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Survival-Camps in Deutschland


Jenseits der Komfortzone
Survival-Camps in Deutschland

srt, Christian Haas

05.09.2017Lesedauer: 5 Min.
Wie bringt man seine Survival-Ausrüstung trocken ans nächste Ufer?Vergrößern des BildesWie bringt man seine Survival-Ausrüstung trocken ans nächste Ufer? (Quelle: SRT-Archivbild/jochen-schweizer.de/Max Huettermann)
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Fischzubereitung mit Holzkeule und Messer, Schlafplatz richten mit Fichtenzweigen, Feuer machen mit Funkenstab und Tampon: Im Survival-Camp wird einem nichts geschenkt. Außer viel Wissen, Denkimpulsen und eine neue Sicht auf die Natur.

Drei Tage Dauerregen, kühle Temperaturen: Da kommen angesichts des nahenden Survival-Wochenendes samt Übernachtung im Wald eher Zweifel als Freude auf. Vielleicht wird die Aktion ja verschoben, grüble ich beim Blick aus dem Fenster. Doch beim Blick in die Anmeldepapiere herrscht schnell Gewissheit: "Der Kurs findet bei jedem Wetter statt." Passt ja auch zum Thema "Überlebenstechniken in der Natur". Wer könnte sich in einer Notsituation schon das Wetter aussuchen? So betrachtet werden wir ideal eingestimmt.

Dampfender Kaffee und Fließpullover

Als wir den Wagen am Bahnhof des 1200-Einwohner-Ortes Schemmerberg bei Biberach an der Riß abstellen, sorgt ein heller Streifen am Horizont für Hoffnung. Bis die Sonne sich durchsetzen kann, braucht es aber noch Wärmeimpulse: Jacke über Fließ über Pullover und ein dampfender Kaffee im Tante-Emma-Laden ums Eck. Hier treffen wir um Punkt neun auch die anderen Kursteilnehmer – insgesamt drei Frauen und vier Männer – sowie den Gründer und Leiter der "Philipp Davis Survivalschule", eben Philipp Davis, 32 Jahre jung, kurze Haare, sportlicher Typ, eher schmal als wuchtig, Camouflage-Klamotten.

Da seine beiden Assistenten Olli und Harry ebenfalls in Tarnkleidung daherkommen, kommt kurz Unbehagen auf. Was erwartet uns? Ein Bootcamp mit militärischem Bellton? Aber das häufige Lächeln und die angenehm sanfte Art insbesondere von Philipp vertreiben derartige Sorgen so schnell wie die Sonne die Regenfront.

"Kartenlesen kann kaum noch jemand"

Apropos schnell: Das Kursprogramm scheint straff zu sein, also zackzack Material verteilen. Seile und Beile, Sägen und Spaten sowie Päckchen mit Erste-Hilfe-Zeug und Not-Essensrationen wollen in die mitgebrachten Rucksäcke, in denen jeder Schlafsack, Isomatte, Kochgeschirr, Messer, Trinkwasser sowie Kleidung gegen drohende Kälte und Regen mitschleppt, dazugepackt werden. Kompasse und laminierte DIN-A4-Umgebungskarten kommen gleich zum Einsatz. "Heutzutage verlassen sich ja alle aufs Navi", meint Philipp, "Kartenlesen kann kaum mehr jemand." Also soll hier das Wissen aufgefrischt werden, indem wir uns selbst auf der Karte verorten, dann den Sportplatz, den nächsten Stopp.

Per Marschzahl visieren wir das erste Ziel an, einen Schuppen am Ende des Feldes. Aber klar, in Wahrheit ist der Weg das Ziel. Und auf dem erzählt Philipp, der als Bundeswehrausbilder in zwölf Jahren mehr als 1200 Soldaten Outdoortechniken beibrachte. Diese Erfahrung merkt man ihm an. Ständig weist er auf etwas: Hier die Wildtierfurt durch den Bach ("Ein idealer Ort für eine Falle"), dort Bibernagespuren, ebenso wie später einen in der Riß schwimmenden Biber höchstselbst. Dann da oben: ein Roter Milan. Dort unten: eine Eidechse. Und was haben wir denn hier bei den Brennnesseln? "Weinbergschnecken! Mit etwas Bärlauch, Öl und Knoblauch schmecken die köstlich", frohlockt Philipp. "Die gibt's später zum Nachtisch!" Als Appetitanreger reicht er Löwenzahnblätter und Fichtentriebe zum Kauen. Schemmerberg liegt zwar noch nicht einmal zwei Kilometer entfernt und doch fühlen wir uns schon wie Robinson Crusoe. Aber eher so auf die angenehme Art: ohne richtigen Schmutz an den Händen, ohne richtigen Hunger, ohne richtiges Leiden. Und dennoch ist der Entdeckergeist geweckt, der Blick für die Besonderheiten der umgebenden Natur geschärft.

Survival-Camps sind immer beliebter

Dieses Bedürfnis scheinen viele zu haben. Survival-Camps, eintägig oder als Wochenendaktion konzipiert, sind schwer gefragt. Die Nachfrage steigt stetig. Das spürt auch Philipp, der seine Survival-Schule erst 2016 gründete, aber dessen Kurse 2017 gut gebucht waren – und sind. Er denkt sogar schon an die nächsten Ausbaustufen. Eine hochfliegende Idee etwa sieht vor, die Themen Fallschirmspringen und Übernachten im Wald zu kombinieren.

Der Wald ist auch bei unserem Camp zentraler Kursort. Wir sehen: viele Fichten, wenig Licht, kaum andere Pflanzen. Wir spüren: die Schräglage des Hanges, der kaum ebene Stellen aufweist. Wir hören: ungefähr alle 15 Minuten einen Zug, der in ein paar hundert Meter Entfernung vorbeirattert. Wir wissen: Hinter der Kuppe liegen die ersten Häuser von Schemmerberg, dem wir uns bogenartig wieder genähert haben.

Kurz: Wildnis ist hier nur angedeutet, die Schönheit der Natur auch. Aber es geht ja um eine praktische Kulisse für praxisorientierte Kursinhalte. Hier muss man sich erst einmal per Spaten eine ebene Fläche für sein Notlager schaffen, bevor es mit Planen oder Baummaterial überdacht wird. Zudem werden jetzt alle Register gezogen: Äste gesägt, Zweige drapiert, Wurzeln aus dem Erdreich gerupft und als Naturleinen verwendet.

Fische eigenhändig erschlagen und ausnehmen

Nach dem Lagerbau und einer Runde Knotenkunde steht Fischzubereitung an. Olli zeigt, wie's geht. "Forelle aus dem Bottich mit Wasser schnappen und in der Hand beruhigen. Dann hinknien und den Fisch erschlagen." Spricht's, nimmt ein Holzscheit, drischt drauf und Blut spritzt. Bei den nächsten Versuchen tauschen wir Holzkeule gegen Messergriff, was unblutiger vonstattengeht. Dann kommt Schritt drei: das spitze Messer hinten ansetzen und Fisch zum Kopf hin aufschlitzen, den Bauch aufklappen und die Innereien per Hand entfernen, aber: "Vorsicht, Gallenblase nicht verletzen, sonst schmeckt's bitter!"

Ich habe so etwas, typisch Stadtmensch, noch nie gemacht. Eine intensive Erfahrung! Wenn es gelingt, den eigenen Kopf auszuschalten, während man den Fischkopf malträtiert, ist das Schlimmste geschafft. Bis der Fisch letztlich verzehrt werden kann, dauert es aber noch. Vor dem Essen müssen Wassertonnen zum Lagerplatz geschleppt, die Sitzkreissteine nivelliert, eine Latrine ausgehoben werden. Dann heißt es, Holz sammeln, sägen, spalten – alles fürs Feuer. Das soll, na klar, ohne Streichholz oder ähnliches entfacht werden. Dafür mit einem Mischstahl-Magnesium-Stift, dem sogenannten Firestarter. Von ihm werden Funken auf ein entzündliches Gemisch aus Birkenrinde, Trockenholz und harzigem Kienspan geschabt. Noch leichter geht es mit einem aufgebauschten Tampon. Der brennt vorzüglich.

Und vorzüglich munden die Forellen, die, in drei Lagen Küchentücher eingewickelt, in der Glut liegen, bis die erste Tuchschicht verbrannt ist – im Gegensatz zum Fisch! Die Stimmung steigt so schnell, wie die Temperatur sinkt. Klare Sache, das wird eine frostige Nacht! Glücklich, wer einen warmen Schlafsack hat und wer nach dem unüberhörbar lauten Vogelgezwitscher vor Sonnenaufgang nochmal einschlafen kann. Ich kann und werde mit Instantkaffee aus der Notration am Bett geweckt.

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Abseiltechniken, Dreckwasser filtern und Tierfallen bauen

Uhrzeit habe ich keine, weil das Smartphone Pause hat, aber alle sind schon wach und halten Stockbrote über die Glut. Dazu wird Honig gereicht. Dann geht es weiter mit Abseiltechniken im steilen Gelände, Hangeltraining sowie Erläuterungen, wie man mit einem Stück Kohle Dreckwasser filtert, mit einer Plastikflasche und Ästen eine Reuse und mit Brettern und einem Stein eine Rattenfalle baut. Zum Glück sind wir darauf im echten Leben nicht angewiesen und freuen uns auf Rührei und leicht verkohlte Kartoffeln, die Olli über dem Feuer zubereitet hat.

Wir überreden Philipp zum Lunch in der Sonne, und erst als wir aus dem dunklen, schrägen Waldstück auf die Wiese treten, merken wir, wie warm es mittlerweile ist. Und wie hell. Wie lang waren wir weg, im Survival-Modus? Eine halbe Ewigkeit, fühlt es sich an.

Ob wir noch mehr wissen wollen, fragt Philipp, aber unser Speicher quillt angesichts der 30-stündigen Info-Dauerbefeuerung über, es reicht. Wir wollen nur noch eins: ein Stück Kuchen auf einer Café-Terrasse. Vorher befreien wir aber noch die Weinbergschnecken.

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