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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kritische Polizisten "Wir haben ein monströses Problem mit Sexismus"

Seit Jahren kämpfen sie für einen Wandel bei der Polizei – und erhalten dafür Drohungen. Ein Gespräch mit zwei Polizisten, die sich für strukturelle Veränderungen in ihrem Apparat einsetzen.
Oliver von Dobrowolski ist wohl der bekannteste und lauteste Kritiker innerhalb der Polizei. Er arbeitet seit 27 Jahren als Kommissar in Berlin. Wegen seines kritischen Blicks auf die Polizeistrukturen wird er angefeindet und bedroht. Zuletzt wurde ihm in einem anonymen Briefumschlag eine scharfe Patrone nach Hause zugeschickt.
Er veröffentlichte die Drohung Ende April in seinem eigenen Blog. Dazu zeigte er Kommentare, die im Netz veröffentlicht wurden. "Kollegenschweine konsequent ausgrenzen", heißt es da beispielsweise. Zwar war die Patrone eine neue Dimension der Bedrohung, generell aber sind die Anfeindungen im Internet für ihn nichts Neues. Denn seit knapp 14 Jahren übt er öffentlich Kritik an der Polizei, im Jahr 2021 gründete er die Initiative "betterpolice". Der Verein setzt sich eigenen Angaben zufolge für eine offene und kritische Auseinandersetzung mit der Polizei ein.
Anfeindungen: "Ich werde dein Balg mit Lack übergießen"
Dort ist seitdem auch die Bundespolizistin Chiara Malz aktiv. Sie sieht sich ebenfalls regelmäßig mit Beleidigungen und Drohungen konfrontiert, vor allem aufgrund ihres Engagements in der Klimabewegung. "Ich werde dein Balg mit Lack übergießen", hieß es in einer der Nachrichten. Innerhalb der Behörde seien die Reaktionen auf ihre Arbeit ambivalent, sagt sie im Gespräch mit t-online.
Einige teilen ihr ganz offen mit: "Jemand wie du hat in der Polizei überhaupt nichts verloren.“ Gleichzeitig erhalte sie auch Zuspruch aus den eigenen Reihen. Gemeinsam wollen von Dobrowolski und Malz aus diesen Ambivalenzen Kraft ziehen.
Zusammen mit anderen Aktiven haben sie im Februar 2025 aus der Initiative heraus einen Verein "BetterPolice e.V." gegründet. Er setzt sich eigenen Angaben zufolge für eine offene und kritische Auseinandersetzung mit der Polizei ein und sieht sich als Netzwerk und Ideenplattform für Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei.
"Warum werden Leute nicht gleich behandelt?"
Sowohl von Dobrowolski als auch Malz hatten sich zu Beginn ihrer Arbeit sehr stark mit dem Beruf identifizieren können und wenig hinterfragt, sagen sie im Gespräch mit t-online. Erst nach drei oder vier Jahren im Dienst seien von Dobrowolski bestimmte Dinge aufgefallen. Beispielsweise ein Kollege, der ein Thor-Steinar-Shirt getragen hat – eine Marke, die in der Neonaziszene sehr beliebt ist. Oder Tätowierungen, die auf ein rechtes politisches Weltbild schließen lassen.
Immer mehr Situationen seien ihm aufgefallen, auch bei Durchsuchungen: "Warum werden Leute nicht gleich behandelt? Warum geht man mit benachteiligten Menschen anders um?", fragt er sich. Malz seien solche Situationen bei ihrer Arbeit am Münchner Flughafen aufgefallen. Dort beobachtete sie "diese Umgangsform von Kolleginnen mit Ausländern". In der Ungleichbehandlung der Menschen sehen beide ein grundsätzliches Problem.
"Die Polizei ist kein Selbstzweck"
Denn statt für die Gesellschaft da zu sein, herrscht zwischen der Gesellschaft und der Polizei aus von Dobrowolskis Sicht ein Kampf. Das hänge auch mit einem falschen Selbstverständnis der Behörde zusammen. "Die Polizei ist kein Selbstzweck", sagt er. Polizisten müssten ein "Ohr aufs Gleis der Gesellschaft legen", stattdessen würde es meist nur um die eigenen Belange gehen.
"Da geht es halt darum, dass man möglichst gut alimentiert wird", sagt er. Zwar seien auch Beschwerden über marode Dienstgebäude berechtigt, doch die Konzentration auf die Behörde verstärke das "Die-und-Wir-Gefühl" zwischen der Polizei und den Menschen.
Für Malz fängt das Grundproblem bei der Ausbildung von Polizeibeamten an. Man sei dort bereits "abgekoppelt von der Gesellschaft". Es gebe keine externen Lehrkräfte, keinen Dialog mit Vertretern benachteiligter Gruppen oder ein Kommunikationstraining, beispielsweise für den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.
"Monströses Problem mit Sexismus" bei der Polizei
Zudem sieht von Dobrowolski noch einen anderen Punkt: "Wir haben ein monströses Problem mit Sexismus in der deutschen Polizei", sagt er. Wenn Frauen sich in der Behörde beschweren, fallen oft Sätze wie: "Du hast es doch so gut. Frauenquote, Frauenförderung und du opferst hier nur rum". Dabei sei die Polizei eine "männlich geprägte Organisation", sagt von Dobrowolski weiter.
Für Chiara Malz ergebe es keinen Sinn, "Frauen in ein männliches System hineinzuquetschen", sagt sie. In der bestehenden Struktur der Behörde seien "weibliche Grundwerte wie Sensibilität, Empathie, Miteinander und Solidarität" nicht mitgedacht. Das zeige sich auch bei der Besetzung von Führungspositionen an Frauen.
Für die einen ein "Kameradenschwein", für andere der "Bulle"
Durch die Arbeit als Aktivist und Polizist sitzt von Dobrowolski zwischen den Stühlen. Für einige seiner Kollegen sei er "ein Kameradenschwein, eine Ratte". Mit der Arbeit als Aktivist "verderbe ich es mir mit vielen Kollegen", sagt er, denn sie "wollen das N-Wort, das Z-Wort, das K-Wort sagen und sich nicht einschränken lassen".
Gleichzeitig erhält er von der eher linkspolitischen Szene ebenfalls keine wirkliche Zustimmung. Dort sei "man im Prinzip nach wie vor der Bulle", sagt er weiter. Von Dobrowolski ordnet sich selbst politisch links ein: "Ich spüre große Ehre, wenn ich mich selbst als Antifaschisten bezeichne", sagt der 49-Jährige.
Doch wer als Polizist Kritik an den bestehenden Strukturen übt, gewinne schnell den Eindruck, es niemandem recht machen zu können. Das sei ernüchternd, "weil ich möchte ja diese Institution verbessern, ich möchte Progression hereinbringen, ich möchte sie noch rechtsstaatlicher und demokratischer machen."
"Kritikfähigkeit und Selbstreflexion" als etwas sehen, was gut ist
Sowohl Malz als auch von Dobrowolski hatten bereits daran gedacht, mit dem Engagement aufzuhören. Von Dobrowolski sei irgendwann am "point of no return" angelangt, an dem er sich nicht mehr aus der Öffentlichkeit zurückziehen konnte.
Für Polizistin Malz ist die Frage nach dem Aufhören sehr präsent. Sie befindet sich gerade in Elternzeit und könne sich "derzeit überhaupt nicht vorstellen, unter den aktuellen Voraussetzungen in den Dienst zurückzugehen". Dennoch werde sie nie zu dem Punkt kommen, sich komplett von der Polizei zu distanzieren. Sie wolle mit dem Verein "ein neues Heim" schaffen, in dem Kritik Platz findet.
Einen möglichen Bündnispartner für ihre Arbeit sehen sie in der Polizeiforschung. Gerade in Berlin seien die Forschungseinrichtungen nicht bei der Innenverwaltung, sondern bei Forschung und Wissenschaft angesiedelt. Das schafft laut von Dobrowolski eine Unabhängigkeit. "Da sind unfassbar gute Ideen vertreten", sagt er weiter.
Malz hoffe, durch die Zusammenarbeit eine "Öffentlichkeit schaffen zu können". Im Grunde sei das langfristige Ziel, innerhalb der Polizei das Verständnis zu schaffen, dass "Kritikfähigkeit und Selbstreflexion als etwas verstanden wird, was gut ist".
- Gespräch mit Oliver von Dobrowolski und Chiara Malz am 23. Mai 2025
- vionville.blogspot.com: Bedrohungen