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Ukraine-Geflüchtete in Berlin über Rückkehr: "Wenn keine Bomben mehr fallen"


Sie floh – er blieb zurück
"Ich kehre nur zurück, wenn keine Bomben mehr fallen"

  • Nils Heidemann
InterviewVon Nils Heidemann

Aktualisiert am 24.02.2023Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Eine Frau legt eine Rose an den Gedenkort in Dnipro, bei dem durch einen Raketenangriff mehrere Personen getötet wurden (Archivbild): Viele Menschen wurden durch den Krieg geteilt.Vergrößern des Bildes
Eine Frau legt eine Rose an den Gedenkort in Dnipro, bei dem durch einen Raketenangriff mehrere Personen getötet wurden (Archivbild): Viele Menschen wurden durch den Krieg getrennt. (Quelle: ZUMA Wire/imago-images-bilder)

Der Krieg bringt Tod und Zerstörung – und entzweit viele Familien. Millionen Menschen müssen seither mit dieser Situation leben. Auch in Berlin.

Am Morgen des 24. Februar 2022 marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Seitdem herrscht Krieg in Europa. Ein folgenschweres Ereignis. Angst, Zerstörung und Tod sind die Folge.

Viele Menschen werden seither aus ihrer Heimat vertrieben, Familien gespalten. So geht es auch der 35-jährigen Irina Rukomasova aus Dnipro. Sie wohnt seit einem Jahr in Berlin. Erst im Januar sind in ihrer Stadt im Osten der Ukraine mindestens 20 Menschen bei einem Raketenangriff durch die Russen gestorben.

In Deutschland ist Rukomasova sicher. Und doch ist sie ständig in Gedanken bei ihrem Mann in der Ukraine, wie sie im t-online-Interview verrät.

t-online: Frau Rukomasova, wie denken Sie an den 24. Februar 2022 zurück?

Irina Rukomasova: Ich konnte damals nicht begreifen, dass Krieg in meinem Land herrscht. Auch heute fühlt es sich noch unrealistisch an. Es ist unglaublich, wie schnell ein Jahr vergeht.

Seither leben Sie in Berlin. Wie sind Sie damals hierhergekommen?

Ich lebe eigentlich in Dnipro. Ich bin damals mit meiner Tochter in einen Evakuierungszug gestiegen. Meine Einjährige habe ich getragen, auf meinem Rücken lediglich einen Rucksack. Ansonsten hatte ich gar nichts dabei. Wir waren insgesamt vier Tage unterwegs. Ich habe an nichts anderes gedacht, außer mit meinem Kind an einen sicheren Ort zu kommen.

Wie fühlen Sie sich aktuell?

Mir geht es nicht gut. Ich lebe seit Kriegsbeginn in Berlin bei einem Freund in einer WG. Zusammen mit meiner Tochter. Sie ist jetzt zwei Jahre alt. Mein Mann ist weiterhin in der Ukraine. Meine Tochter hat ihren Vater seit einem Jahr nicht gesehen. Ihr halbes Leben hat sie ohne ihn verbracht.

Stehen Sie täglich in Kontakt mit ihm?

Wir können telefonieren und schreiben, wenn es Elektrizität und eine Internetverbindung gibt. Doch wir müssen abwägen, wann es passt. Wir müssen zum Beispiel schauen, dass während des Anrufes kein Alarm ausgerufen wird. Aktuell ist eine sehr schwierige Phase. Mein Mann ist sehr deprimiert. Er sieht, wie ich hier ein Parallelleben lebe und er in unserem echten Leben ist.

Wie geht es Ihnen damit?

Für mich fühlt es sich ähnlich an. Als ob ich in einem falschen Film bin. Ich versuche, optimistisch zu sein. Klar ist aber auch: Hätten wir unsere Tochter nicht, wäre ich wahrscheinlich immer noch bei ihm in der Ukraine.

Wie sicher ist Ihr Mann dort, wo er gerade ist?

Er ist nicht an der Front und arbeitet von zu Hause. Aber er wartet jeden Tag darauf, dass er Post bekommt und vom Militär eingezogen wird. Er hat große Angst davor, denn er hat keine Erfahrung. Deshalb wartet er jeden Tag auf das Ticket in den Tod. So fühlt es sich für ihn an. Das ist ein sehr schlimmes Gefühl, auch für mich.

Da spielen sicherlich auch die täglichen Nachrichten aus Ihrer Heimat eine Rolle. Versuchen Sie alles mitzubekommen und auf dem aktuellen Stand zu bleiben?

Nachrichten zu lesen, ist ein fester Teil meines Lebens geworden. Ich kann keinen Abstand gewinnen. Alles, was in der Ukraine passiert, ist mein Leben, meine Vergangenheit.

Sie können selbst hier in Deutschland also niemals vom Krieg abschalten?

Der Krieg ist da. In jeder Minute meines Lebens. Ich denke immer darüber nach. Es fällt mir schwer, einfach so in ein neues Leben zu starten.

Sie sind damals nach einer langen Reise in Berlin angekommen. Wie wurden Sie hier aufgenommen? Haben die Deutschen Ihnen die Ankunft erleichtert?

Deutschland war immer freundlich zu mir. Ich musste mich nur daran gewöhnen, dass es hier viel Bürokratie gibt (lacht). Man muss die Regeln kennen und befolgen. Das ist okay. Ich finde das sogar gut. In der Ukraine ist das alles aber ein bisschen lockerer. Ich kannte die Sprache vorher bereits, weil ich in der Ukraine in einem deutschen Unternehmen gearbeitet habe. Hier habe ich auch schnell Arbeit gefunden. Ich bin Buchhalterin in einer Kita. Auch meine Mutter wohnt jetzt hier in Berlin. Sie kam am 12. Februar, also vor knapp zwei Wochen, aus der Ukraine.

Trotzdem wiederholen Sie immer wieder, dass sie zurückwollen. Haben Sie große Hoffnungen, mittelfristig zurückkehren zu können?

Jeden Tag wünsche ich mir das, aber das Ende des Krieges sehe ich derzeit nicht. Ich kehre nur zurück, wenn ich sicher bin, dass meiner Tochter nichts passiert und keine Bomben mehr fallen.

Die Sehnsucht muss groß sein.

Sehr sogar. Dort ist mein Leben. Andererseits ist meine Tochter jetzt die Hälfte ihres Lebens hier in Deutschland. Sie ist zwar erst zwei, kennt aber keine andere Realität. Wenn sie noch älter wird und länger in Deutschland lebt, ist es hier für sie normal. Für mich ist es das allerdings nicht. Ich denke immer an den Krieg, meinen Mann und mein richtiges Leben in der Ukraine.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Rukomasova!

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Irina Rukomasova
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