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Landkreis vor Corona-Kollaps? "Höhepunkt noch nicht erreicht"


Corona-Kollaps in deutschem Landkreis?
Inzidenz bei fast 600: "Höhepunkt noch nicht erreicht"


Aktualisiert am 27.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Intensivstation: In Mühldorf am Inn sind alle Betten belegt. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Intensivstation: In Mühldorf am Inn sind alle Betten belegt. (Archivbild) (Quelle: imago-images-bilder)

Kein einziges Intensivbett ist

Gefüllte Fußballstadien, enges Schunkeln in der Kneipe und so viele Freunde treffen, wie man will: In Deutschland herrscht trotz Pandemie weitgehend Normalität. Doch der Schein trügt. Das Infektionsgeschehen in einzelnen Regionen ist zu hoch, um Corona für beendet zu erklären. Zudem ist die Impfquote laut Experten noch immer zu niedrig.

Dafür gibt es dieser Tage kaum ein besseres Beispiel als Mühldorf am Inn: In dem Landkreis im Süden Bayerns sind die Kapazitäten der Intensivbetten aktuell ausgeschöpft. Mühldorf verzeichnet deutschlandweit die höchste Sieben-Tage-Inzidenz: 592,4 (Stand: 27. Oktober 2021). Nicht alle Intensivpatienten sind an Covid-19 erkrankt – aber die Prognose für die kommenden Wochen lässt aufhorchen.

Vor rund drei Wochen lag die Inzidenz noch bei unter 100. Doch seit dem 7. Oktober geht die Infektionskurve in Mühldorf steil bergauf. "Seit Freitag haben sich die Corona-Fälle auf den Intensivstationen mehr als verdoppelt, da sind wir schon am Limit", erzählt der Chefarzt der Pneumologie und Beatmungsmedizin am Innklinikum Mühldorf, Dr. Gregor Zimmermann, t-online.

Geringe Impfquote, hohe Inzidenz

Und es gibt keine Entwarnung: "Ich denke, wir haben den Höhepunkt noch nicht erreicht." Man werde erst nächste Woche sehen, ob die Intensiv-Kapazitäten reichen, denn aufgrund des Zeitverzugs zwischen einer Corona-Infektion und der Behandlung auf der Intensivstation liegen laut Zimmermann meist mehrere Tage.

Dass die Krankenhäuser im Landkreis an ihre Belastungsgrenzen stoßen, führt bislang nicht zu einem Nachschärfen der lokalen Corona-Maßnahmen. Das Leben in Mühldorf am Inn geht weiter: Die Kinder gehen zur Schule, die Kitas haben geöffnet, Feiern und öffentliche Veranstaltungen finden unter Hygieneauflagen statt – wie im Rest des Landes auch. Keine besonderen Regeln, keine besonderen Einschränkungen.

Der Landrat von Mühldorf am Inn, Max Heimerl, befürwortet dieses Vorgehen. Angesichts des Impffortschritts dürften sich die Leute ja wieder vergleichsweise frei fühlen, sagte der CSU-Politiker der Süddeutschen Zeitung (SZ). Dieses Bedürfnis könne er "menschlich gut verstehen". Doch eines lässt Heimerl dabei außen vor: Die Impfquote in seinem Landkreis liegt unter dem Bundesdurchschnitt. Den Zahlen des örtlichen Impfzentrums zufolge sind erst etwa 63 Prozent der rund 116.000 Einwohner vollständig geimpft (Stand: 22. Oktober 2021). Deutschlandweit sind es 66,4 Prozent (Stand: 27. Oktober 2021). Die Quote reicht nicht, um insbesondere die gefährdeten Gruppen und ältere Bürger zu schützen.

Immer mehr Jüngere erkranken

Das belegen die Zahlen aus dem Mühldorfer Innklinikum: "Etwa 80 Prozent der Corona-Patientinnen und -Patienten, die intensiv versorgt werden müssen, sind ungeimpft. Und die wenigen Geimpften haben schwere Vorerkrankungen", sagt Chefarzt Zimmermann. Er hoffe daher, dass sich schon bald mehr Menschen für eine Impfung entscheiden.

"Covid-19 ist nach wie vor ein großes Problem." Inzwischen erkranken nicht mehr nur ältere Menschen schwer, sondern auch jüngere ohne Vorerkrankung. "Die standen vorher mitten im Leben und landen dann plötzlich auf der Intensivstation", so der Mediziner.

Was Zimmermann tagtäglich in seiner Klinik erlebt, spiegelt sich auch in den offiziellen Statistiken wider: Es sind nicht mehr die älteren Einwohner in Mühldorf, die sich am häufigsten mit dem Virus infizieren, sondern die 5- bis 14-Jährigen. In dieser Altersgruppe liegt die Inzidenz bereits bei 935 (Stand: 27. Oktober 2021). Fast genauso stark betroffen sind die 15- bis 34-Jährigen mit einer Inzidenz von 812. Zimmermann zufolge gibt es eher mehrere kleine Infektionsgeschehen als ein großes. "Die Infektionen finden in der Schule oder in den Familien statt."

Dr. Gregor Zimmermann ist Chefarzt der Pneumologie und Beatmungsmedizin am Innklinikum Mühldorf. Der 42-Jährige war zuletzt Leiter und Oberarzt der Pneumologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Neben seinem Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie hat Dr. Zimmermann Ausbildungen als Allergologe und Intensivmediziner abgeschlossen.

Infektionstreiber Alternativmedizin

Warum die Infektionszahlen immer weiter in die Höhe schießen, kann sich Landrat Heimerl der SZ zufolge nicht erklären. Die Inzidenz sei auch im Sommer nie wirklich niedrig gewesen, anders als in vielen anderen Regionen in Deutschland. Könnten die steigenden Zahlen womöglich auf die benachbarten Landkreise mit hohen Inzidenzen zurückzuführen sein? Denn die liegen an der Grenze zu Österreich und sind als Pendlergebiete ohnehin stärker von Infektionsherden betroffen.

Urlauber und Wochenendausflügler könnten ebenso vermehrt zu hohen Inzidenzen beitragen, sagte die Virologin Ulrike Protzer von der Technischen Universität München dem Bayrischen Rundfunk (BR). Auch das erhöhte Interesse an Naturheilkunde und Alternativmedizin in der Region könnte dem Bericht zufolge ein Infektionstreiber sein: Wer auf Naturheilverfahren statt auf wissenschaftliche Empfehlungen vertraut, setzt sich verstärkt einem Infektionsrisiko aus.

Die sich verschärfende Corona-Lage macht insbesondere den Krankenhausangestellten zu schaffen. "Was die Mitarbeiter seit 20 Monaten leisten, ist bewundernswert", sagt Pneumologe Zimmermann mit Blick auf die hohe Belastung. Zwischen den Krankenhäusern im Umkreis wurden während der Pandemie Netzwerke geschaffen, um sich gegenseitig auszuhelfen. "Doch auch in den anderen Kliniken sind die Kapazitäten derzeit oft erschöpft", sagt der Arzt.

Warten auf den Freistaat Bayern

Landrat Heimerl erwartet, dass der Freistaat Bayern die Regeln für die Krankenhaus-Ampel konkretisiert. Es brauche ein Verfahren, das klarstelle, was passiert, wenn die Ampel auf Gelb oder Rot springt, sagte Heimerl der Nachrichtenagentur dpa. "Wir brauchen ein klares Regelwerk, mit dem wir durch den Winter kommen."

Bislang ist insbesondere nicht definiert, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, sollte die Krankenhaus-Ampel auf Rot springen. Für seinen Landkreis hat Heimerl bereits an die Schulen appelliert, dass dort wieder überall freiwillig Masken getragen werden. Dies solle jedenfalls bis zu den Herbstferien auch so bleiben. "Und mal schauen, ob dann eine landesweit einheitliche Regelung kommt", so der CSU-Politiker.

Das Beispiel Mühldorf am Inn zeigt wie im Brennglas, dass der Kampf gegen die Pandemie in Deutschland noch nicht zu Ende ist. Denn während ein Großteil der Menschen wieder weitgehend in der Normalität lebt, stapeln sich in immer mehr Kliniken die Akten der Intensivpatienten. Und der Winter kommt erst noch.

Verwendete Quellen
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