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Berlin: "Seyran Ateş: Sex, Revolution and Islam" – Doku-Premiere in Norwegen


Film über Berliner Imamin
Seyran Ateş: "Frauen unterstützen und verteidigen das Patriarchat"

Von Kriss Rudolph

Aktualisiert am 22.04.2021Lesedauer: 4 Min.
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Seyran Ateş: Die norwegische Filmemacherin Nefise Özkal Lorentzen hat eine Dokumentation über die deutsch-türkische Anwältin gedreht. (Quelle: Seyran Ates/Nefise Özkal Lorentzen)

Seyran Ateş wird mit dem Tod bedroht, von extremen Islamisten und von deutschen Rechtsextremisten. Die Filmemacherin Nefise Özkal Lorentzen hat die Imamin begleitet.

Die türkisch-deutsche Anwältin und Autorin Seyran Ateş ist eine der ersten weiblichen Imaminnen in Europa. Die 58-Jährige, die unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet wurde, kämpft für Frauenrechte und für einen modernen, liberalen Islam. Ihre Forderung: eine sexuelle Revolution im Islam.

Die norwegische Filmemacherin Nefise Özkal Lorentzen hat einen Film über Ateş gedreht. An diesem Donnerstag findet die Internationale Premiere von "Seyran Ateş: Sex, Revolution and Islam" auf dem großen dänischen Filmfestival CPH:DOX statt, wegen der Corona-Pandemie nur virtuell.

Tödliche Rechtsgutachten gegen Ateş verhängt

Gegen Ateş wurden zwei Fatwas verhängt. Von diesen tödlichen Rechtsgutachten abgesehen, erhält sie immer wieder Morddrohungen, dazu kommen zahllose ziemlich widerliche Beleidigungen in den sozialen Medien. Seit 2006 lebt sie unter ständigem Polizeischutz. 2017 gründete sie in Moabit die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee. Eine mutige Frau, wie ihr immer wieder bescheinigt wird. Auch eine Frau ohne Angst?

"Es ist keine Angst, die mich lähmt, aber ich bin mir der Gefahr bewusst", sagt Ateş t-online. Darum habe sie auch bei dieser Doku mitgemacht. "Ich wusste, dass der Film nicht dazu beiträgt, dass man mich mehr liebt. Aber zu schweigen wäre schlimmer, als mit der Angst zu leben, dass man mir Morddrohungen schickt. Ich kann so eher in den Spiegel schauen."

Ateş kam einst als Kind mit ihrer Familie aus der Türkei nach Berlin. Dass für Mädchen andere Regeln galten als für Jungs, hat ihr schon früh gestunken. Kurz bevor sie 18 wurde, lief sie von zu Hause weg und begann, ihren Kampf zu kämpfen.

Im 1984 Jahr hätte sie ihr Engagement fast mit dem Leben bezahlt. Damals arbeitete sie in einem Kreuzberger Frauenzentrum und ihr wurde von einem türkischen Nationalisten in den Nacken geschossen. Ihre Mandantin wurde ebenfalls getroffen und starb. Ateş wurde fünf Stunden lang operiert. Es sah nicht gut aus, doch sie überlebte.

Als sie in der Doku mit ihrer Mutter über das Attentat spricht, bricht diese in Tränen aus. "Meine Mutter ist ganz stolz auf mich und auf meine Arbeit", sagt Sevran Ateş im Gespräch mit t-online. "Aber manchmal, wenn ich zu einem Vortrag gehe, sagt sie: 'Ich wünsche dir viel Erfolg, aber: Sprich nicht über den Islam und nicht über Frauenrechte'", erzählt die Frauenrechtlerin lachend.

Eine Mutter kann nicht aus ihrer Haut, einerseits. Aber andererseits, sagt Ateş: "Sie weiß, dass meine Arbeit notwendig ist und ich schon vielen Frauen geholfen habe."

Den Kampfgeist habe sie ihrer Mutter zu verdanken, glaubt die Frauenrechtlerin. Die habe ja selbst früher als Frau in der Türkei Ungerechtigkeit erlebt. "Sie durfte nicht mehr in die Schule gehen, nachdem ihr Brüste gewachsen waren." Dass sie keinen Abschluss machen konnte, hat eine gewisse Rebellion in ihr ausgelöst, die sie aber nicht ausleben konnte. "Aber ich lebe das jetzt aus", sagt Ateş.

Frauen unterstützen Patriarchat

Überhaupt, Mütter: Wie löst sie den Widerspruch, dass zwar Männer im Islam das Sagen haben, es aber doch fast immer die Frauen sind, die die Kinder erziehen? So setzt sich das Patriarchat ja immer fort.

"Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass das Patriarchat 2021 immer noch existiert, weil Frauen es mit unterstützen und auch verteidigen." Es gebe viele Frauen, die mit der ihr zugewiesenen Geschlechterrolle einverstanden sind, das dürfe man nicht unterschätzen. Ob Ehrenmorde, Genitalverstümmelung oder Zwangsverheiratung – das üben nicht nur Männer an Frauen aus, sagt die Anwältin. "Ich habe viele Frauen vertreten, die sich gegen ihre Mütter zur Wehr setzen mussten, als sie sich scheiden lassen wollten, weil sie Gewalt von ihrem Mann erlebt haben."

Unter der sexuellen Revolution, die sie fordert, versteht sie übrigens nicht, dass nun jeder mit jedem schlafen solle. "Ich fordere einen Umbruch in der Gesellschaft, einen toleranteren Umgang miteinander, besonders in puncto Sexualität: Es darf keine Eingriffsermächtigungen geben seitens einer religiösen Gemeinschaft."

Kampf für liberalen Islam im Netz

Dass auch andere Veränderung wollen, das erlebt sie auch in ihrer Moschee, für die sie viel Zuspruch auch von Moslems erhält. Wenngleich sich viele nicht trauen zu kommen, aus Rücksicht auf ihre Familien. "Du weißt ja, es wird viel geredet", so die Erklärung.

Es gebe immer mehr Mitstreiter in Europa, sagt Ateş. Junge Leute, die sich in den sozialen Medien für einen liberaleren Islam stark machen. Sie glaubt fest, dass Veränderung möglich ist. Darum wirken auch viele junge Menschen wie ihr Neffe Tugay in der Moschee mit. "Ich will Hilfe zur Selbsthilfe leisten, denn ich bin nur nur Platzhalterin für andere, die nach mir kommen. Das größte Lob für mich wird sein, wenn ich irgendwann überflüssig bin."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Seyran Ateş
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