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Die Linke: Vorwürfe sexueller Übergriffe in Hessen – "Wird die Partei beerdigen"


Sexuelle Übergriffe lösen Beben aus: "Wird die Partei beerdigen"

Von Stefan Simon

Aktualisiert am 21.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Die Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler (Archivbild): Sie steht weiter unter Druck.Vergrößern des Bildes
Die Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler (Archivbild): Sie steht weiter unter Druck. (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Sexuelle Belästigung, Übergriffe, Machokultur: Über Jahre soll es bei der hessischen Linken zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Was macht das mit einer Partei, die sich als feministisch versteht?

Jakob Hammes sieht seine Partei in einer existenziellen Krise: "Sie macht sich vor allem bei jungen Leuten unglaubwürdig. Ich rede von Leuten, die sich in linken Organisationen engagieren, von Attac bis Ende Gelände." Der Offenbacher Hammes ist Bundessprecher der Linksjugend solid. Er sagt über die jungen Linken-Mitglieder: "Die stellen sich nun die Frage, wofür diese Partei eigentlich steht. Dem eigenen Anspruch, mit dem die Linke angetreten ist, rennt sie jetzt definitiv hinterher."

"Der Spiegel" hatte am Freitag unter Verweis auf Chatprotokolle, E-Mails, Fotos und eidesstattliche Versicherungen über verschiedene mutmaßliche Übergriffe und Grenzüberschreitungen innerhalb der hessischen Linken berichtet. Die Dokumente zeichneten das "Bild einer Partei, die Betroffene zu selten unterstützt und möglichen Tätern kaum Einhalt geboten hat", heißt es in dem Bericht.

Bei einem der Beschuldigten handelt es sich um den Ex-Partner der Bundesvorsitzenden Janine Wissler. Die Partei hatte ihn am Dienstag von seiner Position als Referent im hessischen Landtag freigestellt. Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen war zur Zeit der mutmaßlichen Vorwürfe Wissler. Sie wandte sich entschieden dagegen, dass "mir unterstellt wird, ich hätte irgendjemanden geschützt". Bei Twitter werden die Vorwürfe unter dem Hashtag "#linkemetoo" diskutiert.

Jakob Hammes: "Wissler hat Fehler gemacht, aber es geht um die Täter"

"Ich finde es falsch, den Fokus jetzt auf Janine Wissler zu richten. Denn es geht um die Täter und davon gibt es in höheren Positionen noch einige, über die wir reden müssen", sagt Hammes im Gespräch mit t-online. Natürlich habe Wissler Fehler gemacht, indem sie sich in Statements verrannte, als ginge es hier um einen FDP-Skandal. "Das enttäuscht mich schon. Andererseits ist es für sie auch emotional eine schwierige Situation. Der Beschuldigte ist ihr Ex-Partner. Wer weiß, ob er ihr auch Dinge angetan hat", so Hammes.

Nachdem der Landesvorstand Kenntnis über die Vorwürfe sexueller Übergriffe erlangt habe, hätte die Partei "umgehend mit der Aufarbeitung begonnen", sagt Pressesprecher Michael Müller. So wurden den Betroffenen Gesprächsangebote gemacht und das Vorgehen mit einer professionellen Beratungsstelle abgestimmt.

"Es ist uns bewusst geworden, dass das Nichtvorhandensein von Awareness-Strukturen ein Missstand war, der sofort behoben wird", versichert Müller. Die Linke müsse eine Kultur entwickeln, in der solches Verhalten keinen Platz fände. "Es zeigt aber auch insgesamt die gesellschaftlichen Probleme von patriarchalen Strukturen und von Sexismus", so Müller.

Die Linke: Parteivorstand bestimmt mehrere Vertrauenspersonen

Die Partei wird laut Müller bei der nächsten Sitzung des Parteivorstands mehrere Vertrauenspersonen bestimmen. Diese Personen begleiten weder ein Amt noch eine Funktion. "Genauer hinschauen, genauer hinhören, sensibler werden. Das ist wichtig. Da werden wir jetzt ja auch tätig und da wird auch einiges passieren", sagt Müller.

Auch der Frankfurter Kreisverband hat am Mittwoch mitgeteilt, mit einem Awareness-Konzept auf die Vorwürfe zu reagieren. "Wir sehen uns als Kreisvorstand besonders in der Verantwortung dafür, alles dafür zu tun, um sexualisierte Gewalt und Übergriffe zu verhindern und Sexismus in unserer Partei an der Wurzel zu bekämpfen." So soll ein Team aufgestellt werden, das als Ansprechpartner für Betroffene aller Arten von Gewalt und Diskriminierung zur Verfügung steht.

Dass die Partei direkt nach Bekanntwerden der sexuellen Übergriffe gehandelt habe, dem widerspricht Hammes. Seit Januar habe die Parteijugend versucht, aufzuklären. "Wir haben mit Gremien geredet, doch Leute, denen wir vertrauten, das Verhalten aufzuarbeiten, erhielten keine Informationen. Andere, die gegen uns argumentierten und den Skandal vertuschen wollten, erhielten dagegen fast alles", sagt Hammes.

Er spielt auf einen internen Brief an. Freunde des Beschuldigten sollen mit vielen Fake-Accounts auf Social Media Betroffene beleidigt haben. "Sie haben ihnen nachts geschrieben und versucht, Informationen aus ihnen herauszukriegen, um die interne Aufklärung weiter zu sabotieren." Die Vorwürfe der Linksjugend solid wurden nur sehr verspätet an die Adressaten weitergeleitet und dies ohne die beigelegten Beweise, obwohl sie sehr viele davon mitgeliefert hätten. "Man hoffte, dass wir klein beigeben", sagt Hammes. Eine Freundin von Wisslers Ex-Partner hätte daraufhin den Ausschluss der Bundessprecher Sarah Dubiel und Hammes gefordert.

Der Bundessprecher der Parteijugend ist sich sicher: "Wenn die Partei es nicht schafft, die Vorwürfe konsequent aufzuklären und alles dafür tut, die Strukturen zu ändern, dann wird der Skandal die Partei beerdigen."

"Nein", sagt hingegen Müller. "Wir gehen jetzt konsequent den Schritt zur Aufarbeitung und zu Veränderungen. Damit glaube ich schon, dass es dazu führt, dass man deutlich macht, als feministische und emanzipatorische Partei aus diesen Vorfällen zu lernen."

Linken-Abgeordnete im Landtag: "Feminismus und Klassenkampf gehen nur Hand in Hand"

Auch die Landtagsabgeordnete Saadet Sönmez aus Offenbach ist sich sicher, dass die Partei den Skandal überlebt: "Wir sind nach wie vor die einzige Partei, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt und sich gegen Rassismus stellt. Eine linke Partei wird als starke Opposition gebraucht, um Missstände aufzudecken." Feminismus und Klassenkampf gingen nur Hand in Hand. Man könne beides nicht voneinander trennen. "Wir führen den Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen weiter. Dafür stehen wir immer noch ein."

Wissler will weitermachen

Hammes sieht den Aufklärungswillen der Partei hingegen eher skeptisch. "Wenn die Partei wirklich den Willen zeigt, dann könnte es ihr letztendlich sogar guttun. Ich glaube nur leider, dass der Wille nach Aufklärung von oben nicht gewollt wird. Denn diese Männerbünde blockieren alles."

Nach dem überraschenden Rücktritt von Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow will die Linken-Vorsitzende Janine Wissler die Partei bis auf Weiteres alleine weiterführen. Das teilte ein Parteisprecher nach den Krisenberatungen des Bundesvorstands am späten Mittwochabend der Deutschen Presse-Agentur mit. Wissler sei einer entsprechenden Bitte des Bundesvorstands am Abend nachgekommen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jakob Hammes, Bundessprecher von Linksjugend solid
  • Gespräch mit Michael Müller, Pressesprecher der hessischen Linken
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