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Von der Leyens Rede: Sie muss mehr liefern als Phrasen – und zwar jetzt!


Von der Leyens Rede zur Lage der Union
Chance vertan

  • Sonja Eichert
MeinungEin Kommentar von Sonja Eichert

Aktualisiert am 14.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Plenarsitzung des EuropaparlamentsVergrößern des Bildes
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Sie erklärte zu Beginn ihrer Präsidentschaft, sie mache das Klima zur Priorität. (Quelle: Philipp von Ditfurth/dpa/dpa)

Bei der Rede zur Lage der EU muss man zwangsläufig über die Klimakrise sprechen, so viel hat Ursula von der Leyen erkannt. Trotzdem enttäuschten ihre Worte.

Eine Stunde lang sprach Ursula von der Leyen am Mittwochmorgen vor dem EU-Parlament zur Lage der Union. Ihre Rede stand unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – verständlicherweise. Doch Europa befindet sich noch in einer weiteren Krise, deren Dringlichkeit sich in der Rede und den Versprechen der Kommissionspräsidentin nicht wiederfand: die Klimakrise.

Europa hat den heißesten Sommer hinter sich, den der Kontinent je erlebt hat. Hitzewellen, Dürren und Waldbrände prägten die vergangenen Monate. Dass das erst der Anfang ist, benannte von der Leyen klar. Diese "zerstörerische Kraft" sei für ein Land allein nicht zu stemmen, man müsse für "die Bewältigung des Klimawandels" besser gerüstet sein, sagte sie.

Das Ergebnis: Sie verspricht, die EU-Kapazitäten zur Brandbekämpfung zu verdoppeln – zehn Löschflugzeuge und drei Hubschrauber sollen für die EU-Flotte angeschafft werden. "Das ist gelebte europäische Solidarität." Man müsse sich besser anpassen, "die Natur zu unserem wichtigsten Verbündeten machen."

Doch müsste gelebte Solidarität nicht auch heißen, nicht nur mehr für die Anpassung an die Erderhitzung zu unternehmen, sondern auch im Kampf gegen die Erderhitzung?

Energiekrise: Wohin geht die Reise?

Die Energiekrise stellt die EU vor massive Herausforderungen. Aus Klima-Perspektive können sich diese in zwei Richtungen entwickeln: Einerseits wenden sich viele Länder wieder den klimaschädlichen fossilen Energieträgern zu – Kohle oder auch das in Deutschland angepriesene LNG stehen hoch im Kurs.

Andererseits wird nun unternommen, was schon längst hätte passieren müssen: Energiesparen als oberste Maxime, Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien, Investitionen in den Hoffnungsträger Wasserstoff. Drei Milliarden Euro soll eine Europäische Wasserstoffbank nach dem Willen von der Leyens bereitstellen, um grünen, emissionsfreien Wasserstoff zu fördern.

Verbraucher sollen "die Vorteile der kostengünstigen erneuerbaren Energien" nutzen können, so von der Leyen. Dazu kündigte sie den angekündigten Umbau des Strompreises an, weg von der Orientierung am hohen Gaspreis. Man müsse sich von den fossilen Brennstoffen lossagen. Davon ist die EU derzeit noch meilenweit entfernt.

Die Welt rast in Richtung Klimakatastrophe

Ebenso weit entfernt: ein effektiver Kampf gegen die Klimakrise. Vor wenigen Tagen warnte eine Gruppe internationaler Klimaforscher in einer Analyse, dass bei 1,5 Grad Erderhitzung – das entspricht dem Pariser Klimaziel – vier Kipppunkte für das Weltklima erreicht werden könnten. Dann droht eine Kettenreaktion der Klimakatastrophen.

Das Prekäre: Die Forscher prognostizieren, dass 1,5 Grad Erderhitzung auf Grundlage der aktuellen Entwicklungen schon 2030 Wirklichkeit werden. Würden weltweit alle Maßnahmen umgesetzt, die derzeit geplant sind, könnte die Erderhitzung bis 2100 wohl noch auf 1,95 Grad begrenzt werden. Ohne die Einführung zusätzlicher Maßnahmen wären es der Prognose zufolge 2,6 Grad.

Die Welt rast also auf die Kipppunkte zu. Eigentlich müsste in der EU und weltweit jede Anstrengung unternommen werden, um beispielsweise ein weiteres Abschmelzen der Eisschilde und einen Anstieg des Meeresspiegels hin zum "Point of no return" zu verhindern. Die Lebensbedingungen der Zukunft hängen davon ab.

Sie weiß, dass es nicht reicht

Gute Lebensbedingungen für zukünftige Generationen – das will Ursula von der Leyen. Mehr Generationengerechtigkeit forderte sie vor dem EU-Parlament. Und doch schafft es sie nicht, einen machbaren Weg vorzuschlagen und die Mitgliedsstaaten hinter sich zu vereinen. Diese müssen die Maßnahmen schließlich am Ende umsetzen.

Die Kommissionspräsidentin erzählte von einem "bewegenden" Besuch in Taizé Ende August, einem internationalen ökumenischen Männerorden in Frankreich, der für seine Jugendtreffen bekannt ist. An einem solchen nahm von der Leyen teil und machte in ihrer Rede dort deutlich, was sie am Mittwochmorgen vermissen ließ: Ein klares Bekenntnis zum Pariser Klimaziel, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad, nach Möglichkeit auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Um dieses zu erreichen, brachte die deutsche Politikerin 2019 den europäischen Green Deal auf den Weg. In mancher Hinsicht sei der Green Deal ein großer Erfolg gewesen, sagte die 63-Jährige in Taizé. "Aber er ist bei Weitem nicht genug. Wir müssen mehr tun. Und ob dies geschieht oder nicht, wird zu einem großen Teil von meiner Generation abhängen. Wir müssen liefern."

Daran muss sich die Kommissionspräsidentin messen lassen: Sie weiß, dass die bisherigen Maßnahmen nicht reichen, und ließ am Mittwochmorgen trotzdem die Chance, tatsächlich zu liefern, verstreichen.

Von der Leyen muss liefern – jetzt

Zwar will sie die heilige Kuh der Union anfassen: die Verträge. Es sei Zeit für einen Europäischen Konvent, wie ihn das EU-Parlament im Juni beantragt hatte, sagte von der Leyen am Mittwoch. Der Europäische Konvent ist das Gremium für Vertragsänderungen in der EU, dabei kommen Vertreter der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission zusammen.

Ob ein Europäischer Konvent aber auch der richtige Weg für mehr Klimaschutz und mehr Generationengerechtigkeit ist, bleibt allerdings zu bezweifeln: Einerseits sind junge Menschen in dem Gremium unterrepräsentiert. Andererseits lehnen es etliche Staaten kategorisch ab, noch deutlich mehr gegen die Klimakrise zu unternehmen – und für Vertragsänderungen bräuchte es Einstimmigkeit. Dass das wohl nicht passieren wird, dürfte Ursula von der Leyen eigentlich klar sein. Als Präsidentin des einzigen EU-Organs mit dem Recht zu Gesetzesinitiativen muss sie also mehr liefern als Phrasen – und das jetzt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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