Gesetzliche Krankenversicherung System unter Druck: Bald 30 statt 90 Krankenkassen?

Die gesetzlichen Krankenkassen driften auseinander. Eine neue Analyse zeigt: Vor allem kleinere Kassen verlieren an Boden, während große profitieren.
Die Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) unterscheiden sich zunehmend stark von Kasse zu Kasse – mit Folgen insbesondere für kleinere Krankenversicherungen. Das geht aus dem "GKV-Check-up 2025" der Unternehmensberatung McKinsey hervor, der dem "Handelsblatt" vorliegt.
Wer in der Vergangenheit Mitglieder verloren hat und die Beiträge erhöhen musste, verliert demnach weiter an Attraktivität. Größere Anbieter, die schon früher stabile Beitragssätze und steigende Mitgliederzahlen vorweisen konnten, wachsen hingegen weiter – etwa die Techniker Krankenkasse (TK). Deren Vorstand Jens Baas sagte dem "Handelsblatt", die TK zähle inzwischen rund zwölf Millionen Versicherte – das entspricht etwa 16 Prozent aller GKV-Versicherten.
Milliarden-Defizit in der GKV
Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen ist generell angespannt: Für das Jahr 2024 wird ein Defizit von rund sechs Milliarden Euro erwartet – deutlich mehr als zunächst prognostiziert. Die Ursachen: Krankenhausaufenthalte und Medikamente sind laut McKinsey jeweils rund neun bis zehn Prozent teurer geworden.
"Mit Anpassungen bei den Zusatzbeiträgen können Krankenkassen die gestiegenen Kosten teilweise kompensieren", erklärt Stephanie Schiegnitz, Partnerin bei McKinsey und Herausgeberin des Check-ups. Einige Kassen haben allerdings bereits die Vierprozentmarke überschritten. Zudem geht der Trend dahin, auch während des laufenden Jahres beim Beitragssatz nachzusteuern – und nicht bloß einmalig zum Jahreswechsel. Zuletzt gesehen bei der BKK Firmus, der günstigsten bundesweit geöffneten Krankenkasse Deutschlands.
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Auch auf Rücklagen können viele Krankenversicherungen kaum noch zugreifen. Eigentlich sind die dafür gedacht, bei Engpässen auszuhelfen – etwa wenn sich die Ausgaben wie aktuell deutlich erhöhen. Doch unter Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurde gesetzlich vorgeschrieben, dass Rücklagen über einer bestimmten Monatsausgabe abgebaut werden müssen. 2023 lag die Gesamtsumme der Rücklagen bei acht Milliarden Euro – 2019 waren es noch mehr als doppelt so viel.
Kassensterben setzt sich fort
Zugleich geht das Kassensterben weiter: Gab es 1970 noch über 1.800 gesetzliche Krankenversicherungen, existieren heute nur noch gut 90. Gesundheitsökonom David Matusiewicz von der FOM glaubt, die von der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt geforderte Zielgröße von 30 bis 40 Krankenkassen dürfte bald erreicht sein.
Parallel verändert sich die Struktur der Versicherten. Mittlerweile sind 46 Prozent der gesetzlich Versicherten über 50 Jahre alt – was wiederum die Leistungsausgaben steigen lässt. Einen Ausgleich soll eigentlich der sogenannte Risikostrukturausgleich liefern. Durch ihn erhalten Kassen mit vielen kranken und älteren Versicherten mehr Geld als solche mit jungen und gesunden. Mitunter verschlimmere dieser Mechanismus die Spaltung zwischen den Krankenkassen jedoch nur. "Manche Kassen profitieren – andere mit ungünstiger Versichertenstruktur werden an die Wand gedrückt", so Matusiewicz.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf den Einsatz einer Kommission geeinigt. Diese soll die gesundheitspolitischen Vorhaben der Koalitionspartner bewerten und bis zum Frühjahr 2027 konkrete Maßnahmen vorschlagen, wie die gesetzliche Krankenversicherung reformiert werden kann.
- handelsblatt.com: "Gesundheit: Kleine Krankenkassen geraten in eine Abwärtsspirale" (kostenpflichtig)
- wiwo.de: "Finanzlage gesetzlicher Krankenkassen: Rekordbeitragssätze belasten" (kostenpflichtig)
- Koalitionsvertrag von Union und SPD