsche kennt fortan das Blatt mit den Grenzüberschreitungen. Für das ZDF hingegen ist Bernd Fritz' Mogelpackung viel mehr als nur eine Blamage. Es lässt die größte deutsche Samstagabendshow unglaubwürdig wirken. Plötzlich zweifeln die Menschen daran, dass es bei den Wetten mit rechten Dingen zugeht. In Zukunft wird bei "Wetten, dass..?" viel genauer hingeschaut.

Immer der Nase lang: So funktionierte Fritz' Trick

Wie sich später herausstellte, hatten die ZDF-Mitarbeiter am Lerchenberg in Mainz die Wette von Fritz nur unzureichend geprüft. Ein Sichtschutz hatte sich der "Titanic"-Redakteur damals selbst umgebunden, Experten waren nicht vor Ort, nur zwei Mitarbeiterinnen, die völlig überfordert wirkten – und offenbar keine Spur Misstrauen an den Tag legten.

Der Trick war am Ende so einfach wie effektiv: Bernd Fritz behauptete, für einen Geschmackstest müsse er auch gut riechen können. So schaffte er es, die ZDF-Verantwortlichen davon zu überzeugen, die Brille nicht zu tief auf die Nase zu setzen. Er führte einen riesigen öffentlich-rechtlichen Sender also buchstäblich an der Nase herum. Ein kleiner, dreieckiger Schlitz reichte ihm: Dort spähte er hindurch nach unten und erkannte die Buntstifte.

Eine Sache bereute Bernd Fritz später dennoch, wie er dem "Spiegel" erzählte. "Gottschalk rief sogar am Tag nach der Sendung in der 'Titanic'-Redaktion an, um uns zu unserem Coup zu gratulieren. Der hatte Sportsgeist. Das ist übrigens das Einzige, was ich wirklich bedauert habe: Die Öffentlichkeit nahm es so wahr, dass ich ihn bloßgestellt hatte. Mein primäres Interesse war es aber, das ZDF vorzuführen."

Das ist ihm gelungen – auch mit eigenen Karrierevorteilen. Weil er das große ZDF als Institution ohne seriöse Kontrollmechanismen entlarvte, wurde auch Fritz selbst zum Star. Am 16. April 2017 verstarb der Journalist und Satiriker im Alter von 71 Jahren. Alle großen Medien des Landes berichteten und erinnerten dabei an seinen größten Coup. Fritz ist in die Geschichte eingegangen: Als der Mann, der das ZDF blamierte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • titanic-magazin.de: Archivausgabe vom Oktober 1988
  • spiegel.de: "Wie ein Buntstift-Lutscher das Publikum von "Wetten, dass..?" foppte"
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