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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erinnerung gestohlen – und ersetzt 28 neue Stolpersteine in Dresden verlegt

Unter den neu verlegten Stolpersteinen im Stadtgebiet ist auch einer, der zuvor gestohlen wurde. Künstler Gunther Demnig setzt damit ein klares Zeichen gegen das Vergessen.
Künstler Gunther Demnig hat gemeinsam mit dem Dresdner Bauamt 28 neue Stolpersteine verlegt. Darunter auch einen an der Freiberger Straße, der im Dezember aus dem Pflaster gebrochen und gestohlen wurde. Für Demnig, der die Gedenksteine seit 30 Jahren verlegt, ist der Umgang damit klar: "Wenn ich von so etwas mitbekomme, mache ich sofort neue Stolpersteine."
Weltweit seien bislang etwa 900 Stolpersteine gestohlen worden, so Demnig. "Doch bei über 117.000 verlegten Steinen bewegt sich das im Promillebereich". Der gebürtige Berliner habe in seiner Laufbahn sogar drei Morddrohungen erhalten. Doch gerade der Austausch mit jungen Menschen motiviert ihn, weiterzumachen.
"Mit den verlegten Stolpersteinen werden aus Zahlen auf einmal Familienschicksale – die direkt um die Ecke oder sogar in der gleichen Straße gelebt haben", sagt er. "Manche Kinder fangen dann an zu rechnen und merken, dass die Opfer teilweise genauso alt waren, wie sie jetzt sind." Das sei ein ganz anderer Geschichtsunterricht.
Antwort auf Rechtsruck: So viele Stolpersteine wie nie
Demnig spürt: Das Gedenken hat neue Dringlichkeit bekommen. "Nach den Wahlen in Thüringen war die Nachfrage nach Stolpersteinen so hoch wie noch nie." Die Nachfrage wuchs so stark, dass er kürzlich eine fünfte Werkstatt eröffnen musste. Der Künstler sieht darin ein Gegengewicht zum Aufstieg der AfD.
Bereits 2019 erhielt Demnig so viele Anfragen, dass er 270 Tage in Deutschland unterwegs war. Dann zog er einen Schlussstrich. Den Großteil der Stolpersteine verlegen inzwischen andere – so auch die meisten der 28 neuen Steine in Dresden.
Gedenken an Familie Löwenstein
Die Stolpersteine vor dem Dresdner Stadtforum setzte Demnig am Mittwoch jedoch selbst ein. Dort, wo heute das Stadtforum steht, verlief damals die Bankstraße – die letzte selbstgewählte Wohnstätte der Geschwister Gerda und Richard Werner Löwenstein. Nach ihrem Umzug 1921 wohnten sie mit ihrer Mutter Julia in der Bankstraße 13, wo Mutter Julia Löwenstein sich als Stickerin eine Existenz aufbaute und später den Handelsvertreter Berthold Altmann heiratete.
Das Selbstverständnis seiner Familie beschrieb Richard Werner Löwenstein rückblickend als "deutsch-jüdisch". Man war sich bewusst, dass man jüdisch war, fühlte sich aber in erster Linie als deutsch.
Richard Werner besuchte die Kreuzschule und begann eine Ausbildung im Einzelhandelskonzern Alsberg an der Wilsdruffer Straße. Seine Schwester Gerda, die seit ihrem achten Lebensjahr in Dresden lebte, war zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme 20 Jahre alt. In dieser Zeit wachsender Verfolgung nahm sie sich 1933 das Leben – Richard Werner fand sie, als er nach einem Kinobesuch nach Hause kam.
Richard selbst wurde aus seiner Arbeitsstelle entlassen und wanderte 1936 nach Südafrika aus. In seiner neuen Heimat versuchte er vergeblich, seine Mutter und seinen Stiefvater nachzuholen – Julia und Berthold Altmann wurden 1943 in Auschwitz ermordet.
- Reporter vor Ort
- dresden.de: Wer waren Gerda und Richard Werner Löwenstein?