Survival-Camps in Deutschland
Fischzubereitung mit Holzkeule und Messer, Schlafplatz richten mit Fichtenzweigen, Feuer machen mit Funkenstab und Tampon: Im Survival-Camp wird einem nichts geschenkt. AuΓer viel Wissen, Denkimpulsen und eine neue Sicht auf die Natur.
Drei Tage Dauerregen, kΓΌhle Temperaturen: Da kommen angesichts des nahenden Survival-Wochenendes samt Γbernachtung im Wald eher Zweifel als Freude auf. Vielleicht wird die Aktion ja verschoben, grΓΌble ich beim Blick aus dem Fenster. Doch beim Blick in die Anmeldepapiere herrscht schnell Gewissheit: "Der Kurs findet bei jedem Wetter statt." Passt ja auch zum Thema "Γberlebenstechniken in der Natur". Wer kΓΆnnte sich in einer Notsituation schon das Wetter aussuchen? So betrachtet werden wir ideal eingestimmt.
Dampfender Kaffee und FlieΓpullover
Als wir den Wagen am Bahnhof des 1200-Einwohner-Ortes Schemmerberg bei Biberach an der RiΓ abstellen, sorgt ein heller Streifen am Horizont fΓΌr Hoffnung. Bis die Sonne sich durchsetzen kann, braucht es aber noch WΓ€rmeimpulse: Jacke ΓΌber FlieΓ ΓΌber Pullover und ein dampfender Kaffee im Tante-Emma-Laden ums Eck. Hier treffen wir um Punkt neun auch die anderen Kursteilnehmer β insgesamt drei Frauen und vier MΓ€nner β sowie den GrΓΌnder und Leiter der "Philipp Davis Survivalschule", eben Philipp Davis, 32 Jahre jung, kurze Haare, sportlicher Typ, eher schmal als wuchtig, Camouflage-Klamotten.
Da seine beiden Assistenten Olli und Harry ebenfalls in Tarnkleidung daherkommen, kommt kurz Unbehagen auf. Was erwartet uns? Ein Bootcamp mit militΓ€rischem Bellton? Aber das hΓ€ufige LΓ€cheln und die angenehm sanfte Art insbesondere von Philipp vertreiben derartige Sorgen so schnell wie die Sonne die Regenfront.
"Kartenlesen kann kaum noch jemand"
Apropos schnell: Das Kursprogramm scheint straff zu sein, also zackzack Material verteilen. Seile und Beile, SΓ€gen und Spaten sowie PΓ€ckchen mit Erste-Hilfe-Zeug und Not-Essensrationen wollen in die mitgebrachten RucksΓ€cke, in denen jeder Schlafsack, Isomatte, Kochgeschirr, Messer, Trinkwasser sowie Kleidung gegen drohende KΓ€lte und Regen mitschleppt, dazugepackt werden. Kompasse und laminierte DIN-A4-Umgebungskarten kommen gleich zum Einsatz. "Heutzutage verlassen sich ja alle aufs Navi", meint Philipp, "Kartenlesen kann kaum mehr jemand." Also soll hier das Wissen aufgefrischt werden, indem wir uns selbst auf der Karte verorten, dann den Sportplatz, den nΓ€chsten Stopp.
Per Marschzahl visieren wir das erste Ziel an, einen Schuppen am Ende des Feldes. Aber klar, in Wahrheit ist der Weg das Ziel. Und auf dem erzΓ€hlt Philipp, der als Bundeswehrausbilder in zwΓΆlf Jahren mehr als 1200 Soldaten Outdoortechniken beibrachte. Diese Erfahrung merkt man ihm an. StΓ€ndig weist er auf etwas: Hier die Wildtierfurt durch den Bach ("Ein idealer Ort fΓΌr eine Falle"), dort Bibernagespuren, ebenso wie spΓ€ter einen in der RiΓ schwimmenden Biber hΓΆchstselbst. Dann da oben: ein Roter Milan. Dort unten: eine Eidechse. Und was haben wir denn hier bei den Brennnesseln? "Weinbergschnecken! Mit etwas BΓ€rlauch, Γl und Knoblauch schmecken die kΓΆstlich", frohlockt Philipp. "Die gibt's spΓ€ter zum Nachtisch!" Als Appetitanreger reicht er LΓΆwenzahnblΓ€tter und Fichtentriebe zum Kauen. Schemmerberg liegt zwar noch nicht einmal zwei Kilometer entfernt und doch fΓΌhlen wir uns schon wie Robinson Crusoe. Aber eher so auf die angenehme Art: ohne richtigen Schmutz an den HΓ€nden, ohne richtigen Hunger, ohne richtiges Leiden. Und dennoch ist der Entdeckergeist geweckt, der Blick fΓΌr die Besonderheiten der umgebenden Natur geschΓ€rft.
Survival-Camps sind immer beliebter
Dieses BedΓΌrfnis scheinen viele zu haben. Survival-Camps, eintΓ€gig oder als Wochenendaktion konzipiert, sind schwer gefragt. Die Nachfrage steigt stetig. Das spΓΌrt auch Philipp, der seine Survival-Schule erst 2016 grΓΌndete, aber dessen Kurse 2017 gut gebucht waren β und sind. Er denkt sogar schon an die nΓ€chsten Ausbaustufen. Eine hochfliegende Idee etwa sieht vor, die Themen Fallschirmspringen und Γbernachten im Wald zu kombinieren.
Der Wald ist auch bei unserem Camp zentraler Kursort. Wir sehen: viele Fichten, wenig Licht, kaum andere Pflanzen. Wir spΓΌren: die SchrΓ€glage des Hanges, der kaum ebene Stellen aufweist. Wir hΓΆren: ungefΓ€hr alle 15 Minuten einen Zug, der in ein paar hundert Meter Entfernung vorbeirattert. Wir wissen: Hinter der Kuppe liegen die ersten HΓ€user von Schemmerberg, dem wir uns bogenartig wieder genΓ€hert haben.
Kurz: Wildnis ist hier nur angedeutet, die SchΓΆnheit der Natur auch. Aber es geht ja um eine praktische Kulisse fΓΌr praxisorientierte Kursinhalte. Hier muss man sich erst einmal per Spaten eine ebene FlΓ€che fΓΌr sein Notlager schaffen, bevor es mit Planen oder Baummaterial ΓΌberdacht wird. Zudem werden jetzt alle Register gezogen: Γste gesΓ€gt, Zweige drapiert, Wurzeln aus dem Erdreich gerupft und als Naturleinen verwendet.
Fische eigenhΓ€ndig erschlagen und ausnehmen
Nach dem Lagerbau und einer Runde Knotenkunde steht Fischzubereitung an. Olli zeigt, wie's geht. "Forelle aus dem Bottich mit Wasser schnappen und in der Hand beruhigen. Dann hinknien und den Fisch erschlagen." Spricht's, nimmt ein Holzscheit, drischt drauf und Blut spritzt. Bei den nΓ€chsten Versuchen tauschen wir Holzkeule gegen Messergriff, was unblutiger vonstattengeht. Dann kommt Schritt drei: das spitze Messer hinten ansetzen und Fisch zum Kopf hin aufschlitzen, den Bauch aufklappen und die Innereien per Hand entfernen, aber: "Vorsicht, Gallenblase nicht verletzen, sonst schmeckt's bitter!"
Ich habe so etwas, typisch Stadtmensch, noch nie gemacht. Eine intensive Erfahrung! Wenn es gelingt, den eigenen Kopf auszuschalten, wΓ€hrend man den Fischkopf maltrΓ€tiert, ist das Schlimmste geschafft. Bis der Fisch letztlich verzehrt werden kann, dauert es aber noch. Vor dem Essen mΓΌssen Wassertonnen zum Lagerplatz geschleppt, die Sitzkreissteine nivelliert, eine Latrine ausgehoben werden. Dann heiΓt es, Holz sammeln, sΓ€gen, spalten β alles fΓΌrs Feuer. Das soll, na klar, ohne Streichholz oder Γ€hnliches entfacht werden. DafΓΌr mit einem Mischstahl-Magnesium-Stift, dem sogenannten Firestarter. Von ihm werden Funken auf ein entzΓΌndliches Gemisch aus Birkenrinde, Trockenholz und harzigem Kienspan geschabt. Noch leichter geht es mit einem aufgebauschten Tampon. Der brennt vorzΓΌglich.
Und vorzΓΌglich munden die Forellen, die, in drei Lagen KΓΌchentΓΌcher eingewickelt, in der Glut liegen, bis die erste Tuchschicht verbrannt ist β im Gegensatz zum Fisch! Die Stimmung steigt so schnell, wie die Temperatur sinkt. Klare Sache, das wird eine frostige Nacht! GlΓΌcklich, wer einen warmen Schlafsack hat und wer nach dem unΓΌberhΓΆrbar lauten Vogelgezwitscher vor Sonnenaufgang nochmal einschlafen kann. Ich kann und werde mit Instantkaffee aus der Notration am Bett geweckt.
Abseiltechniken, Dreckwasser filtern und Tierfallen bauen
Uhrzeit habe ich keine, weil das Smartphone Pause hat, aber alle sind schon wach und halten Stockbrote ΓΌber die Glut. Dazu wird Honig gereicht. Dann geht es weiter mit Abseiltechniken im steilen GelΓ€nde, Hangeltraining sowie ErlΓ€uterungen, wie man mit einem StΓΌck Kohle Dreckwasser filtert, mit einer Plastikflasche und Γsten eine Reuse und mit Brettern und einem Stein eine Rattenfalle baut. Zum GlΓΌck sind wir darauf im echten Leben nicht angewiesen und freuen uns auf RΓΌhrei und leicht verkohlte Kartoffeln, die Olli ΓΌber dem Feuer zubereitet hat.
Wir ΓΌberreden Philipp zum Lunch in der Sonne, und erst als wir aus dem dunklen, schrΓ€gen WaldstΓΌck auf die Wiese treten, merken wir, wie warm es mittlerweile ist. Und wie hell. Wie lang waren wir weg, im Survival-Modus? Eine halbe Ewigkeit, fΓΌhlt es sich an.
Ob wir noch mehr wissen wollen, fragt Philipp, aber unser Speicher quillt angesichts der 30-stΓΌndigen Info-Dauerbefeuerung ΓΌber, es reicht. Wir wollen nur noch eins: ein StΓΌck Kuchen auf einer CafΓ©-Terrasse. Vorher befreien wir aber noch die Weinbergschnecken.