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Tierschutz: Jedes vierte Fleischprodukt stammt von einem kranken Tier


Mehr Transparenz reicht nicht
"Jedes vierte Fleischprodukt stammt von einem kranken Tier"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 24.06.2021Lesedauer: 5 Min.
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Salamis hängen zum Trocknen (Symbolbild): Die Bundesregierung wollte mit einem Kennzeichen mehr Transparenz darüber schaffen, wie Tiere vor ihrer Schlachtung gehalten wurden.Vergrößern des Bildes
Salamis hängen zum Trocknen (Symbolbild): Die Bundesregierung wollte mit einem Kennzeichen mehr Transparenz darüber schaffen, wie Tiere vor ihrer Schlachtung gehalten wurden. (Quelle: imago-images-bilder)

Viele Würstchen haben eine lange Krankenakte. Verbraucherschützer Matthias Wolfschmidt erklärt im Interview, wieso das jüngst gescheiterte Tierwohllabel daran nichts geändert hätte.

Frische Luft für Schweineschnauzen hatte sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) gewünscht. Die Tiere sollten in Deutschland außer Auslauf auch mehr Platz im Stall bekommen, dazu Stroh zum Wühlen. Schaffen wollte Klöckner das mit einem freiwilligen Tierwohllabel für Fleisch und Wurst.

Kundinnen und Kunden sollten so besser über Haltungsbedingungen informiert werden: Wie wurden die Schweine und Rinder gehalten, die in meinen Würstchen stecken? Aus welcher Art Hühnerstall stammt die Putenbrust für den Grill?

Darum hätte es in diesen Tagen auch im Bundestag gehen sollen, gerade läuft die letzte Sitzungswoche vor Sommerpause und Bundestagswahl. Allein: Die Abstimmung über das neue Logo hat es aber nicht auf die Tagesordnung geschafft.

Angesichts der nahenden Sommerpause des Parlaments und den Wahlen im September bedeutet das: Es wird vorerst weiterhin kein staatliches Tierwohllabel geben. Macht nichts, sagt Verbraucherschützer Matthias Wolfschmidt von der NGO Foodwatch im Gespräch mit t-online.

t-online: Herr Wolfschmidt, wie finden Sie es, dass auf Steaks und Salami vorerst kein staatliches Tierwohllabel kleben wird?

Matthias Wolfschmidt: Wir sind gar nicht traurig darüber, dass das erst einmal wieder gescheitert ist. Das Tierwohllabel der Bundesregierung hätte die Leute emotional erpresst und sie gleichzeitig in die Irre geführt.

Wieso?

Da wird gesagt: Wenn ihr bereit seid, mehr für Fleisch und Wurst zu zahlen, führt das automatisch dazu, dass es den Tieren besser geht. Und das stimmt einfach nicht. Dieses staatliche Label sollte transparent machen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten werden. Ich möchte natürlich auch, dass die Tiere nur auf Einstreu stehen, mehr Platz haben und raus können, wenn sie wollen. Aber diese Kriterien reichen nicht, um Tierschutz zu garantieren. Ganz wichtig ist auch, ob die Tiere gesund waren – kranke Tiere können sich gar nicht wohlfühlen. Über den Gesundheitszustand kann so ein Haltungskennzeichen aber gar nichts aussagen.

Das klingt fast so, als läge massenhaft Fleisch von kranken Tieren in der Kühltheke.

Als Faustregel können Sie von Folgendem ausgehen: Jedes vierte Fleischprodukt im Supermarkt stammt von einem Tier, das in seinem Leben nachweislich signifikant krank war.

Matthias Wolfschmidt ist ausgebildeter Veterinärmediziner. Als Leiter der europaweiten Kampagnen der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch gibt er die Richtung für die internationale Arbeit der Organisation vor. Er ist außerdem stellvertretender internationaler Geschäftsführer von Foodwatch. Die NGO engagiert sich im Bereich des Lebensmittelrechts, um die Rechte und Interessen von Verbrauchern zu fördern.

Was heißt das?

Beispielsweise bei ungefähr jedem dritten Schwein zeigt der Schlachtkörper Hinweise darauf, dass das Tier nicht gesund war. Besonders häufig sind Abszesse, verklebte Lungenflügel, ein Hinweis auf durchgemachte Lungenentzündungen, und Anzeichen für Leber- oder Gelenkserkrankungen. Und das während ihres kurzen sechsmonatigen Lebens.

Wie kann man wissen, welches Fleisch von gesunden und glücklichen Tieren kommt?

Gar nicht. Als Verbraucher können Sie nicht wissen, ob ein Tier krank war. Da fängt ja die ganze Absurdität der Debatte schon an: Ausgerechnet wir Verbraucherinnen und Verbraucher sollen wissen und entscheiden können, wie es den Tieren ergeht, welche Schmerzen, Leiden und Schäden sie durchmachen. Dabei sind wir buchstäblich am letzten Ende der Nahrungskette.

Es gibt doch aber durchaus hilfreiche staatliche Kennzeichnungen, wie das Bio-Siegel. Oder Fleisch, das erkennbar von kleinen regionalen Höfen stammt.

Den Tieren geht es nicht nur in der sogenannten Massentierhaltung schlecht. Viele Menschen glauben, bei einem Produkt von einem kleinen Bauernhof gebe es automatisch die Gewähr, dass es den Tieren dort gut geht. Als Tierarzt aber kann ich Ihnen sagen: so ist es leider nicht. Auch bei der ökologischen Tierhaltung gibt es eine große Spannbreite beim Tierschutz – von exzellent bis desaströs. Es hängt komplett davon ab, was die Leute, die diesen Betrieb führen, mit den Tieren anstellen. Wenn der Bauer es nicht draufhat, hilft der beste Stall auch nicht.

Wie viel Verantwortung trägt der einzelne Bauer dafür, wenn Schlachtvieh krank ist?

Wir Menschen können die Lebensbedingungen der Tiere ganz gravierend beeinflussen. Deswegen liegt die Verantwortung auch bei den Landwirtinnen und Landwirten. Aber ich will die Bauern auch nicht allein lassen, sie sind vielfach selbst Opfer. Denn der finanzielle und psychische Druck auf den Höfen ist extrem. Unser Anspruch als Verbraucherorganisation ist, dass wir Produkte von gesunden Tieren bekommen. Das ist aber eine politische Entscheidung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Der einzelne Landwirt ist damit überfordert.

Eine Haltungskennzeichnung ist Ihrer Meinung nach also der falsche Weg. Was wäre denn dann der richtige?

Die Politik muss klare Vorgaben machen und Anreize setzen, mit dem Ziel: Gesunde Tiere sind der Maßstab für erfolgreichen Tierschutz auf jedem Hof. Dann werden sich die Betriebe nach und nach umorientieren. Bisher bekommen Bauern, die top gearbeitet haben und kaum kranke Tiere im Schlachthof abliefern, keinerlei Bonus. Gleichzeitig akzeptiert der Staat, dass es Betriebe gibt, in denen 90 Prozent der Tiere krank gemacht worden sind. Guter Tierschutz muss endlich entlohnt werden.

Die Bundesregierung hatte schon 2019 einen Gesetzesentwurf für ein „Tierwohl-Label“ auf den Weg gebracht. Seitdem steckte der Plan im Parlament fest: die SPD-Fraktion wollte ein verpflichtendes Label, die Union bestand darauf, es bei einer freiwilligen Kennzeichnung zu belassen. Ob und wie es mit dem neuen Siegel weitergeht, entscheidet auch die Bundestagswahl im September.

Wie könnte das konkret aussehen?

Das muss über eine betriebsgenaue Erfassung der Tierschutzleistung laufen. Bei Fleisch und Geflügel kann man das relativ leicht objektivieren. Nicht über Haltungsbedingungen, sondern wenn man sich die Schlachthofbefunde anguckt. Das sind alles Informationen, die dem Staat gehören. Aber sie werden weder systematisch erfasst noch entsprechend ausgewertet. Wenn der politische Wille besteht und man solche Regeln aufstellt, könnte man darüber schon jetzt den Gesundheitszustand jedes geschlachteten Tieres abrufen. Auch für jedes Huhn. Alle nötigen Informationen sind da, doch sie werden nicht genutzt, um das im Grundgesetz verankerte Staatsziel Tierschutz zu erreichen.

Also im Ergebnis dann auch wieder ein Produktlabel?

Ziel muss sein, dass es so gut wie kein Fleisch von kranken Tieren mehr gibt. Da braucht es auch kein Label. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Zuerst müssen den Betrieben ihre eigenen Tierschutzleistung zurückgespiegelt werden: Du hast so und so viele auffällige Tiere angeliefert. Im Vergleich zu anderen Mastbetrieben stehst du damit auf Platz X, da müssen wir was machen.

Reicht das schon aus?

Nein. Zusätzlich müssen wir versuchen, die Tierschutzsituation in den einzelnen Betrieben besser zu machen, angefangen beim schlechtesten Drittel, wo die Probleme am größten sind. Für eine Übergangsphase könnte es Qualitätsstufen geben, wenn also Fleisch von kranken Tieren erstmal weiter vermarktet wird, zum Beispiel in Salami, Pizza oder Fertiglasagne, müsste das ausgewiesen werden.

Was würde mit Betrieben passieren, die trotz Hilfestellung weiter viele kranke Tiere im Schlachthof abliefern?

Bei Leuten, die in ihren Ställen dauerhaft keinen vernünftigen gesundheitlichen Tierschutz hinkriegen, muss man ab einem bestimmten Zeitpunkt sagen: Ihr könnt keine Tiere mehr halten. Die müssen dann etwas anderes machen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Matthias Wolfschmidt
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