Die stark gestiegenen Energiepreise drohen nach EinschĂ€tzung von IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis viele Haushalte und Unternehmen zu ĂŒberlasten - Deutschlands drittgröĂte Gewerkschaft fordert daher rasche Hilfen und mehr AugenmaĂ in der Energiewende. Es sei Eile geboten, um die Folgen der Inflation speziell bei Strom und Gas abzufedern, sagte der Vorsitzende Michael Vassiliadis am Montag.
"Das Thema ist in der Politik noch nicht mit der Aufmerksamkeit ausgestattet, die es verlangt. Wir brauchen ein schnell wirkendes Entlastungspaket fĂŒr Haushalte und Familien." Zudem mĂŒsse die Rolle auch klassisch betriebener Gaskraftwerke von der Bundesregierung noch einmal ĂŒberdacht werden, um eine stabile Stromversorgung zu sichern.
Aus Vassiliadis' Sicht darf es in der jetzigen Teuerungsphase nicht bei Schritten wie einem Heizkostenzuschuss fĂŒr EmpfĂ€nger von Wohngeld bleiben: "Das reicht nicht, um in der Breite zu helfen." ErgĂ€nzen lieĂen sich etwa "Energie-Schecks" ĂŒber einen pauschalen, einmaligen Förderbetrag - "mit einer Obergrenze, die man dann vereinbaren muss". Er schlug auĂerdem eine höhere MobilitĂ€tsprĂ€mie fĂŒr Geringverdiener beim Pendeln und eine frĂŒhere Entlastung bei der EEG-Umlage vor, die zum Jahreswechsel 2022/2023 endet. "Es gibt Armut in Deutschland, und das wird durch die aktuelle Energieentwicklung verschĂ€rft."
Der Gewerkschafter forderte auch eine Deckelung des Strompreises fĂŒr die Industrie. Zur dortigen Preissituation sagte Vassiliadis: "Ich erwarte, dass der Wirtschaftsminister die energieintensiven Industrien zusammenholt und sich ein Bild geben lĂ€sst." UnterstĂŒtzung sei wichtig, um hier keine Arbeitsplatzverluste zu riskieren.
Zum anderen sei klar, dass mehr Kaufkraft ein zentrales Thema in der Tarifrunde der Chemie- und Pharmabranche ab MĂ€rz sei. Der IG-BCE-Chef richtete sich an die Arbeitgeber: "Klassische Entgeltforderungen mĂŒssen PrioritĂ€t genieĂen, damit Inflationseffekte nicht zu einem dauerhaften Reallohnverlust fĂŒhren." Ăhnliches ist aus Bezirken der IG Metall zu hören. Vassiliadis warnte: "Weitere Teuerungen sehe ich noch, wenn Lieferkettenproblematik und Knappheiten bei Rohstoffen wirklich ankommen." Jedenfalls unter kleineren Betrieben zeigten sich schon jetzt "echte Schwierigkeiten. Da gibt es viele Unternehmen, die gute Unternehmen sind - aber dieses Thema bringt sie gerade um."
Mittelfristig dĂŒrfe man nicht die Konsequenzen möglicher StromlĂŒcken unterschĂ€tzen. Parallel zum Ausbau der erneuerbaren TrĂ€ger brauche Deutschland eine Verdoppelung der StromerzeugungskapazitĂ€ten bei Gas bis 2030, um das Aus von Atom- und Kohlemeilern aufzufangen. "Aus meiner Sicht bleibt nur ein radikaler Ausbau von Gaskraftwerken", so Vassiliadis. Bis zu 30 Gigawatt seien zusĂ€tzlich nötig, die Bundesrepublik könne sonst den steigenden Strombedarf nicht decken. Importe etwa aus Frankreich oder Polen seien eher schwierig: "Darauf kann man nicht bauen, weil alle LĂ€nder ihre Energien brauchen."
Insgesamt zeigte sich Vassiliadis zufrieden mit dem Vorhaben der Bundesregierung, das Ăkostromangebot stark zu erweitern. Mit Blick auf die Gaskraft kritisierte er jedoch Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (GrĂŒne) - in dessen "Eröffnungsbilanz" sei dieser Bestandteil nicht genĂŒgend berĂŒcksichtigt. Gleichzeitig könne klassische Gasverstromung Kriterien, die die EU nun fĂŒr klimagerechte Investitionen diskutiert, nicht erfĂŒllen. Vassiliadis befĂŒrchtet, dass der Umbau des Energiesystems so ins Stocken geraten könnte: "Damit gefĂ€hrdet die EU die Energiewende, die Versorgungssicherheit und die energieintensiven Industriebranchen in Deutschland."
Nach den PlĂ€nen der Ampelkoalition soll es schrittweise mehr Gaskraftwerke geben, die fĂŒr den Betrieb mit Wasserstoff statt mit fossilem Erdgas geeignet sind. Zugleich soll laut dem Konzept von Habeck ein "Ausstieg aus der fossilen Gasnutzung folgen". Vassiliadis sagte: "Ich fand es richtig, dass der Koalitionsvertrag zumindest aufgegriffen hat, dass es WidersprĂŒche gibt in der bisherigen Politik." Und er könne auch damit leben, dass die Kohleverstromung in Deutschland nun möglichst schon bis 2030 beendet werden soll.
Strom aus Gasverbrennung sei aber als BrĂŒcke entscheidend. "Ich halte groĂe Investitionen bei denen, die das tun könnten, nach den jetzigen Bedingungen fĂŒr unrealistisch." Er sehe bisher "kein Konzept zum Gasausbau. Ehrlich gesagt, habe ich da ein bisschen mehr erwartet."