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Angriff auf Franziska Giffey in Berlin: Angreifer ist Millionär


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Giffey-Angreifer vor Gericht
Ein Millionär, der Lebensmittel aus dem Müll fischt


09.10.2024Lesedauer: 4 Min.
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, Beschuldigter Helmut H.: Ist er eine Gefahr für die Allgemeinheit?Vergrößern des Bildes
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, Beschuldigter Helmut H.: Ist er eine Gefahr für die Allgemeinheit? (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa/Montage: ha)

Der Prozess gegen den Angreifer von Franziska Giffey gibt tiefe Einblicke in ein tragisches Leben. Das Gericht steht nun vor einer schweren Entscheidung.

Der Angriff an sich war vergleichsweise harmlos. Mit einem befüllten Stoffbeutel hat Helmut H. Franziska Giffey im Mai bei einer Zufallsbegegnung gegen den Hinterkopf geschlagen. Giffey klagte danach über Kopf- und Nackenschmerzen, konnte jedoch bereits am nächsten Tag wieder arbeiten. Trotzdem könnte dieser Schlag für Helmut H. bedeuten, dass er nie wieder in Freiheit kommt, denn ihm droht eine dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie. Das Gericht muss entscheiden: Ist Helmut H. eine Gefahr für die Allgemeinheit?

Am dritten Verhandlungstag vor dem Berliner Landgericht geht es am Dienstag weniger um die Tat, sondern mehr um das Leben von Helmut H. Es ist das Leben eines Mannes, der eigentlich vieles hat: ein Vermögen, ein Haus, musikalisches Talent, Freunde, Wissen. Aber es ist auch ein Leben, das durch Schicksalsschläge, Fehden und vor allem durch eine psychische Erkrankung komplett zerstört wurde.

"Die Brüder haben ihm 20 Jahre seines Lebens geklaut"

Zunächst sagt der gesetzliche Betreuer aus, der seit 2012 für Helmut H. zuständig ist. Er berichtet, dass ihm seine 1998 verstorbene Mutter Mietshäuser vererbt habe. Seine beiden Brüder hätten ihn jedoch übers Ohr gehauen und ihm jahrzehntelang Geld unterschlagen. "Man kann sagen, dass die Brüder ihm 20 Jahre seines Lebens geklaut haben", sagt der Betreuer.

Der Betreuer berichtet auch, dass Helmut H. ein vermögender Mann sei, Millionen auf dem Konto habe. Seit er ihn kenne, habe er jedoch keinen Euro dieses Vermögens angerührt. Unzählige Male habe er ihm geschrieben, dass er über sein Geld verfügen könne, dass er es nutzen könne. Er habe aber nie darauf reagiert.

Lebensmittel fischt er aus dem Müll

Schon am ersten Prozesstag war bekannt geworden, dass Helmut H. in den vergangenen Jahren unter menschenunwürdigen Umständen in seinem Haus im Süden Neuköllns lebte. Ohne Strom, ohne Wasser. Mit so viel angesammeltem Schrott, dass man nur kriechend auf das Grundstück gelangen konnte. Lebensmittel fischte er aus Mülltonnen hinter Supermärkten.

Der Angriff auf Giffey habe ihn überrascht, sagt der Betreuer. "Gewalt passt eigentlich nicht zu ihm. Er trägt seine Kriege schriftlich aus." Damit meint er die unzähligen E-Mails, mit denen Helmut H. seit Jahrzehnten verschiedenste Institutionen bombardiert und wegen derer Giffey seinen Namen schon länger kannte. "Er ist schwerst beleidigend, gerne und häufig", sagt der Betreuer.

Davon können sich Beobachter des Prozesses auch an diesem Tag überzeugen. Helmut H. nimmt sehr aktiv am Geschehen teil. Mal sitzt er, mal steht er, der 74 Jahre alte Mann mit gewelltem, grauem Haar. Immer wieder beschwert er sich lautstark, dass er Zeugen nicht verstehe. Und er beleidigt, gerne und häufig. Den Richter nennt er abwechselnd "Freisler" oder "Stück Scheiße", seinen Betreuer eine "Lusche" oder einen "Penner", das psychiatrische Krankenhaus, in dem er seit der Tat untergebracht ist, ein "Nazi-KZ".

Freunde zeichnen anderes Bild von Helmut H.

Dass es in Helmut H.s Leben aber auch noch etwas anderes gibt als Chaos und beleidigende Mails, berichten zwei weitere Zeugen. Es sind Freunde von ihm, die ihn als netten, hilfsbereiten, geistreichen Mann beschreiben. Mit denen er ins Theater und zu Konzerten gegangen ist. Einer ist Mitglied einer Fahrradgruppe, die Helmut H. gegründet hat und für die er jahrelang wöchentliche Ausfahrten organisiert hat.

Zu jedem Tourenziel habe Helmut H. spannende Geschichten erzählen können, sagt der Mann, auch über Pilze wisse er enorm viel. An Heiligabend sei er immer bei ihm zu Gast gewesen und habe das Fest mit seinem Humor bereichert. Nur politische Diskussionen habe man lieber gemieden. "Helmut hat ja immer eine Meinung, die unabänderlich ist." Die Aussagen der Freunde sind die einzigen Momente an diesem Tag, in denen Helmut H. still zuhört, nachdenklich wirkt.

Gutachterin sieht zwei Schlüsselerlebnisse

Zum Abschluss des Prozesstages trägt eine psychiatrische Sachverständige ihr Gutachten vor, das sie über Helmut H. angefertigt hat. Sie attestiert ihm eine anhaltende wahnhafte Störung, die ihrer Einschätzung nach seit Jahrzehnten andauert. Wahnhafte Störungen seien dadurch gekennzeichnet, dass ihr Kern real sei, wie hier der Erbschaftsstreit. Über die Jahre habe Helmut H. dann aber ein chronifiziertes Wahnsystem entwickelt, das sich auf Justiz, Politik, Behörden und Ärzte beziehe.

Die Gutachterin sieht zwei Schlüsselerlebnisse in seiner Biografie. 1995 soll einer seiner Brüder ihn vor einem Notartermin mit der Mutter so gereizt haben, dass Helmut H. nicht auftauchte und deshalb in einem Schenkungsvertrag nicht bedacht wurde, in dem die Mutter Immobilien an die Brüder übertrug. 1998 starb die Mutter dann in einem Neuköllner Krankenhaus. Helmut H. ist bis heute davon überzeugt, dass die Ärzte und das Krankenhauspersonal sie nicht richtig behandelt und dadurch getötet haben.

Helmut H. neige dazu, immer wieder impulshaft Gewalt auszuüben, sagt die Gutachterin. 2009 soll er einen früheren Gutachter geschlagen haben. Bereits am ersten Prozesstag wurde ein Vorfall am Neuköllner Gesundheitsamt thematisiert, bei dem er aus Wut über Abweisung durch den Sicherheitsdienst einen Stein gegen ein Fenster geworfen haben soll. "Um anzuklopfen", sagt Helmut H. selbst darüber.

Gutachterin: Wieder mit impulshafter Gewalt zu rechnen

Helmut H. sehe sich als Opfer eines Komplotts, das seinen Lebensentwurf zerstören will, so die Gutachterin. Wenn er in Zukunft auf vermeintliche Mittäter dieses Komplotts treffen sollte, sei damit zu rechnen, dass er wieder impulshaft Gewalt anwende. Wenn das Gericht Helmut H.s bisherige Taten als "erheblich rechtswidrig" einstufen sollte, sieht sie die Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt erfüllt. Dass er selbst Taten plane und durchführe, damit sei allerdings nicht zu rechnen.

Der Richter will wissen, ob er bei Giffey auch zugeschlagen hätte, wenn sein Einkaufsbeutel etwa voller schwerer Konservendosen gewesen wäre. Das könne sie nicht beurteilen, sagt die Gutachterin. Helmut H. selbst unterbricht die Ausführungen immer wieder lautstark. "Sie erzählen nur Scheiße", ruft er. Immer wieder beruft er sich auf sein "Widerstandsrecht".

"Sehr selten und schwer behandelbar"

Helmut H.s Krankheitsbild ist nach Einschätzung der Expertin "sehr selten und schwer behandelbar", mit einer Heilung sei nicht zu rechnen. Seine wahnhaften Vorstellungen könnten durch Medikamente gedämpft werden, die lehnt er aber strikt ab, da er sich für gesund hält.

Das Gericht steht vor einer schweren Entscheidung: Ist Helmut H. wirklich so gefährlich, dass man ihn auf unbestimmte Zeit wegsperren muss, möglicherweise für immer? Das Urteil soll am kommenden Dienstag fallen.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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