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Kant und die Frage der Aufklärung : Die Feinde der Aufklärung


Kant und die Frage der Aufklärung
Die Feinde der Aufklärung

Ein Kommentar von Jörg Friedrich

21.10.2012Lesedauer: 3 Min.
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( (Quelle: Wikimedia Commons)
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Die moderne Naturwissenschaft, ebenso wie die Berater der modernen politischen Institutionen, sehen sich gern als Erben Kants, sie sind aufgeklärt, säkular, denken jenseits aller Mythen oder nebulöser irrationaler und emotionaler Überzeugungen. Jeder, der die Autorität ihrer Rationalität infrage stellt, läuft Gefahr, als Feind der Aufklärung bezeichnet zu werden. Das wäre allenfalls lustig, wenn es nicht ein bezeichnendes Licht darauf werfen würde, in welch beklagenswertem Zustand sich das Projekt der Aufklärung inzwischen befindet.

Ich möchte noch einmal an die beiden oft zitierten und fast genauso oft fehlgedeuteten Sätze Kants erinnern:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen.

Was an diesen Sätzen eigentlich auffallen sollte, ist ihre Reflexivität: Es geht um mich selbst, um meine selbstverschuldete Unmündigkeit, es geht um mein Vermögen, mich meines eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen.

Das Lichten des Nebels

Aufklärung ist das Lichten eines Nebels, das Beseitigen von Verdeckungen und Verschleierungen, vielleicht auch das Beleuchten von etwas, was im Dunklen liegt. Das heißt aber zunächst: Da ist ein Nebel, da sind Verdeckungen. Und der Aufklärer steckt selbst in diesem Nebel, und befreit sich selbst daraus, indem er lernt, seinen Verstand als Licht zu nutzen.

Diejenigen aber, die heute so gern den Begriff der Aufklärung im Munde führen, meinen zunächst, sie seien bereits aufgeklärt und sie müssten nun die anderen, die Noch-nicht-Aufgeklärten, aufklären.

Das Missverständnis über den Sinn von Aufklärung könnte nicht größer sein: Wenn ich meine, jemanden aufklären zu müssen, dann wird doch dieser gerade nicht in die Situation kommen, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen, der Aufklärer ist und bleibt dieser Andere, der Leitende, dessen Wahlspruch wohl ist: „Aufgeklärt werden müssen immer nur die anderen.“

Wissenschaften können uns nicht aufklären, sie können uns allenfalls informieren, und das erwarten wir zu Recht auch von ihnen. Wenn mich beispielsweise jemand fragt, wann und wo die nächste Straßenbahn fährt, und ich ihm diese Information gebe, dann ist das keine Aufklärung, da vorher eigentlich nichts, weder für den Frager noch für mich, unklar war. Wenn der Frager seine Bitte um Information mit den Worten einleiten würde: „Mir ist unklar, wann und wo …“, fände ich das merkwürdig. Er weiß schon, dass Straßenbahnen fahren, dass es Haltestellen und Fahrpläne gibt. Aufklärung des Fragers wäre vielleicht angebracht, wenn dieser seine Verwunderung über Menschenansammlungen an parallel verlaufenden Metall-Strängen kundtun würde – wobei es sehr wahrscheinlich ist, dass solche Aufklärung nicht gelänge, weil diesem Menschen vieles, was uns selbstverständlich ist, merkwürdig erscheinen würde. Auch da wäre dann wahrscheinlich weniger Aufklärung angesagt als vielmehr der Versuch, einander besser zu verstehen. Die Aufklärung würde der Frager – mit der Zeit – eben für sich selbst zustande bringen müssen. Man kann also unterscheiden zwischen dem Klären von etwas, was trübe und nebulös ist, was also aufgeklärt werden muss, dem Erklären, was getan wird, wenn jemand irgendeinen Zusammenhang nicht versteht, und dem Informieren, wo es gar keine Unklarheiten und nichts Unverstandenes gibt, sondern nur Fakten benötigt werden.

Sich selbst aus dem Nebel befreien

Ein Aufklärer, der wirklich in der Tradition Kants steht, will aber niemanden außer sich selbst aufklären, es kann immer nur darum gehen, sich selbst aus dem Nebel zu befreien, den der eigene Atem verursacht, den Staub aus den eigenen Augen zu reiben, den die eigenen Schritte aufgewirbelt haben. Erfreulich ist, wenn man sich dabei mit ein paar anderen zusammentun kann, schön ist, wenn solcherart Aufklärung ansteckend ist.

Andere aufklären – das ist nicht nur eine Anmaßung (ich habe mich schon zu oft zu gründlich geirrt, um glauben zu können, dass ich irgendetwas Wichtiges wüsste, worüber andere nur aufzuklären wären). Jede so verstandene „Aufklärung“ begründet ein Macht- und Abhängigkeitsverhältnis und verrät damit letztlich die Idee der Aufklärung. Würde das tatsächlich einmal als „Aufklärung“ bezeichnet werden, dann wäre ich mit Freude ein „Feind der Aufklärung“.

Der Autor: Philosoph kann man erst werden, wenn sich die grauen Haare zeigen. Deshalb begann Friedrich sein Philosophie-Studium, als er die Vierzig schon überschritten hatte. Das Studium schloss er 2009 ab. Zuvor hatte er Meteorologie und Physik studiert und 1989 mit einer Diplomarbeit über die Simulation von Strukturbildung und Chaos in der Atmosphäre beendet. Heute beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der praktischen und politischen Philosophie sowie der Technikphilosophie. Friedrich ist außerdem Geschäftsführer der Firma INDAL.

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