Überraschendes Urteil Unfälle mit Motorrad: Wer haftet – und wann?

Wer überholt, obwohl es verboten ist, muss schuld sein. Oder? Ein Gerichtsurteil zeigt: Ganz so einfach ist es nicht. Motorradfahrer sollten ihre Rechte kennen – und sich nicht vorschnell selbst die Schuld geben.
Ein landwirtschaftliches Gespann biegt ab, ein Motorradfahrer überholt verbotenerweise. Es kracht. Klingt nach einer klaren Schuldfrage? Nicht unbedingt. Denn das Oberlandesgericht Celle hat in einem Urteil (Az.: 14 U 87/23) überraschend differenziert entschieden. Der Motorradfahrer bekommt trotz Überholverbot und zu hoher Geschwindigkeit zumindest die Hälfte seines Schadens ersetzt.
Wie kommt es dazu? Und was bedeutet das für Motorradfahrer im Alltag?
Verstoß gegen Regeln – trotzdem Teilschuld des anderen
Der Motorradfahrer hatte sich in mehrfacher Hinsicht regelwidrig verhalten: Er war zu schnell (57 statt 50 km/h) gefahren, hatte keine Schutzkleidung getragen und an einer Stelle überholt, an der es verboten war. Doch das Gericht sah in diesen Verstößen nicht die Hauptursache des Unfalls. Ausschlaggebend war das Verhalten des abbiegenden Landwirts.
Dieser hatte beim Linksabbiegen nämlich weder ausreichend den rückwärtigen Verkehr geprüft, noch hatte er sich versichert, dass kein Überholer im Anmarsch war. Laut Gesetz (§ 9 Abs. 1 StVO) gilt beim Linksabbiegen eine doppelte Rückschaupflicht – gerade bei langen, unübersichtlichen Gespannen wie einem Traktor mit Heuwender.
Ergebnis: Das Gericht sah eine sogenannte hälftige Haftung. Beide Seiten tragen Verantwortung, der Schaden wird geteilt.
Schutzkleidung: keine Pflicht – und keine Mithaftung
Eine weitere interessante Feststellung des Gerichts war, dass der Verzicht auf Schutzkleidung keinen Einfluss auf das Urteil hatte. Zwar können Jacke, Hose und Handschuhe schwere Verletzungen vermeiden, aber eine gesetzliche Pflicht zum Tragen dieser Kleidung besteht nicht. Entsprechend darf daraus auch keine rechtliche Mithaftung abgeleitet werden.
Unser Tipp für die Praxis: Auch wenn das Tragen von Schutzkleidung nicht verpflichtend ist, kann sie im Ernstfall Leben retten. Rechtlich ist sie aber (noch) freiwillig.
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Was Motorradfahrer daraus lernen können
Auch wenn man selbst Verkehrsregeln verletzt hat, heißt das nicht automatisch, dass man keine Ansprüche hat. Bei Unfällen kommt es auf das Gesamtgeschehen an.
- Nie vorschnell auf Ansprüche verzichten. Auch bei eigenen Fehlern lohnt sich ein Blick auf die Gegenseite.
- Nach dem Unfall Beweise sichern. Fotos, Zeugen, Skizzen – das alles kann später entscheidend sein.
- Rechtsberatung einholen. Gerade bei komplexen Fällen mit Teilschuld kann ein Fachanwalt für Verkehrsrecht helfen, Ansprüche durchzusetzen.
Schuld ist nicht immer schwarz-weiß
Dieses Urteil zeigt, dass selbst jemand, der überholt, wo er nicht darf, nicht automatisch für alles verantwortlich gemacht werden kann. Denn auch die Gegenseite hat Pflichten. Wer diese verletzt, haftet mit. Für Motorradfahrer bedeutet das: Vorsicht ist besser als Nachsicht – im Zweifel sollte man sich aber nicht juristisch kleinmachen lassen.
- Nachrichtenagentur dpa