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Julia Klöckner: Wie neutral ist die Bundestagspräsidentin?


Debatte um Julia Klöckner
"Ihr höchstes Gut ist ihre Reputation"


Aktualisiert am 12.07.2025 - 12:50 UhrLesedauer: 6 Min.
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Julia Klöckner: Sie übt ihr Amt als Bundestagspräsidentin mit Strenge aus. (Quelle: IMAGO/Frederic Kern/imago)
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Julia Klöckner steht als Bundestagspräsidentin in der Rangfolge der höchsten Staatsämter noch vor dem Bundeskanzler. Ein bedeutungsvoller Job mit großer Verantwortung also. Doch die Kritik an der CDU-Politikerin reißt nicht ab. Zu Recht?

Fehlbesetzung – dieses Wort begleitet Julia Klöckner schon, seit sie als Bundestagspräsidentin gestartet ist. Kein Wunder, der Anspruch an das Amt ist hoch. Immerhin kommt es in der protokollarischen Rangordnung der höchsten Ämter in Deutschland an zweiter Stelle, direkt nach dem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten. Also sogar noch vor dem Bundeskanzler, ihrem Parteifreund Friedrich Merz.

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"Klöckner muss dringend in ihre neue Rolle hineinwachsen – oder den Platz freimachen für jemanden, der das kann", tönte etwa der Linken-Vorsitzende Jan van Aken schon im April dieses Jahres. Da war die CDU-Politikerin, die im Bundestag für Ordnung sorgen soll, gerade ein paar Wochen im Amt. Ausgerechnet mit den Kirchen hatte die Christdemokratin sich vergaloppiert, ihnen vorgeworfen, sich allzu sehr in das politische Tagesgeschäft einzumischen. Inzwischen ist es Sommer – und die Debatte um sie reißt nicht ab.

Ähnlich wie der Bundespräsident kann sie in ihrer Rolle als Moderatorin in den teils hitzigen, gesellschaftlichen Debatten wirken. Klöckner aber hat sich offenbar entschieden, diese zu befeuern. Auch in der letzten Woche vor der Sommerpause des Bundestags ist sie wieder mit strengen Ermahnungen aufgefallen, sogar die Bundestagspolizei kam zum Einsatz, wieder ging es um Regenbogenflaggen. Ist Klöckners Vorgehen verhältnismäßig? Überschreitet sie womöglich die ihr anvertrauten Kompetenzen?

Spätestens seit Klöckner entschieden hat, die Regenbogenflagge auf dem Parlament zum Christopher Street Day (CSD) nicht zu hissen, muss sie sich dafür rechtfertigen, wie neutral sie ihr Amt ausübt. Eine neue Kontroverse um die 52-Jährige ist vergangene Woche entbrannt, weil die Bundestagsverwaltung mehrere Abgeordnete aufgefordert hatte, an ihren Büros angebrachte Regenbogenfahnen zu entfernen. Bei der reinen Aufforderung ist es offenbar nicht geblieben. "Wegen der Regenbogenflagge an meinem Büro im Bundestag wurde die Bundestagspolizei gerufen", schrieb etwa die Linken-Abgeordnete Stella Merendino.

Dauerthema Regenbogenflagge

Klöckners Sprecher betonte, dass es bei der Aktion nicht konkret um die Kontrolle von Regenbogenfahnen gegangen sei. Die Hausordnung des Deutschen Bundestags sei allen bekannt. Darin heißt es: "Das Anbringen von Aushängen, insbesondere von Plakaten, Postern, Schildern und Aufklebern an Türen, Wänden oder Fenstern in den allgemein zugänglichen Gebäuden des Deutschen Bundestages sowie an Fenstern und Fassaden dieser Gebäude, die von außen sichtbar sind, ist ausnahmslos nicht gestattet."

Und für die strikte Umsetzung der Regeln plädiert Klöckner ausdrücklich. Mal ein Auge zudrücken – das lehnt Klöckner ab. Sie gibt sich beharrlich. Es gebe Grundregeln, sagte sie im Politico-Podcast. Die Übergänge seien fließend, deshalb brauche es manchmal auch Strenge. So verwies sie vor einigen Wochen die Linken-Abgeordnete Cansin Köktürk wegen eines Palästina-Shirts aus dem Plenarsaal des Bundestags. Und der Linken-Abgeordnete Marcel Bauer musste wegen einer Baskenmütze auf dem Kopf den Saal verlassen. Kopfbedeckungen sind zwar nicht per se im Bundestag verboten. Aber so wie das politische T-Shirt muss auch die Mütze laut Hausordnung "der Würde des Hauses entsprechen". Julia Klöckner sah diese Würde beschädigt.

Klöckner: "Wir bezichtigen uns hier nicht der Lüge"

Video | Klöckner weist Zwischenrufer zurecht
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Aber Klöckner achtet nicht nur auf Äußerlichkeiten. Der Linken-Abgeordnete Luigi Pantisano kassierte etwa einen Ordnungsruf, weil er eine Aussage des AfD-Abgeordneten Bernd Baumann zur Migrationspolitik in einem Zwischenruf als "Lüge" bezeichnete. Sein darauffolgender Einspruch gegen den Ordnungsruf wurde abgelehnt. Auch vergangene Woche drohte Klöckner gleich mehrfach mit Ordnungsrufen, weil Abgeordnete das Wort "Lüge" in den Mund genommen hatten. Es ist ein Wort, das Julia Klöckner im Plenum offenbar nicht hören will.

"Ich weiß nicht, ob das ein kognitives Problem ganz rechts und ganz links hier im Haus ist: Wir haben hier festgehalten, dass wir uns nicht persönlich herabwürdigen als Lügner und uns nicht der Lüge bezichtigen", sagte sie an AfD-Politiker Kay Gottschalk gerichtet. Sie drohte: "Wer jetzt noch einmal meine Sitzungsleitung infrage stellt und den anderen als Lügner bezeichnet, kassiert einen Ordnungsruf."

Ein Ordnungsruf ist zwar nicht viel mehr als ein symbolischer Tadel. Er wirkt aber auch als politische Maßregelung und öffentliche Bloßstellung. Mehrere Ordnungsrufe können außerdem zu schärferen Sanktionen, wie etwa einem Verweis aus dem Sitzungssaal, führen.

Auch Linken-Politiker Dietmar Bartsch handelte sich eine Ermahnung von Klöckner ein, als er sagte: "Herr Klingbeil, Ihr Haushalt ist auf Unwahrheiten gebaut." Klöckner erwiderte: "Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn man anderer Meinung ist, bezichtigen wir uns hier nicht persönlich der Lüge."


Quotation Mark

Wer jetzt noch einmal meine Sitzungsleitung infrage stellt und den anderen als Lügner bezeichnet, kassiert einen Ordnungsruf.


Julia Klöckner


Klöckners Logik ist offenbar: Es gibt keine Lügen, sondern nur unterschiedliche Ansichten. Das mag an die Methode Donald Trump und die "alternativen Fakten" erinnern – ein Begriff, den die ehemalige Trump-Beraterin Kellyanne Conway in dessen erster Amtszeit als Präsident geprägt hat. Klöckner läuft Gefahr, sich mit ihrem rigiden Regiment zur Richterin über Lügen und Wahrheiten aufzuschwingen.

Der Politikwissenschaftler Danny Schindler, Direktor des Instituts für Parlamentarismusforschung, hat Zweifel an Klöckners Vorgehen in diesen Fällen. "Es ist schwierig zu entscheiden, wann denn eine Unwahrheit vorliegt und wann nicht, es gibt ja keinen Live-Fakten-Check", sagte er t-online. Schindler betont, dass in der politischen Debatte "harte Auseinandersetzungen" erlaubt seien. Seines Erachtens müsse man sich in einer Demokratie auch überzogene Kritik gefallen lassen. "Das ist absolut legitim im parlamentarischen Raum", so Schindler. Nur verletzend oder herabsetzend sollte die Kritik nicht sein. Es sei auch legitim für die Opposition, mit dem Vorwurf der Unwahrheit zu agieren.

Kritik an Klöckner ist nicht neu

Gleichzeitig findet der Politikwirtschaftler nicht, dass Klöckner für eine Bundestagspräsidentin insgesamt ungewöhnlich agiert. "Sie nimmt ihr Amt sehr robust wahr und ist auch nicht konfliktscheu. Das sollte sie aber auch nicht sein", sagt Schindler. Er frage sich, ob an Klöckner vielleicht doch ein Stück weit andere Maßstäbe angelegt würden, weil sie eine Frau ist.

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Hätte es eine ähnliche Debatte bei ihrem Vorvorgänger Wolfgang Schäuble gegeben, der sein Amt ebenfalls robust ausgeübt habe, fragt Schindler. "Oder spielt das irgendwie im Unterbewusstsein bei dem einen oder anderen vielleicht eine Rolle, dass wir jetzt eine Frau haben, die entsprechend robust agiert?" Gleichzeitig betont der Politikwissenschaftler, dass Klöckner bereits vor ihrem Amtsantritt polarisierte.

Die CDU-Politikerin aus Rheinland-Pfalz ist schon lange dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Bis heute ist ein Video aus ihrer Zeit als Verbraucherschutzministerin Thema, in dem sie den Nahrungsmittelkonzern Nestlé über den grünen Klee lobte. Schon damals wurde ihre Neutralität infrage gestellt, ihr zu viel Nähe zur Lebensmittelindustrie vorgeworfen. Vor der Bundestagswahl in diesem Jahr löste Klöckner dann mit dieser Aussage Ärger aus: "Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU."

Apropos AfD. Schindler betont, dass sich mit dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 auch dort viel verändert habe. Das sieht man zum Beispiel daran, dass die Zahl der Ordnungsrufe seitdem deutlich zugenommen hat. Von 2013 bis 2017 erteilte das Bundestagspräsidium lediglich zwei Ordnungsrufe, in der Legislatur davor war es sogar nur ein einziger – ein historischer Tiefstand. Von 2017 bis 2021 waren es dann nach Angaben des Bundestags 47, von 2021 bis 2025 sogar mehr als 100.

Klöckner muss "gerecht und unparteiisch" agieren

Das zeigt: Auch unter Klöckners Vorgängerin Bärbel Bas (SPD) und davor Wolfgang Schäuble wurden Abgeordnete im Plenum regelmäßig wegen ihres Verhaltens zur Ordnung gerufen. Zumindest das hat Klöckner nicht für sich erfunden. Dennoch polarisiert sie offensichtlich deutlich stärker. In den vergangenen Monaten verging kaum eine Woche, in der sie ihr Handeln nicht verteidigen musste.

Fakt ist: Die Geschäftsordnung des Bundestags hält fest, dass es Klöckners Job ist, nicht nur die Ordnung zu wahren, sondern auch, "die Verhandlungen gerecht und unparteiisch" zu leiten. Während Klöckner argumentiert, eben genau dies zu tun, wirft ihr vor allem die Opposition vor, nicht neutral zu sein. "Man wächst mit dem Amt. Ich will gar nicht ausschließen, dass es da Lerneffekte gibt", sagt Politikwissenschaftler Schindler mit Blick auf Klöckners Amtsführung.

Wer mit Klöckners Arbeit unzufrieden ist und sie gar aus dem Amt jagen will, wird aber wohl nicht viel erreichen können. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde noch kein Bundestagspräsident abgewählt. Eine solche Abwahl ist auch gar nicht explizit geregelt – und damit eher eine theoretische Option, die als quasi ausgeschlossen gilt.

"Ihr höchstes Gut ist ihre Reputation", sagt Schindler. "Und damit muss man natürlich sorgfältig umgehen als Präsidentin, als Präsident. Das gelingt in erster Linie dadurch, dass man unparteiisch agiert, dass man alle gleich behandelt." Aber gemessen daran, wie Julia Klöckner bislang agierte, dürfe die nächste Kontroverse im Hohen Haus nicht lange auf sich warten lassen.

Verwendete Quellen

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