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Einzelkinder: Wie leben Ein-Kind-Familien?


Verwöhnt, egoistisch, altklug
Sind Einzelkinder wirklich so schlimm?

t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli

Aktualisiert am 18.08.2014Lesedauer: 5 Min.
Einzelkinder: Die Zahl der Ein-Kind-Familien nimmt zu.Vergrößern des BildesDie Zahl der Ein-Kind-Familien nimmt zu. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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In Deutschland gibt es immer mehr kinderlose Haushalte. Auch die Anzahl der Ein-Kind-Familien nimmt zu. Aber ist das wirklich so schlimm? Oder müssen Einzelkinder einfach nur anders erzogen werden? Darauf sollten Ein-Kind-Eltern jedenfalls achten - Tipps, wie Einzelkinder ganz "normale" Kinder werden.

Einzelkinder werden häufig argwöhnisch betrachtet, weil der Status "Einzelkind“ noch immer mit vielen Vorurteilen behaftet ist. Doch es kann Entwarnung gegeben werden: Studien bessern den schlechten Ruf der Einzelkinder auf. Eltern sollten jedoch bei der Erziehung trotzdem auf bestimmte Verhaltensweisen achten.

Wie viele Kinder machen eine Familie?

"Ist das Zweite denn schon unterwegs?“ Fragen wie diese kennen fast alle Ein-Kind-Eltern. In der öffentlichen Meinung ist es bis heute weit verbreitet, dass erst mehrere Kinder eine richtige Familie ausmachen.

Auch in Internetforen wird dieses Thema heftig diskutiert und viele Ein-Kind-Eltern kommen nicht selten unter Rechtfertigungsdruck. Nele schreibt: "Ich weiß ja, dass viele sich heute zwei oder mehr Kinder wünschen, aber wir haben uns bewusst für ein Einzelkind entschieden und dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen das Finanzielle. Ich hatte nämlich selber zwei Geschwister und musste auf einiges verzichten. Und zum zweiten das Emotionale: Als mein Sohn vor sechs Jahren auf die Welt kam, da war mir klar, dass in meinem Herzen gar kein Platz für ein zweites Kind wäre.“ Oder Christina meint: “Wir sind beide so veranlagt, dass wir uns gerne mal was kaufen ohne recht aufs Geld zu schauen - auch für unsere Kleine. Und wir fahren auch öfters in Urlaub. Mit einem Kind ist dies gut machbar, aber mit zwei?“

Für Milla dagegen spielt der Beruf eine entscheidende Rolle: "Im Moment bin ich noch zuhause, aber wenn mein Kleiner in den Kindergarten kommt, möchte ich schon gerne wieder arbeiten. Nach einem zweiten Kind mit demselben Betreuungstiming würde es wahrscheinlich schwierig, beruflich wieder Fuß zu fassen.“

Betreuungsprobleme und Wertewandel

Für den Entwicklungspsychologen und führenden deutschen Geschwister- beziehungsweise Einzelkind-Forscher Hartmut Kasten sind solche Aussagen typisch. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema und erklärt in einem ZDF-Interview: "Die Gesellschaft ist nicht kinderfreundlich, gerade für die staatlich unterstützte Kleinkinderziehung wird viel zu wenig getan. In der Wertewelt der Erwachsenen steht heute die Selbstverwirklichung, die individuelle Lebensqualität im Vordergrund.“ Ein Kind in die Welt zu setzen, bedeute heute für viele Paare, sich lange Jahre einzuschränken und umorientieren zu müssen. Viele seien nicht bereit, das in Kauf zu nehmen.

In seiner Studie "Entwicklung von Einzelkindern“ fand er außerdem heraus, dass Ein-Kind-Eltern ganz bestimmte soziale und ökonomische Lebensumstände zuzuordnen sind. Danach seien sie häufiger beide berufstätig, seien Akademiker und selbstständig tätig, praktizierten in ihrer Beziehung die traditionelle Rollenverteilung weniger streng, lebten öfter ohne Trauschein und auch Trennungen beziehungsweise Scheidungen kämen in diesen Kleinfamilien häufiger vor. Außerdem spielten diese Eltern meist viel mit ihren Kindern und hätten öfter Körperkontakt zu ihrem Nachwuchs.

Mit Klischees konfrontiert

Dass sie anders als kinderreichere Familien sein sollen, spüren Ein-Kind-Familien nur allzu häufig. Denn jede Menge Vorurteile existieren über die problematischen "Solitär-Sprösslinge“, die ohne Geschwister aufwachsen. Danach sollen Einzelkinder verwöhnt, überbehütet, egoistisch, herrschsüchtig, kontaktarm und altklug sein. Schon kleine "Anekdoten“ aus dem Alltag zeigen, dass ihr Verhalten offenbar besonders kritisch unter die Lupe genommen wird. Katrin, Mutter einer vierjährigen Tochter, erzählt von ihrem letzten unerfreulichen Spielplatzbesuch: "Als meine Kleine im Sandkasten spielte und ein etwa gleichaltriger Junge versuchte ihr die Schaufel wegzunehmen, wehrte sie sich mit Händen und Füßen, sie wurde handgreiflich. Sekunden später stürmte eine erzürnte Mutter auf mich zu und fragte‚ ‘Ihr Kind kann wohl gar nicht teilen? Ist bestimmt ein Einzelkind!‘“

Ohne soziale Defizite

Dass solche hartnäckigen Klischees, die aus längst vergangenen kinderreichen Generationen herrühren, als Einzelkinder noch als seltsame und sozial isolierte Wesen angesehen wurden, nicht mehr der Wahrheit entsprechen, belegen mittlerweile zahlreiche Studien, an denen auch Psychologe Hartmut Kasten mitwirkte: "Solche Vorurteile sind längst auf dem Friedhof der Sozialwissenschaften begraben worden. Denn unsere heutigen Einzelkinder sind ganz normale Kinder ohne soziale Defizite, häufig können sie sogar besser abgeben und teilen als Kinder mit Geschwistern." Zudem pflegten Einzelkinder ihre Freundschaften meist intensiver und seien in ihren Cliquen sehr beliebt. Sie hätten allerdings etwas größere Schwierigkeiten, sich bei Konflikten, nötigenfalls auch mit ein wenig "Ellenbogen“, in einer Gruppe durchzusetzen, so eine weitere Erkenntnis des Psychologen.

Auch der Aachener Psychotherapeut Thomas von Kürthy kam nach einer großangelegten Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Einzelkinder freundlicher, optimistischer und sozialer seien als andere Kinder. Und amerikanische Studien belegten, dass diese Kids oft kontaktfreudig und selbstkritisch aufträten. Außerdem seien sie, wahrscheinlich bedingt durch den intensiven Kontakt zu den Eltern und deren häufig hohe Erwartungshaltung, meist besser in der Schule, erreichten höhere Abschlüsse und hätten auch einen größeren Wortschatz als ihre Altersgenossen mit Geschwistern.

Andere Kinder garantieren "Normalität“

Das Wichtigste bei der Entwicklung von Einzelkindern ist, ihnen kontinuierlich den Umgang mit Spielkameraden beziehungsweise Freunden zu ermöglichen. Denn Kinder sind füreinander wie ein Lebenselixier. Wenn dies vor allem durch Eltern, die zu viel glucken und überbehüten, unterbunden würde, könne Gefahr in Verzug sein und es zur "Schieflage“ kommen, so Psychologe Kasten: "Bedenklich wird das erst, wenn diese Eltern ihre Einzelkinder überfrachten mit Wünschen und Erwartungen und sie nicht loslassen, weil sie nicht abnabeln können. Aber so etwas tun Einzel-Kind-Eltern nur in extremen Einzelfällen.“

Auch Geschwisterlose, die mittlerweile erwachsen sind, pochen darauf, dass sie eigentlich völlig normal aufgewachsen sind und wünschen sich eine Außenwahrnehmung ohne Vorurteile. Auf der Website einzelkinder.de versucht Nicole aus Berlin solche Ungerechtigkeiten, die sie selbst als Kind erlebte, im Nachhinein gerade zu rücken: "Dabei ist unsere Situation nicht besser oder schlechter. Sie ist einfach nur anders. Die Erfahrungen, die Geschwisterkinder bei Machtkämpfen und Konflikten untereinander sammelten, konnte ich in fast gleicher Weise mit Freuden machen. Daher haben wir weder Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich, noch mangelt es uns an Erfahrung von Streit- und Konfliktbewältigung.“

Das typische Einzelkind existiert also nicht. Und die Tatsache ohne Geschwister aufzuwachsen wirkt sich laut der aktuellen Studien nicht negativ aus. Das Wichtigste bei der kindlichen Entwicklung sei, so Hartmut Kasten, das Verhältnis zu den Eltern und die soziale Umgebung. Deshalb ist es umso entscheidender, dass Väter und Mütter versuchen, ihre einzigen "Augensterne“ zu ganz "normalen“ Kindern zu erziehen - allen verstaubten Mythen und Vorurteilen zum Trotz.

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