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Berlin: AfD, Nazis und "Querdenker" – Wie gefährlich ist die Vernetzung?


"Organisches Zusammenwachsen"
AfD, Nazis und "Querdenker": Wie gefährlich ist die Vernetzung?

InterviewVon Niklas Bröckl

01.07.2025 - 19:26 UhrLesedauer: 5 Min.
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Mitglieder der rechten Jugendgruppe Deutsche Jugend Voran (DJV) bei einer "Querdenker"-Demo im Mai: Zwischen den Szenen herrscht ein "funktionelles Verhältnis". (Quelle: IMAGO/EVENTPRESS Jeremy Knowles/imago)
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Rechte und "Querdenker" marschieren zunehmend gemeinsam auch durch Berlin. Der Grad der Vernetzung ist stärker als je zuvor.

Ende Mai versammelten sich in Berlin-Tiergarten einige Hundert Demonstranten aus der "Querdenker"-Szene. Unter dem Motto "Frieden, Freiheit, Volksabstimmung" marschierten sie vom Brandenburger Tor über die Straße des 17. Juni. Als Redner geladen waren auch AfD-Abgeordnete und der Chef des rechtsextremen Magazins "Compact". Und ganz vorn im Demonstrationszug: junge Neonazis von verschiedenen rechten Jugendgruppen aus Berlin.

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Dass sich Rechte den Demos der "Querdenker" anschließen, ist kein neues Phänomen. Dennoch hat sich der Grad der Vernetzung beider Gruppierungen verändert. Stephan Kuhlmann, bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) tätig, spricht im Interview mit t-online über Gemeinsamkeiten der Lager, die Gefahren durch die Vernetzung und welche Akteure in Berlin mitmischen.

t-online: Herr Kuhlmann, wie hat sich denn die Schnittmenge zwischen der Querdenker-Szene und den rechtsextremen Gruppierungen in den vergangenen Jahren in Berlin entwickelt?

Stephan Kuhlmann: Da muss man ganz zurück an den Anfang der Corona-Pandemie gehen. Mit deren Beginn formierte sich 2020 eine große und heterogene Protestbewegung gegen die Schutzmaßnahmen, in der auch rechtsextreme Protagonistinnen und Protagonisten aktiv waren. Das betrifft zum einen die sogenannte "Reichsbürgerszene", Parteien wie die AfD, aber auch die NPD-Nachfolgepartei "Die Heimat" und "Der Dritte Weg". Diese Gruppierungen waren zu Beginn der Proteste nicht tonangebend, aber wurden geduldet.

Spätestens 2022 konnten wir beobachten, dass sich aus dieser Protestbewegung heraus auch in Berlin ein kleinerer, aber aktiver Kern organisatorisch gefestigt hatte. Von dieser Entwicklung hat insbesondere die AfD profitiert. Sie konnte innerhalb der bis heute aktiven verschwörungsideologischen Szene neue Netzwerke aufbauen und ihren Einfluss ausbauen. Damit wurde eine immer stärker werdende Normalisierung rechtsextremer Positionen festgestellt, die mit einer gegenseitigen Annäherung bis hin zu Wahlaufrufen für die AfD korrespondiert.

Das Logo der Beratungsstelle
Das Logo der Beratungsstelle (Quelle: MBR Berlin)

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)

Die Beratungsstelle berät seit 24 Jahren Einzelpersonen, Einrichtungen und politische Akteure bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das Team besteht aus 15 Beratern und Beraterinnen mit unterschiedlichen Abschlüssen, darunter Politikwissenschaft, Pädagogik und Soziales.

Also haben sich Rechte und Verschwörungstheoretiker gesucht und gefunden?

Es besteht eher ein funktionelles Verhältnis, in dem sich inhaltlich aufeinander bezogen werden kann. Andererseits suchen aktuell gerade junge aktionsorientierte Rechtsextreme Möglichkeiten, auf der Straße aktiv zu sein, und nutzen hierbei auch die Angebote der verschwörungsideologischen Szene. Da die Präsenz rechtsextremer Positionen und Akteure auf solchen Veranstaltungen keine Kritik hervorruft, liegt es nahe, sich dort dann auch gemeinsam zu versammeln.

Aufgrund zunehmend organisatorischer Zusammenarbeit und ideologischer Überschneidungen lässt sich mittlerweile aber durchaus von einem gemeinsamen rechtsextremen Milieu sprechen.

Welche ideologischen Gemeinsamkeiten verbinden denn die "Querdenker"-Szene und rechtsextreme Gruppen?

Also eine Gemeinsamkeit ist auf jeden Fall die Erzählung eines Staates, der als übergriffig und diktatorisch wahrgenommen wird, gegen den eigentlich jede Form des Widerstands legitim ist. Geteilt wird auch die Annahme, dass es einflussreiche Gruppen gebe, die im Geheimen agieren und für alle als negativ erlebten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen verantwortlich gemacht werden. Einigkeit besteht außerdem in der autoritären Sichtweise, demokratische Entscheidungsprozesse und die parlamentarische Demokratie als Ganzes zu negieren. Beide Gruppen arbeiten gezielt daran, Ressentiments gegen Personengruppen, Ängste vor gesellschaftlicher Veränderung und Gefühle von Misstrauen zu übersteigern.


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Insbesondere die AfD hat von der Vernetzung profitiert.


Stephan kuhlmann, mbr Berlin


Hierfür wird oftmals an gesellschaftlich vorhandene Unzufriedenheiten angeknüpft. Das reicht von Einschränkungen durch die Pandemie bis hin zu gestiegenen Dieselpreisen. Soziale oder politische Ursachen für real vorhandene Probleme müssen dabei ebenso wenig benannt werden wie eigene Lösungsvorschläge. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der Vorstellung eines homogenen Volkswillens, den es umzusetzen gilt.

Das müssen Sie näher erläutern.

Rechtsextreme und verschwörungsideologische Protagonistinnen und Protagonisten inszenieren sich oft als Stimme der Mehrheit der Bevölkerung und einzig wahre Opposition. Hinter dieser Konstruktion eines allgemeinen Vertretungsanspruchs steht die Idee einer unmittelbaren Herrschaft des Volkswillens, die es gegen die als Feinde markierten Gegner und die von diesen verursachten Bedrohungen zu verteidigen gilt.

Wichtig in dieser Inszenierung ist gleichsam eine vermeintliche Opferrolle, durch die man vom politischen und medialen Diskurs isoliert werde. Diese Rolle als geächteter Außenseiter dient dabei vor allem als Mittel der Abwehr, denn damit kann jegliche Kritik als Diffamierung bezeichnet werden.

Kann man die "Querdenker"-Szene als "Einstiegsdroge" für rechtsextreme Ideologien bezeichnen?

Es gibt viele Personen in der verschwörungsideologischen Szene, die durch die Pandemie erstmals politisch aktiv wurden. Die dort kursierenden Inhalte überschneiden sich sehr mit denen aus rechtsextremer Ideologie und Inhalten der "Reichsbürger"-Szene. Andererseits hat die Pandemie individuelle Radikalisierungsprozesse losgetreten und teils sehr stark beschleunigt. Pauschal lässt sich das aber nicht sagen: Einige haben sich zurückgezogen, andere haben sich in Gruppierungen neu organisiert.

Ganz praktisch: Wie versuchen Rechtsextreme, die Proteste der "Querdenker"-Szene zu instrumentalisieren?

Ich würde es eher als ein organisches Zusammenwachsen bezeichnen. Das hat zum einen den Grund, dass Rechtsextreme bei Corona-Protesten Mitstreiter gesucht und gefunden haben sowie ihre Inhalte verbreiten konnten. Die Vernetzung ist also eher das Ergebnis einer inhaltlichen und organisatorischen Annäherung zwischen den Szenen. Das sieht man unter anderem daran, dass zunehmend mehr AfD-Politikerinnen und -Politiker bei solchen Versammlungen als Rednerin bzw. Redner auftreten.

Sie sind aber auch wiederholt Gesprächspartner in Social-Media-Beiträgen von Verschwörungsgläubigen. Umgekehrt nahmen auch verschwörungsideologische Aktivistinnen und Aktivisten an Veranstaltungen der Partei teil oder berichteten wohlwollend über die parlamentarische Arbeit der Partei.

Welche Akteure sind die Schnittstellen der beiden Szenen?

Insbesondere rechtsextreme und verschwörungsideologische Medienplattformen spielen eine wichtige Rolle bei der Vernetzung. Diese Funktion übernimmt beispielsweise das "Compact"-Magazin. Für Berlin bedeutsam ist die Zeitung "Demokratischer Widerstand". Dahinter stehen Personen, die schon 2020 mit sogenannten "Hygienedemos" (Querdenker-Demos in Anlehnung an die Maßnahmen der Pandemie) aufgefallen sind.


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Rechtsextreme und verschwörungsideologische Medienplattformen sind die Schnittstellen der Szenen.


Stephan Kuhlmann, MBR Berlin


Aus diesem Kreis wurde im März dieses Jahres eine "alternative Medienmesse" in der Musikbrauerei im Prenzlauer Berg veranstaltet. Die Musikbrauerei ist ein Ort, der schon seit Jahren für Vorträge aus der verschwörungsideologischen Szene genutzt wird. Doch waren diesmal auch andere Medien vertreten, wie "Aufgewacht – Die Deutsche Stimme", eine Zeitung der NPD-Nachfolgepartei "Die Heimat" sowie der lokal aktiven Partei "Freie Sachsen".

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Welche Herausforderungen entstehen durch die Vernetzung beider Szenen?

Die größte Gefahr ist aus meiner Sicht die weitere Normalisierung rechtsextremer und autoritärer Positionen. Außerdem sind beide Szenen in der Lage, Menschen zu radikalisieren. Derzeit stehen Gruppen von Verschwörungsideologen vor Gericht, die offenbar gewaltsam die parlamentarische Demokratie beseitigen wollten.

Unter den Angeklagten sind dabei nicht nur "Reichsbürger" und AfD-Mitglieder, sondern ebenfalls ein Starkoch und Polizeibeamte. Das ist auch eindrücklich, weil es wieder einmal zeigt, wie weit antidemokratisches Potenzial in der Breite der Gesellschaft vertreten ist.

Gibt es auch Menschen aus der "Querdenker"-Szene, die sich davon distanzieren?

Wie ich eingangs bereits erwähnte, konnten, selbst als die Proteste noch heterogener waren, Rechtsextreme stets mitmarschieren, auch wenn sich Teile der Szene von etwa der AfD distanzierten. Dabei ging es den Organisierenden aber offenbar viel mehr um die Frage, welche Bilder erzeugt werden, damit die Proteste der "Querdenker"-Szene nicht als rechtsextrem wahrgenommen werden. Hier war eine Distanzierung allenfalls strategischer denn inhaltlicher Natur.

Doch als die Szene kleiner wurde, hat sich das verändert. In letzter Zeit haben wir vermehrt wahrgenommen, dass Aktivisten aus der verschwörungsideologischen und der rechtsextremen Szene viel offener aufeinander zugehen.

Wie können Entscheidungsträger gegen die Entwicklung vorgehen?

Man darf die Akteure, die sich dort versammeln, nicht verharmlosen. Man muss die Entwicklungen und die ideologischen Schnittmengen ernst nehmen und beobachten. Im politischen Diskurs wird zum Teil noch viel zu oft von "besorgten Bürgern" und deren vermeintlich berechtigten Sorgen und Nöten gesprochen. Dabei wird unterschätzt, wie viel antidemokratisches Potenzial in der Bewegung und somit auch in der Mitte der Gesellschaft steckt.

Hinweis: Der Interviewpartner hat im Gespräch eine genderneutrale Sprache verwendet. t-online hat dies aufgrundisoliert werde redaktioneller Richtlinien verändert.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Stephan Kuhlmann am 25. Juni 2025
  • Eigene Berichterstattung
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