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Queen of Drags, Prince Charming & Co: Verliert nicht die Mehrheit aus dem Blick


Minderheiten im TV sind keine Bedrohung

  • Lamya Kaddor
Eine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 21.11.2019Lesedauer: 5 Min.
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Überall Schwule, Transgender und andere Minderheiten oder Subkulturen: Minderheit und Mehrheit – beides ist wichtig in einer Demokratie, sagt t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrâßern des Bildes
Überall Schwule, Transgender und andere Minderheiten oder Subkulturen: Minderheit und Mehrheit – beides ist wichtig in einer Demokratie, sagt t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: imago-images-bilder)

Überall Schwule, Transgender und andere Minderheiten oder Subkulturen. ProSieben sendet "Queen of Drags", RTL setzt auf "Prinz Charming" und die ARD zeichnet Geschichten über Randgruppen aus. Ist das nicht alles zu viel? Überfordert das die Gesellschaft nicht? Unsere Kolumnistin Lamya Kaddor hat darüber nachgedacht.

Rücken wir Minderheiten zu stark in den âffentlichen Fokus? Zu viele Extrawürste für Subkulturen? Bekommt jeder SzenegÀnger mehr Aufmerksamkeit als der normale Bürger? Überfordern wir gegebenenfalls damit die Gesellschaft? Man kânnte derzeit auf diese Gedanken kommen.

ProSieben hat die Casting-Show "Queen of Drags" ins Programm genommen. Außerirdisch, galaktisch, anders sei sie, sagt Bill Kaulitz. Er ist Co-Moderator der im normalen Leben als "Modelmama" agierenden Heidi Klum und des Travestiekünstlers Conchita (Wurst). Ihre Sendung soll die queeren Lebensweisen und vor allem jene MÀnner feiern, die als humoristische Kunstform Weiblichkeit durch Aussehen und Verhalten übertrieben darstellen.

DarΓΌber hinaus ist seit Kurzem auf Netflix die 2. Staffel von "Pose" verfΓΌgbar. Hier steht die Transfrau Blanca Rodriguez-Evangelista im Mittelpunkt. Sie mischt die afroamerikanische und lateinamerikanische Ballroom-Szene im New York der 1980er und 90er Jahre auf und erlebt dabei den Siegeszug des Voguing-Tanzstils.

RTL startet die Datingshow "Prinz Charming" – und "feiert die schwule Community", wie es in der Eigenwerbung heißt. Plakate fΓΌr die homosexuelle Version vom "Bachelor", in der Prinz Nicolas Puschmann seinen Herzherren aus "20 attraktiven Single-MΓ€nnern" aussuchen kann, hΓ€ngen in ganz Deutschland, Programmspots laufen.

Überall LGBT – dabei sind das nicht viele

Der LGBT-Anteil an der BevΓΆlkerung in Deutschland – also der Anteil der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender – liegt einer Umfrage von 2016 zufolge bei 7,4 Prozent. MΓΆgen diese Ergebnisse auch nur eine AnnΓ€herung sein, weil das Messinstrument ungenau ist, so stellt der verdutzte "Normalo" doch fest, das sind echt nicht so viele.

"Chinchilla Arschloch, waswas." Wie bitte? Ich saß dieses Jahr in der Jury des Deutschen Hârspielpreises der ARD und vergangene Woche haben wir die Sieger gekürt. Die Auszeichnung ging an Helgard Haug und Thilo Guschas für ihr Stück mit dem ungewâhnlich Chinchilla Arschloch-Titel. Und auch in dieser WDR-Produktion geht es um eine "Randgruppe": Menschen mit der neuropsychiatrischen Stârung des Tourette-Syndroms. Sie werde durch "Tics" erkennbar, spontane Bewegungen, WortÀußerungen oder Laute, die ohne ihren Willen zustande kommen. Vagen SchÀtzungen zufolge sind laut der Tourette-Gesellschaft Deutschland 0,4 bis 0,7 Prozent der Bevâlkerung betroffen.

Die Kolleginnen und Kollegen, die den Deutschen KinderhΓΆrspielpreis vergaben, zeichneten Angela Gerrits fΓΌr "Eineinhalb Wunder und ein Spatz" aus. In dieser Produktion des Hessischen Rundfunks und des Deutschlandfunk Kultur geht es um ein FlΓΌchtlingskind, das abgeschoben wird. Und auch dreht sich wieder alles um eine Minderheit; laut dem Mediendienst Integration lebten Ende Juni ungefΓ€hr 1,3 Millionen GeflΓΌchtete in Deutschland, nur rund ein Drittel davon sind MinderjΓ€hrige.

Wird die Mehrheit unter all den Minderheiten vergessen?

Warum der Hype um kleine Teile der BevΓΆlkerung? Warum mΓΌssen wir ΓΌber Veganismus, Zero-Waste, Abstinenz und sonstige "Seltsamkeiten" des Alltags reden? Erleben wir eine RΓΌckkehr der Belle Γ‰poque, in der man vor lauter Faszination fΓΌr die zahlenmÀßig geringe BohΓ¨me scheinbar die schwer schuftenden Arbeiter und Bauern in den Fabriken, Bergwerken und auf dem Land vergaß – wessen man sich erst nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs gewahr wurde? Ist es nicht einfach zu viel an Besonderheiten, die heutzutage auf uns einprasseln?

Man kann, wie gesagt, durchaus auf diese Idee kommen. Allzu oft geht es in Γ–ffentlichkeit und Politik tatsΓ€chlich nicht um die Mitte der Gesellschaft, sondern um deren RΓ€nder. Das schΓΌrt bei vielen Unzufriedenheit. Bei manchen reift deshalb sogar Wut heran, und mit ihr wΓ€chst die Gefahr, dass sie sich irgendwann entlΓ€dt. Der derzeitige Zuspruch fΓΌr Rechtsradikale und Rechtspopulisten ist ein Ausdruck davon.

Bis zu einem gewissen Grad ist es jedoch nicht ungewΓΆhnlich, das Sonderbare und Abweichende heller zu beleuchten als das Normale. Denn das ist es schließlich, was uns Menschen interessiert und anlockt. Es liegt in unserer Natur. Dieser Trieb erlangte mit den VΓΆlkerschauen einen HΓΆhepunkt – oder besser gesagt einen Tiefpunkt. In einer Mischung aus Neugier und Ekel flanierte das Volk durch die Menschenzoos und bestaunte die ausgestellten Vertreter fremder Kulturen. Noch heute scheint es Relikte davon zu geben, wenn man sich die folkloristischen Klischee-Inszenierungen fΓΌr Ethnotouristen in Hotelanlagen wachruft: HΓΌften schwingende Polynesierinnen in BastrΓΆcken, trommelnde und stampfende Massai mit beinah handtellergroß geweiteten OhrlΓΆchern.

Mein Lebensmotto: Leben und leben lassen

Als aufgeklΓ€rte Menschen des 21. Jahrhunderts sollte es uns jedoch irgendwann gelingen, die AttitΓΌde dieser Arroganz abzulegen und die menschliche Vielfalt endlich als den eigentlich normalen Zustand zu akzeptieren. Die Welt, in der wir leben, ist nun einmal ein Ort voller DiversitΓ€t und Pluralismus und wird es auf absehbare Zeit bleiben. Mit diesem Faktum setzt man sich besser heute als morgen auseinander! Unser Land verΓ€ndert sich.

Mein Lebensmotto war schon immer: leben und leben lassen. Von daher fÀllt mir Wandel und VerÀnderung an dieser Stelle vielleicht einfacher als anderen. Dafür stehe ich anderenorts tagtÀglich vor der Herausforderung, die mir zugegebenermaßen nicht immer leicht fÀllt, bestimmte Randgruppen und Minderheiten zu tolerieren: Rechtspopulisten, Islamisten, IdentitÀre, Deutschomanen und alle sonstigen, die mir als liberale Muslimin mit syrischen Wurzeln Hass und Antipathie entgegenbringen. Im Umgang mit ihnen muss ich mich tÀglich trainieren und an meine demokratische Gesinnung appellieren: Der wichtigste Teil einer funktionierenden Demokratie ist nicht die Mehrheit, sondern die Minderheit!


Wenn man jedoch Minderheiten übertrieben stark in den Vordergrund rückt, verliert man die Mitte der Gesellschaft, und ohne diese ist kein Staat zu machen. Die Lâsung heißt nun aber nicht, weniger Minderheiten zu thematisieren, sondern âfters auf die Mehrheit zu schauen. Außerdem müssen VerÀnderungsprozesse in einer Gesellschaft erklÀrt und aktiv begleitet werden. "Queen of Drags", "Pose", "Prinz Charming" und andere Programme sind keine Bedrohung. Solche Formate machen nur einen geringen Teil des Unterhaltungsangebots aus; "Prinz Charming" lÀuft sogar nur im Stream und nicht im RTL-Hauptprogramm. Und schließlich verfügen wir über eine grundlegende Freiheit: Wir kânnen einfach wegzappen, weggucken oder weggehen, wenn uns etwas nicht gefÀllt.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, ReligionspÀdagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der UniversitÀt Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie kânnen unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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