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Corona-Krise: Pflegeexpertin berichtet von "belastenden Szenen"


Pflegeexpertin über Corona-Krise
"Es gab Szenen, die wirklich psychisch belastend waren"

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 30.06.2020Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Eine Pflegerin in Uttendorf (Österreich) mit Schutzkleidung: Corona-Ausbrüche in Altenheimen sind weltweit ein Problem.Vergrößern des Bildes
Eine Pflegerin in Uttendorf (Österreich) mit Schutzkleidung: Corona-Ausbrüche in Altenheimen sind weltweit ein Problem. (Quelle: Eibner Europa/imago-images-bilder)

Das Coronavirus hat zu Besuchsverboten in Alten- und Pflegeeinrichtungen geführt, nun wird langsam gelockert. Eine Pflegeexpertin berichtet von schwierigen Momenten und erklärt, wie es nun weitergeht.

Sie zählen zu den Risikogruppen der Corona-Pandemie und fühlen sich durch die strengen Maßnahmen teilweise einsam: Senioren leiden besonders unter der Corona-Krise. Ailine Lehmann arbeitet seit Juli 2015 als Abteilungsleiterin Pflege und Generationenarbeit beim DRK-Kreisverband Fläming-Spreewald. Im Gespräch mit t-online.de erklärt sie, wie Angehörige helfen können, welche Maßnahmen aktuell in ihren Pflegeeinrichtungen gelten und was sie sich von der Politik wünscht.

t-online.de: Wie sind die aktuellen Corona-Maßnahmen in Ihren Pflegeheimen? Wie sehen die Lockerungspläne aus?

Ailine Lehmann: Wir hatten bisher immer ein Besuchsverbot in den Einrichtungen. Seit der neuen Verordnung im Land Brandenburg dürfen derzeit maximal zwei Besucher je Bewohner täglich in die Einrichtung kommen. Jeder Bewohner kann also jeden Tag bis zu zwei Gäste empfangen. Nicht nur gleichzeitig, sondern auch zu unterschiedlichen Zeiten. Dafür gibt es Listen, in die die Besuche eingetragen werden müssen. So können wir im Falle einer Infektion auch nachvollziehen, wer wann im Haus war, infiziert sein könnte und informiert werden muss. Und dann können Besucher und Bewohner gemeinsam spazieren gehen oder auch ins Zimmer gehen und sich unterhalten. Eigentlich ist es jetzt fast wie vor der Corona-Krise.

Haben Sie für die Corona-Krise spezielle Arbeitsanweisungen von der Politik bekommen?

Das Land Brandenburg hat immer Eindämmungsverordnungen herausgegeben und da konnte man Besuchsregelungen für Krankenhäuser und Pflegeheime bereits herauslesen. Das war dann lange Zeit das Besuchsverbot mit Ausnahmen für Schwerstkranke und Sterbende. Ein paar Tage nach der Verordnung kam dann immer eine Handlungsempfehlung vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz. Da ging es zunächst um das Besuchsverbot und nun auch um die Besuchslockerung. Denn in der Verordnung liest es jeder ein bisschen anders. Daher war die Handlungsempfehlung immer sehr hilfreich.

Was bedeuten die Beschränkungen für die Bewohner? Wie reagieren sie darauf?

Also für mich hat die Krise am Freitag, den 13., angefangen – aber ab 18. März gab es dann tatsächlich das komplette Besuchsverbot in den Pflegeeinrichtungen. Und das war für alle Beteiligten eine höchst psychische Belastung. Für die Bewohner, für die Angehörigen, aber auch für die Mitarbeiter. Die Angehörigen konnten es teilweise nicht akzeptieren, nicht verstehen und waren dann ungerecht den Kollegen gegenüber, die auch nur umgesetzt haben, was vorgegeben wurde. Bewohner, die geistig fit waren und es auch in den Nachrichten gesehen haben, konnten es verstehen. Und die Mehrzahl der Angehörigen hat die Situation auch akzeptiert. Nichtsdestotrotz: Wenn ein Ehemann jeden Tag kommt, um seine Frau zu begleiten, und dann nicht mehr kommen darf, ist das schon eine belastende Situation für alle Seiten. Da bekomme ich direkt wieder Gänsehaut, weil uns das auch so nahegeht.

Gab es Lösungen, um die Situation zu verbessern?

Wir haben aber natürlich nicht nur hier gesessen und gewartet, sondern haben uns überlegt, was könnten wir tun, um die Angehörigen am Leben der Bewohner teilhaben zu lassen. Und dann haben wir angefangen, zu skypen. Wir haben uns Tablets aus den geschlossenen Kitas geholt, es wurde WLAN in den Heimen eingerichtet. Und dann konnten die Angehörigen mit ihren Verwandten skypen. Wir haben WhatsApp-Videos gedreht und die Angehörigen haben selbst welche gedreht und geschickt. Auch Briefe und Postkarten waren wieder im Trend. Kinder haben Bilder gemalt. Einige Angehörige haben sich auch vor die Fenster gestellt, damit man sich mal sieht.

Wie können Angehörige ihren betroffenen Familienmitgliedern helfen?

Die Laptops und Tablets sind noch da, sollte es wieder ein Besuchsverbot geben, können wir das Skypen natürlich wieder hochfahren. Wir gucken natürlich auch, wie wir für den einzelnen Bewohner eine passende Lösung finden. Der eine kann skypen, der andere versteht ein Video, dem nächsten reicht es, die Familie am Fenster zu sehen oder Bilder von den Enkeln zu bekommen. Was natürlich nicht so schön ist: wenn viel geweint wird. Es gab Szenen, die wirklich psychisch belastend waren – auch für die Mitarbeiter vor Ort.

Zum Gebiet von Ailine Lehmann gehören drei vollstationäre Pflegeeinrichtungen mit 185 Pflegeplätzen. Hinzu kommen zwei betreute Wohnanlagen, vier ambulante Dienste, davon ein Dienst ausschließlich für palliative Pflege und vier Tagespflegen mit insgesamt rund 350 Mitarbeitern sowie sieben Mehrgenerationenhäuser und Familienzentren. Alle Einrichtungen sind im DRK-Kreisverbandsgebiet der Landkreise Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald.

Wie groß ist das Infektionsrisiko für die Menschen in Ihren Häusern? Was passiert, wenn sich ein Bewohner infiziert?

Glücklicherweise hatten wir bisher keinen Corona-Fall in unseren Häusern. Und wenn ich ehrlich bin, möchte ich das auch nicht erleben. Weil wir eben eine Hochrisikogruppe in den Häusern haben. Sollte eine Infektion ins Haus eingetragen werden, müssen wir natürlich den betroffenen Bewohner isolieren. Wir haben schon einige Verdachtsfälle gehabt, bei denen wir so verfahren sind. Dann werden Hygienemaßnahmen erhöht, der Bewohner wird von Mitarbeitern mit Schutzausrüstung versorgt und darf beispielsweise nicht mehr zum gemeinsamen Essen dazukommen, sondern wird einzeln mit Mahlzeiten versorgt. Also es gibt schon Notfallpläne. Wir mussten ja auch unsere Tagespflegen schließen, in diesen Gebäuden hätte man betroffene Bewohner isolieren können.

Wie groß ist die Angst Ihrer Angestellten, sich zu infizieren?

Die Kollegen kommen alle aus der Pflege, sind gestandene Pflegekräfte, viele schon über Jahre. Aber wir sind auch ein Querschnitt der Bevölkerung. Also sind die Kollegen auch ganz unterschiedlich mit der Situation umgegangen. Einige waren sehr ängstlich, hatten auch Angst, vielleicht Familienangehörige anzustecken. Andere hatten eine gesunde Vorsicht, um sich selber und die Bewohner zu schützen. Und das hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die ersten vier bis sechs Wochen waren schon sehr extrem für alle Beteiligten. Weil man nicht wusste, was kommt. Und dann hat man gelesen, dass es in anderen Bundesländern vermehrt Tote in Pflegeheimen gab. Da waren viele schon sehr unsicher. Aber wir hatten immer einen guten Zusammenhalt unter den Kollegen.

Haben Sie über die Zeit der Pandemie bis heute immer ausreichend Schutzmaterial gehabt?

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Also für eine zweite Welle, die hoffentlich nicht kommt, sind wir bestens ausgestattet. Aber anfangs hatten wir natürlich auch die Probleme, die es überall gab: Wir hatten massive Probleme, FFP2-Masken zu bekommen, Desinfektionsmittel oder auch Handschuhe – alles, was man so brauchte. Aber wir haben zuverlässige Lieferanten, die auch die Preise nicht exorbitant angehoben haben. Der DRK-Landesverband und die Landkreise haben bei der Versorgung unterstützt. Nachdem sich das dann nach ein paar Wochen eingespielt hatte, waren wir auch gut ausgestattet mit Schutzausrüstung.

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Der Bund hat einen Pflegebonus von bis zu 1.500 Euro versprochen. Ist der bei Ihren Mitarbeitern schon angekommen?

Diese "Corona-Prämie" ist theoretisch da, praktisch noch nicht. Ich habe ehrlich gesagt auch nicht damit gerechnet, dass es wirklich so kommt, als Herr Spahn sagte: Pflegekräfte bekommen für ihren Einsatz in der Corona-Krise bis zu 1.500 Euro. Es ist aber tatsächlich so, dass wir Mitte Juni die Anspruchsberechtigten für die erste Phase der Krise an den GKV-Spitzenverband melden sollten. Wir warten jetzt auf die Prüfung und den Zahlungseingang, sodass wir mit der nächsten Lohnzahlung den Mitarbeitern diesen Bonus auszahlen können. Dann gibt es noch einen nächsten Stichtag Ende Oktober, damit die Kollegen für den weiteren Verlauf der Krise gemeldet werden können. Ich gehe zu 99,9 Prozent davon aus, dass die 1.500 Euro für Pflegefachkräfte auch tatsächlich ausgezahlt und an die Kollegen weitergeleitet werden können. Ich bin da sehr zuversichtlich und freue mich total für die Kollegen, die sich das verdient haben.

Was wünschen Sie sich von der Politik und von den Bürgern in Deutschland für Ihren Berufsstand?

Wir haben ja gesehen, dass wir in Krisenzeiten dann doch zum strukturrelevanten Bereich gehören. Und mir wäre lieb, wenn die Bevölkerung sieht, dass in der Pflege – nicht nur in der Krise, sondern das ganze Jahr über – Menschen arbeiten, die den Beruf mit Liebe ausüben. Und die Menschen sollten sich bewusst machen, dass sie auch selber einmal alt werden und vielleicht Pflege benötigen. Die Wertschätzung, die wir in der Krise erhalten haben, würde ich mir auch darüber hinaus wünschen. Und vielleicht entsteht daraus ja für junge Leute der Gedanke "Mensch, so schlecht ist es ja nicht, in der Pflege zu arbeiten" und sie entscheiden sich für ein Studium oder eine Ausbildung in diesem Bereich.

Von der Politik würde ich mir eine Reform der Pflegeversicherung wünschen, weil die Eigenanteile der Bewohner immer weiter steigen. Jede Gehaltserhöhung für die Kollegen wird letztendlich von den Bewohnern getragen. Da muss eine Reform her. Und ich wünsche mir aber auch von der Pflege, dass wir stolz sind auf das, was wir erreicht haben und nicht immer nur jammern.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lehmann!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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