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Anarchisten-Demo auf Sylt: "Endlich loswerden, was mich an Reichen ankotzt"


Neonazi-Demo blieb aus
Anarchisten auf Sylt: "Loswerden, was mich an Reichen ankotzt"

Von Jannis Große, Sylt

Aktualisiert am 31.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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Anarchie auf Sylt: Die Demonstrierenden haben eine Botschaft für die Einheimischen und Urlauber der Insel.Vergrößern des Bildes
Anarchie auf Sylt: Die Demonstrierenden haben eine Botschaft für die Einheimischen und Urlauber der Insel. (Quelle: Jannis Große)

Die geplante Demo einer rechtsextremen Partei auf Sylt blieb aus. Anarchistische Gegner gingen dennoch auf die Straße – mit einer klaren Botschaft an die Sylter.

Samstag auf Sylt. Am Bahnhof in Westerland stehen Polizistinnen und Polizisten der Einsatzhundertschaft, ausgestattet mit Helmen und Schlagstöcken. Der Grund: Auf dem Bahnhofsvorplatz versammeln sich am Mittag 130 schwarz gekleidete Demonstrantinnen und Demonstranten. Sie haben eine Kundgebung unter dem Motto "Nazis offensiv entgegentreten – Sylt gehört dem Pöbel" angemeldet.

Aufgerufen hatte unter anderem das anarchistische Bündnis "Schwarz-Roter 1. Mai" aus Hamburg. Ihre Mitglieder wollen sich hier den Neonazis in den Weg stellen. Für Samstag hatte die rechtsextreme Kleinstpartei "Die Rechte" eine Demonstration in Westerland angemeldet. Auch die Neonazis wollten offenbar von der Aufmerksamkeit rund um das 9-Euro-Ticket und die "Insel der Reichen" profitieren, um ihre Propaganda zu verbreiten.

Rechter Bundesvorsitzender dafür bekannt, Demos an- und wieder abzusagen

Am Mittwoch sagte der in Hamburg geborene Bundesvorsitzende Christian Worch die Demo aber wieder ab – wegen geringer Bereitschaft "zur persönlichen Teilnahme". Es ist nicht das erste Mal, dass rechtsextreme Akteure Demonstrationen ankündigen, die dann doch nicht stattfinden. Die Organisatoren des linksradikalen Gegenprotests erklären, dass Worch bekannt dafür sei, mit An- und Abmeldungen von Versammlungen Verwirrung zu stiften.

Zum Gegenprotest hatten zunächst zwei Bündnisse aufgerufen. Ein Parteienbündnis aus Sylt wollte "den Neonazis und Rechtsextremisten nicht das Feld überlassen". Die SPD schrieb im Vorfeld auf Facebook: "In diesem Falle bietet das Neun-Euro-Ticket die Chance, ein starkes Zeichen für unsere Demokratie zu setzen". Nach der Absage der Rechtsextremen sagte auch dieses Bündnis seine Demonstration am Mittwoch ab. Das anarchistische Bündnis zum "Schwarz-Roten 1. Mai" aus Hamburg blieb aber bei seinem Aufruf. "Obwohl die Nazis kneifen, wir werden da sein", hieß es in einem Statement, das auf der linksextremen Internetplattform Indymedia veröffentlicht wurde.

Am Donnerstag kündigte dann die rechte Gruppierung "Pegida NRW" eine Demonstration auf Sylt an, für "Deutsche Kultur – auch im hohen Norden". Die Versammlung wurde allerdings am Freitag von der Versammlungsbehörde des Landkreis Nordfriesland wegen "unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit" verboten. Die Polizei sei nicht in der Lage, in der Kürze der Zeit die notwendige Sicherheit bei der An- und Abreise zu gewährleisten und beide Versammlungen ausreichend zu schützen, heißt es in einer Pressemitteilung des Kreises. Für den antifaschistischen Gegenprotest ist das Verbot ein Erfolg.

"Geht arbeiten", ruft ein Rentner den Demonstrierenden zu

Mit ihrer Kundgebung vor dem Bahnhof wollen sie trotzdem zeigen, dass sie Faschismus keinen Raum geben. Die Demonstrantinnen und Demonstranten rufen: "Ob Ost, ob West: Nieder mit der Nazipest" und "Nationalismus raus aus den Köpfen". Die Demonstrierenden sind zum Großteil aus Hamburg, Lübeck, Kiel und Flensburg angereist – sie sind schwarz gekleidet und zum Teil vermummt. Aber auch einige Punks sind auf der Kundgebung. Sie sind aus dem Protestcamp am Rathaus rübergekommen, wo sie aktuell campieren. Die Beamtinnen und Beamten der Bereitschaftspolizei beobachten die Demo aus einiger Entfernung – im Schatten der umliegenden Häuser.

Bei vielen Passantinnen und Passanten löst die Demo Neugierde oder Kopfschütteln aus, sie filmen die Demo mit ihren Smartphones. "Geht arbeiten", ruft ein Rentner, der auf seinem Rollator vor dem Bahnhofsgebäude sitzt. Die Sängerin FaulenzA spielt Livemusik und die Demo jubelt, als ein Redner die Uhrzeit 13.12 Uhr durchsagt. 1312 gilt als Code für den Satz: "All Cops are Bastards". "Da die Nazis nicht kommen, kann ich ja jetzt einmal loswerden, was mich an den Reichen ankotzt", sagt ein Anarchist aus Lübeck: "Der Prunk und Protz, den sie hier aufgebaut haben, basiert auf Blut, Schweiß und Tränen so vieler, die sich teilweise schon Mitte des Monats fragen, wovon sie sich noch etwas zu Essen leisten sollen."

Die Ansage ist klar: "Es gibt kein ruhiges Hinterland! Nicht für Nazis und andere Menschenfeind*innen und auch nicht für die Bonz*innen auf Sylt", wie es in einem Text auf Indymedia heißt. Aus Sicht der Anarchisten gehen Faschismus und Kapital seit jeher Hand in Hand. "Da wundert es nicht, wenn sich auf der Insel der Reichen mehr über einige Punks in der Fußgängerzone mokiert wird als über klar erkennbare Neonazis", so das Bündnis.

Aktivisten wollen Revolution auf Sylt

Schon vor zwei Wochen waren rund 600 Menschen dem Aufruf von "Wer hat, der gibt" gefolgt, um auf Sylt für Umverteilung des Reichtums und soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren. Dieses Mal gibt es für die Aktivistinnen und Aktivisten vor allem eine Lösung: Revolution. Sie rufen "Amore, Anarchia, Autonomia" und "One Solution: Revolution". Unterstützt von Kräften der Landespolizei Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigt die Polizei "mit einem größeren Kräfteaufgebot" den ganzen Tag über Präsenz in Westerland. "Die Kundgebung verlief ohne Störungen", fasst die Polizeidirektion Flensburg am Nachmittag zusammen.

Mit einer Spontandemo und guter Laune zieht ein Teil der Aktivistinnen und Aktivisten am frühen Nachmittag zum Protestcamp am Rathaus. In der Fußgängerzone wird es dabei kurz hektisch. Ein Mann mit einem "Hells Angels"-T-Shirt wird von Demonstrierenden verbal angegangen, die Polizei geht dazwischen. Einige Meter weiter zersplittert zeitgleich eine Flasche, und die Polizei fängt an zu filmen. Nach dem kurzen Stopp geht es weiter zum Camp, wo die Versammlung beendet wird. Die Demonstrierenden rufen zum Schluss lautstark "Westerland, wir sind da: autonome Antifa".

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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