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Corona-Statistik erklärt: Das sagt die Reproduktionszahl R(0) genau aus


Corona-Statistik erklärt
Das sagt die Reproduktionszahl R(0) genau aus

Von Laura Stresing

Aktualisiert am 13.05.2020Lesedauer: 5 Min.
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Eine Virologin posiert mit einer Corona-Blutprobe (Symbolfoto): Die Reproduktionsrate soll am besten unter eins liegen.Vergrößern des Bildes
Eine Virologin posiert mit einer Corona-Blutprobe (Symbolfoto): Die Reproduktionsrate soll am besten unter eins liegen. (Quelle: Geisler-Fotopress/dpa-bilder)

Das RKI gibt bekannt, dass die Reproduktionszahl in Deutschland wieder über 1 gestiegen ist. Doch was genau sagt der Wert eigentlich aus und wie wird er berechnet?

Hinweis: Das Robert Koch-Institut hat seine Berechnungen für R seit Erscheinen dieses Artikels mehrfach geändert. Zuletzt wurde R so angepasst, dass regional begrenzte Ausbrüche weniger ins Gewicht fallen. Dies soll zu einem stabileren, "geglätteten" R-Wert führen. Die hier beschriebenen Rechenwege behalten ihre Gültigkeit und können zur groben Bestimmung von R angewendet werden. (Update am 13.05.20)

Deutschland hat ein neues Ziel: die Reproduktionsrate bei der Verbreitung des Coronavirus soll unter 1 sinken, und zwar dauerhaft. Nur so sei die Epidemie in den Griff zu kriegen und nur so lasse sich verhindern, dass das Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenze stoße, erklärte die Bundeskanzlerin kürzlich in einer Pressekonferenz.

Seither schaut das ganze Land gebannt auf diesen Wert. Ist er gestiegen oder gefallen? Klettert er über 1, droht eine erneute Verschärfung der Maßnahmen wie Ausgangssperren und Schulschließungen. Doch woher wissen wir überhaupt, wie sich R entwickelt und wie zuverlässig ist der Wert? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was sagt der R-Wert aus?

Der jeweils aktuelle R-Wert für Deutschland lässt sich dem täglichen Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) entnehmen (hier geht es zu dem PDF-Download). Es gibt zwar auch andere Berechnungen, beispielsweise vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI). Die Bundesregierung beruft sich in ihren Entscheidungen aber auf die offiziellen Angaben des RKI.

In den vergangenen Tagen ist die Reproduktionszahl laut der Gesundheitsbehörde leicht gestiegen und lag am 28. April bei 1,0. Das bedeutet, dass im Mittel jeder mit SARS-CoV-2 Infizierte eine weitere Person ansteckt.

Dabei handelt es sich um eine statistische Schätzung. Der "wahre" Wert lässt sich nicht bestimmen, aber er bewegt sich sehr wahrscheinlich innerhalb des sogenannten Konfidenzintervalls zwischen 0,8 und 1,1.

Wie aussagekräftig ist der R-Wert?

Der R-Wert wird als ein bundesweiter Durchschnitt ermittelt. Dadurch verschleiert er die zum Teil extremen regionalen Unterschiede. So kann es sein, dass zwar dramatische, aber regional begrenzte Ausbrüche – zum Beispiel in Altersheimen und Krankenhäusern – die R-Kurve steigen lässt. Auch der Ausbau der Testkapazitäten kann zu einem Anstieg des R-Werts führen, da mehr Fälle von der Statistik erfasst werden als zuvor.

Umgekehrt lässt sich aus dem R-Wert nicht schließen, wie "schlimm" die Situation aktuell ist, sondern lediglich, ob sich möglicherweise eine Verbesserung oder Verschlechterung abzeichnet.

Um die aktuelle Lage besser einschätzen zu können, ist daher immer ein Abgleich von R mit anderen Statistiken und Erkenntnissen aus Studien angeraten.

Wie wird R berechnet?

Die sogenannte Generationszeit für das Coronavirus SARS-CoV-2 beträgt derzeit etwa 4 Tage. Das heißt, nach der Infektion einer Person vergehen im Durchschnitt 4 Tage, bis sie weitere Personen ansteckt. (Dieser Wert ist variabel und kann sich beispielsweise im Zuge strenger Kontaktverbote erhöhen.)

Um herauszufinden, wie viele Menschen die Betroffenen im Durchschnitt infiziert haben, muss man die Zahl der Neuinfektionen in einem bestimmten 4-Tages-Intervall durch die Zahl des vorangegangenen Zeitfensters teilen. Daraus ergibt sich, dass R immer dann über den Wert 1 steigt, wenn die Zahl der Neuinfektionen höher ist als im vorangegangenen Intervall.

Rechenbeispiel
Zwischen dem 27. und 30. März gab es 18.037 Neuinfektionen. Zwischen dem 31. März und 3. April gab es 25.079 Neuinfektionen. Der Quotient daraus ergibt R = 25.079 / 18.037 = 1,4.

Zwischen dem 20. und 23. April gab es 8.382 Neuinfektionen und zwischen dem 24. und 27. April 4.265 Neuinfektionen. Der Quotient daraus ergibt R = 4.265 / 8.382 = 0,5.

Warum muss R unter 1 bleiben?

Bei einer Reproduktionszahl R = 0,5 halbiert sich die Zahl der Neuinfektionen alle vier Tage. Nach nur wenigen Wochen würde die Fallzahl in Deutschland unter diesen Umständen vermutlich auf ein Maß sinken, das es möglich macht, Ausbrüche komplett zu isolieren und die Epidemie weitgehend einzudämmen.

Bei R = 2 hingegen würde sie sich im selben Zeitraum verdoppeln. Bei R = 1 bleibt die Zahl der Neuinfektionen konstant und die Fallzahlen steigen nicht mehr exponentiell, sondern linear. Die Epidemie wird berechenbarer. Diesen Zustand strebt die Bundesregierung an.

Dabei können schon kleine Schwankungen einen entscheidenden Unterschied machen. So bedeutet ein R von 1,3 zum Beispiel, dass sich die Anzahl der Neuinfizierten alle 11 Tage verdoppelt, rechnet das RKI vor.

Was muss ich über den R-Wert des RKI sonst noch wissen?

Das RKI zieht für seine Berechnungen nicht die gemeldeten Fallzahlen heran, so wie wir es oben in der Beispielrechnung gemacht haben. Der Grund: Die Meldestatistik ist viel zu unzuverlässig und bildet nicht einmal ansatzweise das tatsächliche Infektionsgeschehen ab. Das liegt einerseits daran, dass viele Fälle asymptomatisch verlaufen und gar nicht erfasst werden.

Zum anderen gibt es einen Meldeverzug. Gerade an den Wochenenden und Feiertagen, wenn viele Labore und Behörden nicht besetzt sind, sinken die Zahlen auffällig – was aber nicht bedeutet, dass es keine neuen Fälle gibt.

In seinem Epidemioglogischen Bulletin vom 24. April schildert das RKI die ganze Misere ausführlich. Zwischen 5 und 10 Tage vergehen demnach zwischen dem Erkrankungsbeginn und der Meldung des Falls an das RKI. Mit solchen Daten lässt sich nur ein veralteter R-Wert abbilden, der auch noch auf Werten basiert, die eigentlich nicht vergleichbar sind.

Um die Schwächen des Meldesystems auszugleichen, muss das RKI tief in die statistische Trickkiste greifen. Dazu wird der jeweilige Erkrankungsbeginn der gemeldeten Fälle ermittelt und mit Hilfe statistischer Verfahren geschätzt, was das für den tatsächlichen Verlauf der Epidemie bedeutet: Wie viele Menschen haben sich in den vergangenen Tagen angesteckt und sind erkrankt, auch wenn sie noch nicht als Fall gemeldet sind?

Dieses sogenannte "Nowcasting" weist nun seit Anfang April relativ konstante Werte mit Tendenz nach unten auf, was in einem R-Wert knapp unter 1 resultiert. Doch je weiter sich diese Analyse der Gegenwart nähert, desto unsicherer wird die Schätzung und statistische Schwankungen nehmen zu. Für die letzten drei Tage verzichtet das RKI deshalb jeweils auf eine Angabe eines Nowcastings und des R-Werts.

R-Wert unterliegt Schwankungen

Halten wir also fest: Der R-Wert beruht auf einer statistischen Schätzung und er lässt sich nur für ein zurückliegendes Zeitintervall bestimmen, nicht für den aktuellen Zeitpunkt. Außerdem unterliegt er Schwankungen, die rein gar nichts damit zu tun haben, ob Schutzmaßnahmen wirken oder nicht, sondern eher mit Problemen bei der Datenerhebung – sogenannten "statistischen Artefakten". Logisch: Bei zwei aufeinanderfolgenden Intervallen von vier Tagen fällt schließlich immer eines zumindest teilweise auf ein Wochenende. Das verzerrt das Ergebnis.

(Hinweis: Das RKI hat nach der Erstveröffentlichung dieses Artikels seine Berechnung von R auf eine Punktschätzung umgestellt. Stattdessen wird im Nowcasting ein gleitender Mittelwert im 4-Tages-Intervall ermittelt. Details können Sie dem täglichen Lagebericht entnehmen)

Laut dem RKI erweist sich R zwar als stabiler als die Zahl der Neuinfektionen oder auch das Nowcasting. Trotzdem räumt das Institut ein, dass der Wert "einzelne kleine Ausreißer" aufweist. Diese verschwinden zwar nach einigen Tagen wieder und die Kurve "glättet" sich. Umso wichtiger ist es aber, die Zahlen dauerhaft im Auge zu behalten, Entwicklungen abzuwarten und keine vorschnellen Schlüssen zu ziehen.

Hinweis: Das zweite Rechenbeispiel hatte in einer früheren Version des Artikels falsche Datumsangaben enthalten. Das wurde korrigiert.

Verwendete Quellen
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