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Wissenschaftlicher Durchbruch: Eines der größten Rätsel der Natur gelöst


Wissenschaftlicher Durchbruch
Mit dieser Weltkriegserfindung entschlüsseln Forscher den Wald


Aktualisiert am 08.02.2022Lesedauer: 3 Min.
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Moosbewachsene Äste in einem Lorbeerwald auf der Kanareninsel El Hierro (Symbolfoto): Drei Billionen Bäume wachsen auf der Erde. Nur noch rund halb so viele wie zu Beginn der ersten menschlichen Zivilisationen.Vergrößern des Bildes
Moosbewachsene Äste in einem Lorbeerwald auf der Kanareninsel El Hierro (Symbolfoto): Drei Billionen Bäume wachsen auf der Erde. Nur noch rund halb so viele wie zu Beginn der ersten menschlichen Zivilisationen. (Quelle: Sonja Jordan/imago-images-bilder)

In den 1940ern gelang es dem britischen Mathematiker Alan Turing, den deutschen Enigma-Code zu knacken. Jetzt haben Biologen mit seiner Methode eines der größten Rätsel der Natur gelöst.

Der Generalschlüssel für einige Geheimnisse des Planeten stammt aus dem Zweiten Weltkrieg: Die Formel, die den Briten half, den Enigma-Code zu brechen, ist ein Multitalent. Nun hat sie Forschern dabei geholfen, Bäume zu zählen, die wohl kaum ein Mensch je gesehen hat.

Laut der neuesten Schätzung existieren weltweit rund 73.300 verschiedene Baumarten – 14 Prozent mehr als bisher angenommen. Doch viele von ihnen gelten als unentdeckt.

Erstes weltweites Inventar für Bäume

Sie haben keinen lateinischen Namen, wurden nie von Naturforschern beschrieben. Nirgends liegen Zeichnungen oder Fotos von ihnen. Aber Wissenschaftler sind sicher, dass es sie gibt: Ungefähr 9.000 unbekannte Baumarten sollen auf der Erde wachsen. Die meisten von ihnen in Südamerika.

Das ist das Ergebnis des ersten wissenschaftlichen Bauminventars der Welt, kürzlich veröffentlicht in der amerikanischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences. Mehrere Jahre arbeitete ein internationales Forschungsteam daran, die Bäume der Erde zu katalogisieren. Und dadurch die eigene Wissenslücke zu messen.

"Die europäischen Wälder kennen wir bereits recht gut", sagt Martin Herold, Geoinformatiker am Helmholtz-Zentrum Potsdam, der an der Studie beteiligt war. "Aber gerade in den Tropen, wo wir eine der größten Artenvielfalten der Welt haben, sind viele Gebiete noch nicht systematisch erfasst."

Weltkriegserfindung hilft Biologen

Um herauszufinden, wie groß der weiße Fleck in der Baumforschung ist, waren Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Wäldern auf der ganzen Welt unterwegs. In insgesamt 90 Ländern sammelten sie stichprobenartig Informationen zu 38 Millionen Bäumen.

Von besonderem Interesse: Arten, die sie nur ein- oder zweimal finden konnten. Denn diese seltenen Bäume lassen darauf schließen, wie viele gänzlich unbekannte Arten zusätzlich existieren müssen.

Die entsprechende Theorie stammt von der taiwanesischen Statistikerin Anne Chao und ist erst wenige Jahre alt. Doch die Rechenmethode, auf der sie basiert, hat schon in den 1940er Jahren Großes bewegt.

Es ist die Formel, die der Mathematiker Alan Turing und sein Assistent John Good während des Zweiten Weltkrieges entwickelten, um den Enigma-Code der deutschen Wehrmacht zu knacken. Heute geht es beim Einsatz ihrer Methode um die Bestimmung der Artenvielfalt.

Nur was bekannt ist, lässt sich schützen

"Es ist wichtig, dass wir in Zukunft auch die unbekannten Baumarten systematisch erfassen", betont Geoinformatiker Herold. Nur so lasse sich das grundlegende Wissen über die Vielfalt des Lebens auf dem Planeten verbessern. Und damit dessen Schutz.

Wie dringend das ist, zeigen weitere Ergebnisse des neuen Bauminventars: Fast ein Drittel aller bekannten und ein Großteil der noch unentdeckten Baumarten kommen nur sehr selten vor.

Das heißt: Werden sie abgeholzt oder von Dürren oder anderen Folgen der Klimakrise getroffen, drohen sie bald auszusterben – anders als bekanntere und weit verbreitete Arten wie Eichen, Erlen oder Kiefern. Ein Drittel des weltweiten Baumbestandes könnte dadurch vernichtet werden.

Waldverlust weltweit: Die die artenreichsten Gebiete der Erde sind davon betroffen, beispielsweise die Regenwälder in Indonesien und Brasilien. Die Nachfrage nach Tropenhölzern und der wachsende Bedarf an Soja, Rindfleisch und Palmöl befeuern diese Entwicklung – viele Waldflächen werden für den Anbau von Monokulturen oder für die Viehhaltung gerodet. Die Folgen von klimawandelbedingten Dürren und Waldbränden kommen noch hinzu.

Baumsuche im virtuellen Wald

Um einen Kollaps der Waldvielfalt zu verhindern, müssen die unbekannten Arten zuerst gefunden und bestimmt werden. In Potsdam arbeiten Martin Herold und seine Kolleginnen und Kollegen bereits daran, diesen Prozess zu beschleunigen.

"Eine wichtige Grundlage hierfür ist die nächste Generation von Messmethoden", erläutert Herold. Sein Team entwickelt spezielle Laser, mit denen sich begehbare Computersimulationen eines Waldes anfertigen lassen.

Vom Boden, von Drohnen oder von Satelliten aus sollen sie die Bäume scannen und eine virtuelle dreidimensionale Kopie der Waldflächen für Analysen zugänglich machen. Ob es immer noch um die 9.000 unentdeckte Baumarten zu finden gibt, wenn die Technik voll einsatzfähig ist, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Verwendete Quellen
  • Pressemitteilung des Helmholtz-Instituts Potsdam (01.02.2022): New estimate of the number of tree species on Earth
  • Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) (2022): The number of tree species on earth
  • Fachmagazin Ecology 98/11 (2017): Deciphering the Enigma of Undetected Species, Phylogenetic, and Functional Diversity Based on Good-Turing Theory
  • Our World in Data (2021): Deforestation and Forest Loss
  • Nachrichtenagentur dpa (03.02.2022): Abholzung des Amazonaswaldes auf Rekordniveau
  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2012): Dritte Bundeswaldinventur
  • Global Trees Campaign (2020): Threatened Trees
  • science.org (02.09.2015): "Earth home to 3 trillion trees, half as many as when human civilization arose"
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