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Facebook will 10.000 Jobs in Europa schaffen – was steckt hinter "Metaverse"?


Eine Analyse
Was steckt hinter Facebooks Plan für das "Metaverse"?

  • Jan Mölleken
Von Jan Mölleken

Aktualisiert am 18.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Szene aus dem Film Ready Player One: Darin bewegen sich die Menschen teilweise in einer komplett virtuellen Welt. (Quelle: via www.imago-images.de)

Wie werden wir künftig im Netz miteinander interagieren? Eine Antwort trägt den Namen "Metaverse". Auch Facebook will hier mitmischen, plant bereits Tausende Jobs dafür ein. Dabei ist gar nicht klar, was genau dieses "Metaverse" sein soll.

Schaut man sich die Meldungen der vergangenen Monate über das Internet und seine Dienste an, dann scheint es schlecht um die einstige Utopie des "World Wide Web" zu stehen. Statt im Netz für Ausgleich und Frieden zu sorgen, begünstigen große Konzerne eher Streit und Lügen. Und statt sich um die digitale Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen, scheinen selbst demokratische Staaten eher darum bemüht, deren Telefone und Computer noch besser ausforschen zu können.

Insbesondere das Social-Network-Imperium Facebook hat derzeit ein massives Rufproblem. Deshalb ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass das Unternehmen ausgerechnet in den vergangenen Monaten massiv für den Ausbau eines neuen, besseren und cooleren Orts im Netz wirbt, der all diese hässlichen Misslichkeiten des Internets in den Hintergrund treten lässt: das "Metaverse".

Erst heute Nacht warb das Unternehmen, dass man in den kommenden fünf Jahren allein in Europa 10.000 Jobs für hochausgebildete Experten schaffen wolle, die sich mit dem Aufbau dieses neuen digitalen Orts befassen sollen. Doch was ist dieses "Metaverse" überhaupt? Und warum genau sieht Facebook seine Zukunft dort? Die Antwort ist weniger klar, als man denken würde.

"Metaverse" ist eine Idee – mit vielen verschiedenen Facetten

Wer glaubt, dass "Metaverse" bereits ein fertig geplantes Produkt von Facebook ist, irrt. Tatsächlich handelt es sich ursprünglich um einen Begriff aus einem Science-Fiction-Roman, "Snow Crash" von Neal Stephenson, aus dem Jahr 1992. Im Buch wird der Begriff für eine virtuelle 3-D-Welt genutzt, in der Menschen mit künstlichen Computer-Repräsentationen – Avataren – wie in einer tatsächlich existenten Welt interagieren.

Wie genau nun ein tatsächliches "Metaverse" ausgestaltet wäre, ist umstritten. Der Investor und Zukunftsvisionär Matthew Ball hat etwa in seinem sehr umfangreichen neunteiligen "Metaverse Primer" eine weltverändernde Technologieverschiebung beschrieben, der heute in vielen Bereichen noch die technischen Voraussetzungen fehlen. Sie kommt den zahlreichen Science-Fiction-Erzählungen von fest bestehenden, weltumspannenden digitalen Welten vermutlich am nächsten.

Facebook, das seit diesem Sommer immer wieder über seine Pläne für "Metaverse"spricht, hat dagegen einen deutlich handhabbareren Ansatz vor Augen. In einer Pressemitteilung beschreibt das Unternehmen im September das "Metaverse" als "eine Reihe von virtuellen Räumen, wo man zusammen Dinge erschaffen und erkunden kann, mit Menschen, die physisch nicht am selben Ort sind wie du".

Dieser Ansatz klingt so weit alles andere als revolutionär. Schließlich gibt es diese Art von Virtual Reality (VR) längst als abgegrenzte Räume, in denen etwa Mitarbeiter über die Kontinente hinweg bestimmte Tätigkeiten in einer digitalen Welt erlernen können.

Selbst die Facebook-Vision braucht noch Jahre, oder sogar Jahrzehnte

Doch die Facebook-Idee von dieser Welt ist tatsächlich größer. "Das 'Metaverse' ist kein einzelnes Produkt, das ein Unternehmen allein bauen kann. Genauso wie das Internet existiert das 'Metaverse' – egal ob Facebook da ist oder nicht." Es geht also auch hier irgendwie um Räume, um virtuelle Werkzeuge und Identitäten, die über verschiedene Dienste hinweg zusammen genutzt werden können – egal ob sie von Facebook, Google, Epic oder einem anderen Unternehmen stammen.

Das ist noch immer weit weg von einer tatsächlichen, persistenten virtuellen Welt, wie sie Matthew Ball vorschwebt. Aber es ist doch etwas, was in der heutigen Welt des Internets, in der jeder Konzern seine Nutzer eifersüchtig gegen andere Dienste abschirmt, nicht umsetzbar wäre. Von der Frage nach der notwendigen Hardware für die virtuellen Welten ganz zu schweigen.

Das ist auch Facebook klar: "Wir werden das nicht über Nacht bauen. Viele dieser Produkte werden erst in den kommenden 10 bis 15 Jahren voll verwirklicht werden", schreibt das Unternehmen in derselben Mitteilung zu seinen bislang wenig konkreten Plänen.

Denn eins ist sicher: Bis zur ersten Version eines "Metaverse" muss noch viel passieren. Das beginnt bei der VR-Hardware selbst. Damit Menschen sich in einer virtuellen Welt wähnen, müssen sie aktuell noch recht klobige VR-Brillen oder Helme tragen. Die Geräte allein sind noch immer so schwer, dass niemand derzeit ernsthaft einen ganzen Arbeitstag damit auf dem Kopf verbringen wollen würde.

Noch viele technische Probleme

Dazu kommt: Damit halbwegs realistische virtuelle Welten simuliert werden können, braucht es äußerst leistungsfähige – und teure – PCs. Darüber hinaus gibt es noch keine überzeugende Lösung, wie man sich natürlich in der virtuellen Welt bewegen soll. Etliche Anwender vertragen die virtuelle Bewegung nicht und erleiden eine Art digitale Seekrankheit.

Diese Probleme glaubt Mark Zuckerberg bis zum Ende des Jahrzehnts aber in den Griff bekommen zu können, erklärte er im Sommer in einem Interview mit "The Verge". Tatsächlich ist Facebook mit seinem Unternehmen Oculus maßgeblich an der Entwicklung solcher VR-Brillen beteiligt und könnte die Entwicklung hier deutlich vorantreiben.

Aller Voraussicht nach ebenfalls notwendig ist allerdings ein schnelles und vor allem äußert verzögerungsarmes Breitbandnetz. Hier ist Facebooks Einfluss schon wesentlich geringer. All das müsste für ein funktionierendes "Metaverse" nicht nur für den Massenmarkt verfügbar, sondern darüber hinaus auch noch bezahlbar sein. Nur so dürfte es gelingen, nennenswerte Zahlen an Nutzern für die geplante VR-Welt zu gewinnen.

Und damit wäre erst die technische Voraussetzung für das "Metaverse"geschaffen. Wie genau dann die einzelnen Unternehmen ihre Softwarewerkzeuge, Dienstleistungen, Zahlungsdienste und ihr Identitätsmanagement miteinander entwickeln und abstimmen sollen, ist eine weitere derzeit ungeklärte Frage.

Blick nach vorn als großes Ablenkungsmanöver?

Tatsächlich ist "Metaverse" eine spannende Idee, die mutmaßlich das Potenzial hat, Gesellschaft, Kultur und Industrie umzukrempeln – ganz so wie es Matthew Ball in seinem Entwurf voraussieht. Allerdings ist es derzeit schlicht wenig mehr als eine Idee. Der Grund, weshalb Facebook seine Zukunftsmusik momentan in so hoher Lautstärke abspielt, könnte auch ein ganz profaner sein.

In der "Washington Post" äußerste Joan Donovan, Forschungsdirektor des Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy an der Harvard University, kürzlich einen Verdacht: Das ganze sei eine klare Ablenkungsstrategie: "Solange man Technologie frisch und neu und cool aussehen lassen kann, kannst du auch Regulierung vermeiden. Und diese Masche kann man mehrere Jahre laufen lassen, bevor die Regierung aufholen kann."

Solange man sich also auf faszinierende Ideen fokussiert – und auf tolle Investitionsmöglichkeiten –, fragt keiner nach den Problemen. Im besten Fall auch nicht nach den derzeit virulenten.

Und in der Tat verbindet Facebook seine kürzlich erfolgte Ankündigung über die Investition von 50 Millionen US-Dollar in die weltweite Erforschung seiner "Metaverse"-Bemühungen mit ausführlichen Erklärungen, wie man diese neue Welt "verantwortungsvoll" aufbauen wolle – und welche Partnerschaften man dafür bereits eingegangen sei. Die Botschaft ist klar: In der neuen Internetwelt machen wir alles besser, versprochen.

Auch die aktuelle Pressemitteilung über die geplanten 10.000 Jobs besteht zu zwei Dritteln des Texts aus Lob für die Europäische Union. Die überschwängliche Lobeshymne, welch wichtige Rolle die Staatengemeinschaft doch dabei spiele, "die europäischen Werte wie Meinungsfreiheit, Datenschutz, Transparenz und die Rechte des Einzelnen im Internet" in neu zu formende Internetregeln zu integrieren, mag irgendwie nicht so recht zu Facebooks bisherigem Geschäftsgebaren passen.

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Ohne Frage käme Facebook ein allgemeiner Blick nach vorne, weg von der problembeladenen Gegenwart, zupass. Trotzdem kann die Idee des "Metaverse" nicht als alleiniges PR-Ablenkungsmanöver abgetan werden. Die Idee ist derzeit viel größer – und facettenreicher –, als Facebook es beschreibt. Sie könnte in Zukunft tatsächlich zu einer neuen Version des Internets werden.

Wie genau das dann aussehen wird und wann genau es kommt, ist heute noch vollkommen offen. Bis zu Welten, wie sie in Büchern wie "Ready Player One" beschrieben werden, ist es noch ein sehr weiter Weg. Echt dürften allerdings Facebooks Ambitionen sein, dieses künftige "Metaverse" maßgeblich mitzugestalten. Hier sollten Politik und Gesellschaft rechtzeitig in eine ernsthafte Debatte über Chancen und Risiken einsteigen und sich nicht zu lange damit abspeisen lassen, wie "frisch und neu und cool" das alles aussehen mag.

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