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Australien: Daintree-Regenwald – die älteste Apotheke der Welt


Geheimnisse des Regenwalds
Die älteste Apotheke der Welt?


Aktualisiert am 11.06.2025 - 07:09 UhrLesedauer: 6 Min.
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Mossmann Gorge: Ein Blick in den Daintree-Regenwald nahe Port Douglas. (Quelle: xWirestockx via imago-images.de/imago)
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Im australischen Regenwald teilt Juan Walker vom Stamm der Kuku Yalanji uraltes Wissen über essbare und heilende Pflanzen. Auch Krabbeltiere werden verkostet.

Aus Queensland, Australien, berichtet Anna-Lena Janzen

An einem Blatt klebt ein Klumpen, auf dem sich Dutzende Insekten tummeln. Juan Walker greift mit der Hand in das Nest, zupft eine Grüne Ameise heraus und schiebt sie sich ohne zu zögern in den Mund. "Lecker", sagt er und schaut in die Runde. "Wer will probieren?"

Walkers Gäste gehen zunächst etwas unsicher auf das Nest zu. Ameisen stehen in Europa in der Regel nicht auf der Speisekarte. Einige der Touristen trauen sich schließlich und machen es ihm nach. Das Verkosten der kleinen grünen Krabbler überrascht. Ihr smaragdgrüner Hinterleib zerbirst auf der Zunge und hinterlässt einen frischen Zitronengeschmack.

Die Grünen Ameisen sind für Walkers Volk nicht nur ein Snack für zwischendurch, sondern auch eine wahre Vitamin-C-Bombe. "Gut gegen Erkältungen". Wer sich nicht traut, die Krabbeltiere ganz zu essen, könne die Ameisensäure auch einfach ablecken oder einen immunstärkenden Tee daraus brauen, erklärt er.

Eine Region voller Geschichten

Walker, der seit rund 20 Jahren als Tourguide arbeitet, gehört zum Stamm der Kuku Yalanji, deren Land sich über 400 Kilometer entlang der tropischen Küste im Norden Queenslands erstreckt – von Pretty Beach bei Port Douglas bis zum Annan River bei Cooktown. Seine Gemeinschaft ist in fünf Clans gegliedert, deren Mitglieder für bestimmte Gebiete besondere Verantwortung tragen. "Unser Land nutzen wir seit jeher für Jagd, Fischerei und zur Versorgung", erklärt Walker. "Jeder von uns hat eine Verantwortung für bestimmte Orte – das ist durch unsere Ahnen weitergegeben worden."

Wer hier mit einem einheimischen Guide unterwegs ist, sieht mehr als nur Natur: Er hört Geschichten von Überleben, Spiritualität und einem Wissen, das älter ist als jede Landkarte. Die Region rund um die Küstenstadt Port Douglas, in der Walker seine Besucher ans Meer und in den Dschungel führt, gilt als eine der artenreichsten Regionen Australiens: denn hier treffen zwei Weltnaturerbestätten aufeinander – der Daintree-Regenwald und das Great Barrier Reef.

Walker, der kurze Dreadlocks, Shorts und Flip-Flops trägt, gibt sich lässig, hat aber eine klare Mission: "Ich möchte das Wissen meiner Vorfahren weitergeben", sagt er. Dazu gehören Einblicke über essbare Pflanzen, Heilmittel aus dem Wald und traditionelle Jagdtechniken. "Wir kosten gemeinsam Busch-Nahrung, sammeln Schalentiere und laden dazu ein, selbst zu erleben, wie unsere Vorfahren gejagt haben."

Hüter des Landes

Auch über die schmerzhafte Vergangenheit der indigenen Einheimischen, die seit rund 65.000 Jahren auf dem fünften Kontinent leben, spricht Walker während seiner Tour offen. Vertreibung, Ausgrenzung, Vergewaltigung, Massenmorde, Sklaverei: Seine Erzählungen aus der Kolonialzeit sind unfassbar grausam. Die indigenen Einwohner wurden in Reservate verfrachtet und ihre Kinder von etwa 1909 bis 1969 systematisch aus ihren Familien entfernt und in staatliche Heime, kirchliche Missionen oder in weiße Familien gesteckt. Man bezeichnet diese Kinder, die jahrzehntelang ihren Familien entrissen wurden, als die "gestohlene Generation".

Der Weg zur Anerkennung ihres Leids war lang: Erst 1949 erhielten die sogenannten First Nations peoples offiziell die australische Staatsbürgerschaft. Ab 1962 durften sie zwar wählen, hatten aber keine Bürgerrechte. 1967 wurde die Verfassung durch ein Referendum entsprechend geändert – nun hatten sie die gleichen Rechte wie Weiße, durften Immobilien besitzen und hatten Anspruch auf staatliche Leistungen. Doch die Schmerzen der kulturellen Entwurzelung wiegen auch heute noch schwer. In vielen Gemeinschaften schaffen Armut, Gewalt, Alkoholismus und Krankheiten Probleme.

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Ayers Rock in Australien. (Quelle: IMAGO)

Wie nennt man die indigenen Völker Australiens?

Das Wort "Aborigine" wird in Australien als taktlos angesehen, da es seinen Ursprung im Kolonialismus hat. Die indigenen Gruppen Australiens bezeichnen sich selbst als "First Nations peoples", "First peoples" oder "Aboriginal und Torres-Strait-Islander peoples". Man benutzt den Plural, um auf die Diversität unter den indigenen Kulturen aufmerksam zu machen. Von den rund 26 Millionen Einwohnern Australiens sind es heute fast nur noch eine Million Aboriginal und Torres-Strait-Insulaner. Torres-Strait-Insulaner sind eine indigene Gruppe, die die gleichnamige Meerenge zwischen Australien und Papua-Neuguinea bewohnt.

Auch Walkers Großeltern waren Zeugen dieser Gräueltaten und wurden als Kinder verschleppt, wie er erzählt. Viele der kulturellen Praktiken seines Volkes überlebten in seiner Region den Kolonialismus – Rituale und Initiationen wurden jedoch stark unterdrückt. Walker betont, wie wichtig es ist, diese Geschichte nicht zu vergessen. "Bis in die 1980er war es in Queensland sogar noch legal, Aboriginal peoples zu erschießen", sagt er.

Heute machen sie nur etwa 2,5 Prozent der australischen Bevölkerung aus. Ihre Lebenserwartung ist im Schnitt 20 Jahre geringer als die der weißen Australier. Viele fühlen sich noch immer nicht gleichberechtigt. "Ich frage mich manchmal, warum meine Leute so oft Schwierigkeiten haben, Vertrauen zu fassen", sagt Walker mit Ironie in der Stimme. "Wir waren eigentlich sehr offen, entspannt, hilfsbereit – wenn jemand nichts hatte, dann wurde geteilt."

Die junge Generation der Kuku Yalanji und anderer First Nations people in Australien steht zwischen zwei Welten. Sie müssen sich in die westliche Gesellschaft integrieren und wollen gleichzeitig ihre jahrtausendealte Kultur bewahren. Walker sieht sich als Bindeglied: "Ich will zeigen, wie wichtig es ist, unsere Traditionen lebendig zu halten." Auch die Sprache seiner Ahnen versucht er zu bewahren, obwohl das eine Herausforderung ist. Er setzt sich dafür ein, dass sie an lokalen Schulen weiter unterrichtet wird. "Unser Land ist unsere Geschichte", sagt Walker. "Es erzählt von unserer Vergangenheit – und es gibt uns die Kraft, in die Zukunft zu gehen."

Leben im Einklang mit der Natur

An einem einsamen Küstenabschnitt nördlich von Port Douglas, dem Rocky Point, führt Walker seine Besucher ans Meer und in die Mangroven, um Muscheln zu sammeln und Krabben zu jagen. Geübt wird eine traditionelle Jagdtechnik, das Speerwerfen, die gar nicht so einfach ist. Ähnlich wie bei den Bundesjugendspielen gelingt es trotz zahlloser Versuche nur wenigen Begabten, den Speer schließlich auf das gewünschte Ziel zu werfen.

Jeder in der indigenen Gemeinschaft hatte eine Aufgabe, erklärt Walker seinen Gästen. Männer legten Fischfallen und jagten saisonal Tiere wie Dugongs, Wallabys, Reptilien oder Fluss-Schildkröten. Frauen gruben Yamswurzeln aus, während Kinder und ältere Personen Muscheln sammelten, sogenannte Pipis, die sich in der Brandung im Sand vergraben. Kinder wurden damals von den Älteren in den Aufgaben geschult, in denen sie besondere Fähigkeiten zeigten.

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Für Walker ist die Natur ein fein ausbalanciertes System. Besonders eindrucksvoll beschreibt er die Rolle der Mangroven. 39 von weltweit 72 Arten wachsen im Norden Australiens. "Die Pflanze trinkt Meerwasser, pumpt das Salz in ein Blatt, das wird gelb oder orange – und das fällt dann ab. Das ist der Weg, wie sie das Salz loswerden." Diese Blätter zersetzen sich am Ufer und bilden die Nahrungsgrundlage für kleine Tiere wie Krabben, Garnelen und Fischlarven. Diese wiederum ernähren größere Fische. "Wenn es abläuft, kommen die großen Fische raus. Wenn's hineinläuft, zuerst die kleinen. Unsere Leute haben diesen Zyklus seit Zehntausenden Jahren beobachtet."

Walker bringt es auf den Punkt: "Ohne Mangrove kein Riff, ohne Riff kein Regenwald." Die Mangroven filtern das Regenwasser, das über die Flüsse vom Gebirge ins Meer gelangt. Sie sind eine natürliche Kläranlage und zugleich eine Kinderstube für zahlreiche Fischarten. Doch Walker warnt: "Mangroven sind weltweit hochgradig gefährdet – wir bauen Flughäfen und Wohnungen an den Küsten." Der Verlust dieser Ökosysteme bedroht nicht nur die Küstenregionen, sondern auch die Fischbestände, die vom Riff abhängen.

Eine Apotheke unter freiem Himmel

Weit entfernt von Apotheken oder Drogerien nutzten die Kuku Yalanji die Natur auch als voll ausgestattete Hausapotheke. Die Region ist reich an Pflanzen mit heilenden Eigenschaften, und Walker ist ein Kenner der traditionellen Medizin. Unaufhörlich zeigt er auf Gewächse und erklärt ihren traditionellen Nutzen: Gegen Sonnenbrand hilft Strandkohl, während die gelbe Hibiskusblüte als natürlicher Elektrolyt dient. Der Saft der Pandanusfrucht wird zur Linderung von Schnitt- und Bisswunden eingesetzt, und der Saft einer kugelförmigen, weißen Frucht kann ins Auge zur Reinigung geträufelt werden.

Nach dem Besuch am Strand und einem Stopp am Fluss, um nach einem Krokodil Ausschau zu halten, geht es in den Dschungel. Früher durften Touristen mit dem Auto in den Nationalpark Mossman Gorge fahren, heute bringt ein Shuttlebus die Besucher ins grüne Dickicht. Nach einem kurzen Spaziergang auf Trampelpfaden und Holzwegen erreicht man eine von Sonnenlicht durchflutete Flussstelle. Während die Gäste im glasklaren Wasser baden oder auf großen Felsen in der Sonne liegen, sammelt Walker bereits die nächsten Naturschätze. So zeigt er, wie die Blätter des Seifenbuschs bei Kontakt mit Wasser aufschäumen und sich zur Körperhygiene eignen. Er schält Busch-Ingwer für seine Gäste, den er schon als Kind genascht hat, weil er wie eine Süßigkeit schmeckt, warnt aber, dass er bei zu hohem Verzehr auf den Magen schlägt.

Auch Tonerden haben ihren Platz in der Gesundheitslehre der First Nation peoples. Am Fluss sammelt Walker vier Steine, befeuchtet sie und reibt sie sich auf seinen Arm. Gelb, Ocker, Rot – die Farben verraten, welche Mineralien darin enthalten sind. "Wenn die Farbe nach dem Abwaschen auf der Haut bleibt, weißt du, was dein Körper benötigt", erklärt Walker. Die Einheimischen zerrieben die Steine früher, formten kleine Kugeln daraus und aßen sie. Rot zum Beispiel war gut für den Zyklus der Frauen, wenn ihr Körper zusätzliches Eisen benötigte. "Als wir Kinder waren, hat unser Großvater uns die gelben und weißen essen lassen – Kalzium, für starke Knochen", so Walker.

Doch nicht alle Pflanzen sind harmlos. Walker warnt vor dem Blatt der australischen Brennnessel, die Gympie-gympie genannt und oft als die weltweit schmerzhafteste Pflanze bezeichnet wird. "Eine deutsche Touristin hat sich in den Busch für ihr Geschäft gehockt und sich unwissend mit dem Blatt den Hintern abgewischt – sie hat 18 Monate später noch Schmerzen gespürt", erzählt Walker.

Der herzblättrige Stachelstrauch Gympie-gympie hat feine Härchen, die monatelang auf der Haut brennen können. Was wohl nur die Einheimischen wissen: Die Gifthärchen verursachen zwar Schmerzen, der Wurzelsaft derselben Pflanze lindert jedoch die Beschwerden.

Great Barrier Reef
(Quelle: Scuba Diver Life/TTNQ)

Reisetipps für den tropischen Norden in Queensland

Port Douglas ist das Tor in zwei Welten: einerseits das Great Barrier Reef, andererseits den Daintree Rainforest – der älteste Regenwald der Erde. Die kleine Küstenstadt liegt etwa eine Autostunde nördlich von Cairns und bietet einen idealen Ausgangspunkt für Natur- und Kulturerlebnisse.
Great Barrier Reef: Der Anbieter Quicksilver bietet Tauch- und Schnorchelausflüge für Anfänger und Erfahrene ans Outer Reef. Von Port Douglas aus dauert die Fahrt ans Riff mit dem Schnellboot Silversonic etwa eine Stunde.
Mossman Gorge: Der Nationalpark bietet kristallklares Flusswasser und natürliche Swimmingpools sowie Wanderwege durch den Dschungel und ein gut ausgestattetes Informationscenter.
Das "Forever Reef"-Projekt, eine Arche für Korallen, können Besucher am Hafen von Port Douglas bestaunen.
Four Mile Beach: Endlos, palmengesäumt und meist menschenleer. Direkt am Strand gelegen finden Besucher luxuriöse Unterkünfte wie das Pullmann Temple Resort.
Besonderer Tipp: Geführte Touren mit indigenen Guides wie Juan Walker von Walkabout Cultural Aventures vermitteln tiefe Einblicke in Spiritualität, Geschichte und Naturwissen.
Klima und Reisezeit: Tropisch. Die Trockenzeit ist von April bis Oktober.
Einreise: Deutsche benötigen ein Touristenvisum für Australien – erhältlich unter www.border.gov.au.
Weitere Informationen zu Aktivitäten und Unterkünften finden Sie auf der offiziellen Tourismus-Website der Region.

Transparenzhinweis: Dieser Bericht wurde von Tourism Tropical North Queensland unterstützt.

Verwendete Quellen

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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