t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeGesundheitKindergesundheit

Erbkrankheit SMA: "Ich habe meine Töchter sterben sehen"


Schwere Erbkrankheit
Roswitha: "Ich habe meine Töchter sterben sehen"

t-online, Simone Blaß

Aktualisiert am 16.02.2015Lesedauer: 5 Min.
Elisa ist genau wie ihre Schwester schon sehr früh an einer Muskelkrankheit gestorben.Vergrößern des BildesElisa ist genau wie ihre Schwester schon sehr früh an einer Muskelkrankheit gestorben. (Quelle: privat)
Auf Facebook teilenAuf x.com teilenAuf Pinterest teilen
Auf WhatsApp teilen

Deutschlandweit werden jährlich 150 Kinder mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) geboren, die Hälfte von ihnen leidet unter der schwersten Form: SMA I. Diese Kinder können nicht sitzen, nicht krabbeln, geschweige denn laufen, irgendwann auch nicht mehr schlucken oder kauen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei zwölf bis 18 Monaten. Auch Julia und Elisa starben viel zu früh.

Quirlig fegt die attraktive Frau zwischen "ihren" Schwangeren hin und her. Ihre Geburtsvorbereitungskurse sind immer ausgebucht. Ein Zeichen dafür, dass es richtig war, nach dem Tod ihrer Töchter den Beruf nicht aufzugeben. "Ich habe von einer Freundin gehört, dass dieser Kurs so toll sein soll. Roswitha ist einfach der Hammer, sie sprüht vor Lebensfreude", meint Anja, die hochschwanger auf ihrer Matte sitzt und sich königlich darüber amüsiert, wie die zierliche Hebamme liebevoll die werdenden Väter aufs Korn nimmt.

Als Hebamme erkannte sie sofort, dass etwas nicht stimmt

Man muss schon genau hinsehen, um zu erahnen, was das Leben Roswitha Glimm und ihrem Mann Reinhard angetan hat. Als würde sich das Schicksal über sie lustig machen wollen, kam Julia an einem Freitag, den 13. zur Welt. 29 war ihre Mutter da, gerade frisch und glücklich verheiratet.

Aber schon wenige Momente nach der Geburt fiel Roswitha aufgrund ihrer Erfahrung die Unbeweglichkeit ihres Babys auf. Doch wie alle Mütter klammerte sie sich an Strohhalme. Versuchte nicht zu vergleichen, wenn sie andere mit ihren Babys traf.

Julia holt ihre Mama zurück ins Leben

Nach einigen Wochen war der Unterschied nicht mehr zu leugnen, Julia musste sich einer Biopsie unterziehen. Mit einem fatalen Ergebnis: Sie litt an SMA Typ I, Lebenserwartung sechs bis acht Monate. Jede Infektion konnte diese Zeit verkürzen. Roswitha stürzte in ein schwarzes Loch. "Ich sah kein Licht mehr in diesem finsteren Tunnel, fand keinen Ausweg und auch keinen Zugang zu meinem Mann."

Julia schien die Verzweiflung ihrer Mama zu spüren. "Es war, als ob ihre Augen mir mitteilen wollten: Ich bin doch noch da, lass uns die Zeit, die wir haben, glücklich sein. Ich habe eine Weile des Selbstmitleids gebraucht, aber diese Botschaft immer stärker wahrgenommen und irgendwann habe ich es geschafft, sie zu verinnerlichen." Julias ruhiges und sonniges Wesen hat Roswitha an ihre wirkliche Aufgabe erinnert. "Ich durfte nicht weiter mit dem Schicksal hadern und am Leben zweifeln. Für Julia wollte ich stark sein, ausgeglichen und glücklich."

Sie verschanzte sich so gut es ging und genoss jede Minute mit ihrem Kind. Die "andere Mutter", die, die aufgrund des Wissens um das grausame Schicksal verzweifelt und ängstlich war, verbarg sie eisern. "Die bittere Tatsache begleitete mich trotzdem permanent." Bis Julia mit 18 Monaten während eines gemeinsamen Mittagessens mit ihren Eltern ganz ruhig einschlief und ihr Tod eine klaffende Wunde hinterließ.

Damoklesschwert baumelt über der Familie

Zwölf schwierige Jahre später, in denen es viel Arbeit kostete, die Beziehung nicht am Erlebten scheitern zu lassen und in denen an der unermesslichen Trauer viele Freundschaften zerbrachen, war Roswitha wieder schwanger. Um dem Schicksal keine Chance zu lassen, ließen sie und ihr Mann das Ungeborene genetisch untersuchen. Der Befund: Mit 98-prozentiger Sicherheit sei alles in Ordnung.

Doch hatte die inzwischen Vierzigjährige starke Bedenken. Das Kind in ihrem Bauch bewegte sich so gut wie nicht. Obwohl sie sich immer wieder sagte, es sei doch alles gut, das hätte sie doch schwarz auf weiß - ein nagender Zweifel blieb und trübte die Schwangerschaft. Als Elisa auf die Welt kam, wurde Roswitha noch in der Klinik mit der bitteren Wahrheit konfrontiert: Auch dieses Kind litt unter der schlimmsten Form von SMA. Ein Moment, der trotz aller Vorahnungen zum Schock bei der frischgebackenen Mutter führte. "Zu sehr hatte mich die Hoffnung während der Schwangerschaft aufrechterhalten."

Es fällt ihr noch heute schwer, über die Ereignisse zu sprechen. "Ich fühlte mich so fassungslos und ohnmächtig, blockiert von den vergangenen Ereignissen. Die pure Angst vor dem Verlustschmerz fraß mich regelrecht auf. Immer wieder dachte ich, ich kann das nicht überleben."

Klinikaufenthalte zehren an Mutter und Kind

Mühsam musste Roswitha wieder lernen, nicht dauernd an das Ende zu denken, sondern den Moment zu genießen. Elisas offenes und temperamentvolles Wesen halfen ihr dabei, ebenso wie die Ruhe und der Optimismus ihres Mannes. "Er hatte nicht nur unser Schicksal zu tragen, sondern auch einiges mit mir durchgemacht. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass er anders trauert als ich, dass das aber nicht weniger wert ist."

Keine Sekunde verbrachte die Mutter ohne ihr Kind. Sie kämpfte während Krankenhausaufenthalten wie eine Löwin um Respekt und Einfühlsamkeit, fühlte sich im Stich gelassen und missverstanden.

"In mir drin ist mit Elisa alles gestorben"

Elisa starb bei einem medizinischen Eingriff, als sie knapp drei Jahre alt war. Trotz Morphin wachte das Mädchen auf, wimmerte, wehrte sich. Elisa hatte eindeutig Schmerzen und sie hatte Angst, so ihre Mutter. "Am liebsten hätte ich ihnen meine Tochter entrissen und geschrien, dass sie das sein lassen sollen. Dass ich es nicht getan habe, hat mich jahrelang mit Schuld erfüllt. Mit dem Gefühl, mein Kind im Stich gelassen zu haben. Natürlich wäre sie gestorben, aber vielleicht erst viel später. Und vor allem nicht so."

Roswitha setzt sich seit dem Tod ihrer Tochter für einen humaneren Umgang mit betroffenen Kindern und Eltern in Krankenhäusern ein. Dafür, dass "die vermeintlichen Götter in Weiß erkennen, dass Eltern und vor allem Mütter besser wissen, was ihrem sterbenden Kind guttut als jedes medizinische Lehrbuch", sagt sie. "Es fehlt oft an Verständnis für die tapferen kleinen Patienten und an einem Gefühl für das, was sie alles ertragen und aushalten müssen. Und es fehlt an Verständnis für die Lage der Eltern."

"Der Schmerz vergeht, die Freude bleibt"

Roswitha und ihr Mann haben ihren Weg zurück ins Leben gefunden. Die zahlreichen Nichten und Neffen halten sie auf Trab. "Aber bis zu der Erkenntnis, dass meine beiden Mädchen ein wunderbares Geschenk des Schicksals waren und wie leer mein Leben ohne sie gewesen wäre, war es ein langer und sehr steiniger Weg."

Roswitha Glimm vergleicht ihre Kinder gerne mit Schmetterlingen, die ihr Leben reich und bunt machten und sie einsam und traurig zurückließen. "Der Schmerz vergeht. Die Freude aber, die sie mir brachten, wird mir bis ans Ende meiner Tage bleiben. Schmetterlinge fliegen nun mal davon. Ich hatte Glück, ich habe sie gesehen", tröstet sich die tapfere Frau und geht wieder zu ihrem Alltag über. Schließlich gilt es, täglich neuen Kindern bei ihrem Start ins Leben zu helfen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website