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Kiel: Migrantenforum wehrt sich gegen Corona-Vorwürfe


Angeblich hohe Corona-Zahlen
Migrantenforum wehrt sich gegen Gerüchte

Von Sven Raschke

05.05.2021Lesedauer: 3 Min.
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Wohnhochhäuser in Mettenhof (Symbolbild): In vielen Wohngegenden leben Menschen auf engem Raum miteinander und können außerdem nicht im Homeoffice arbeiten. Das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus ist höher.Vergrößern des Bildes
Wohnhochhäuser in Mettenhof (Symbolbild): In vielen Wohngegenden leben Menschen auf engem Raum miteinander und können außerdem nicht im Homeoffice arbeiten. Das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus ist höher. (Quelle: Werner Otto/leer)

Migranten seien besonders häufig mit Corona infiziert, so die Behauptung, die seit Monaten durch viele Medien geistert. Bei der Sitzung des Kieler Migrantenforums wehrt man sich mit Fakten gegen den Vorwurf.

Die Inzidenzwerte zeigen es: Coronafälle treten besonders häufig dort auf, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben. So weisen in Kiel die Stadtteile Gaarden und Mettenhof regelmäßig die mit Abstand höchsten Zahlen auf.

In den beiden Vierteln ist auch der Anteil der Migranten überdurchschnittlich hoch – ein Umstand, der bereits verschiedene Medien zu dem Schluss veranlasste, Migranten seien Treiber der Pandemie. Ein haltloser Vorwurf, wie Reinhard Pohl von der Initiative Gegenwind behauptet. Seine Gegenargumente brachte er am Dienstag bei der Sitzung des Forums für Migrantinnen und Migranten vor.

"Bild" machte Behauptung populär, AfD zieht nach

Die Behauptung, Menschen mit Migrationshintergrund würden einen besonders hohen Anteil der Covid-Intensivpatienten ausmachen, verbreitete zuerst die Bild-Zeitung und berief sich dabei auf die Aussagen einzelner Klinikchefs sowie auf den Chef des RKI Lothar Wieler. Laut Wieler lägen demnach "deutlich über 50 Prozent" Menschen muslimischen Glaubens auf den Intensivstationen.

Andere Blätter wie der "Focus" zogen nach. Bei der "Bild" wurde zudem von einer Tabuisierung des Themas gesprochen. Auch die AfD griff das Thema auf und behauptete über soziale Medien, "80 bis 90% der Corona-Infizierten sind Migranten!"

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Daten zum Migrationshintergrund gibt es nicht

Reinhard Pohl kritisierte bei der virtuell tagenden Sitzung des Migrant*innenforums entsprechende Aussagen als unbelegt. Der Journalist der ehrenamtlichen Nachrichtenplattform "Gegenwind" wies darauf hin, dass der Migrationshintergrund von Patienten überhaupt nicht statistisch erfasst werde.

"Tote werden nach Geschlecht und nach Alter aufgeschlüsselt, nicht nach Migrationshintergrund", so Pohl. RKI-Chef Wieler selbst stellte bereits Anfang März entsprechend klar: "Dem Robert-Koch-Institut liegen solche Daten nicht vor [...] sie werden nicht erfasst." Auch das Recherchenetzwerk "Correctiv" kam bei einem Faktencheck zu dem Ergebnis: "Zur Herkunft oder Religion von Covid-19-Patienten gibt es keine statistische Grundlage. Laut RKI und der Klinik wurden die Aussagen der zitierten Personen von der Bild aus dem Kontext gerissen."

Was deutsche Statistiken nicht hergeben, scheinen allerdings Daten aus anderen Quellen zu belegen.

So besagt eine OECD-Studie vom Herbst 2020, dass in 20 Industrieländern Einwanderer doppelt so oft infiziert sind wie Einheimische. Zudem bleibt die Tatsache bestehen, dass in den Kieler Stadtteilen mit überdurchschnittlich hohem Migrantenanteil zugleich die meisten Covid-19-Fälle vorliegen. Vom 1. bis 26. März waren es in Mettenhof 50 Fälle, in Gaarden 94. In den übrigen Stadtteilen lagen die Zahlen im selben Zeitraum zwischen 3 und 43.

Verantwortlich seien die sozialen Verhältnisse, nicht der Migrationshintergrund

Pohl verweist zur Antwort auf eine Tagung von Virologen aus Deutschland und der ganzen Welt vom vergangenen März. Dort sagte Thomas Stamminger, Virologe am Universitätsklinikum Ulm: "Man kann Treiber nicht einer bestimmten Altersgruppe oder Bevölkerungsgruppe zuordnen, sondern eigentlich nur Situationen." Will heißen: Menschen mit Migrationshintergrund leben häufig in dichter besiedelten Stadtteilen und auf engerem Raum zusammen.

Sie haben häufig Berufe, die sich nicht ins Homeoffice verlagern lassen und bei denen oft Kontakte mit anderen Menschen auftreten, etwa im Verkauf oder in der Pflege. Wie Pohl es zusammenfasst: "Migrant*innen sind tatsächlich häufiger betroffen, aber vor allem durch die sozialen Verhältnisse. Es gibt keinen einzigen Nachweis, dass sie unvorsichtiger sind als andere oder sich an Regeln nicht halten."

"Das Problem ist die Armut"

Zustimmung erhielt Pohl von den Sitzungsteilnehmern. Madina Assaeva (CDU): "In einem Stadtteil, in dem die Menschen keine Möglichkeit zum Homeoffice haben und auch die öffentlichen Verkehrswege nutzen müssen, muss man sich nicht wundern, wenn sie sich häufiger anstecken."

Geschäftsführerin Edina Dickhoff sprach von ihren persönlichen Erfahrungen aus Gaarden: "Wir haben bei uns im Stadtteil größtenteils Altbauwohnungen – und immer mehr Einwohner, ohne dass mehr Wohnungen gebaut wurden." Die hohen Corona-Zahlen hätten nichts mit Migrationshintergrund der Bewohner zu tun. "Das Problem ist die Armut – und die Erreichbarkeit."

Forderung nach besserer Kommunikation

Um die von Dickhoff angesprochene Erreichbarkeit zu verbessern, schlug Reinhard Pohl vor, dass die Stadt die Kommunikation mit den Bewohnern der besonders stark betroffenen Stadtteile verbessert. "Das Gesundheitsamt und andere sollten mit richtigen Dolmetscherinnen und Dolmetschern arbeiten", so Pohl. "Die Stadt sollte nicht nur Zettel als Pdf-Datei, sondern auch Filme zum Weiterleiten bereitstellen." Bei allen Maßnahmen müssten Migranten mitgedacht und spezifische Probleme und Fragestellungen berücksichtigt werden. Mobilie Impfteams sollten aktiv auf Bewohner von Flüchtlingsheimen und Stadtteilen mit hoher Inzidenz zugehen.

Zudem, so Pohl weiter, müssten bestehende Gerüchte über die Impfungen bekämpft werden. Im Umlauf seien falsche Behauptungen wie: Wer geimpft ist, könne abgeschoben werden. In Flüchtlingsheimen werde Impfstoff ausprobiert, den Deutsche nicht bekommen. Der Impfstoff mache unfruchtbar. Alles Unsinn, doch in den Kieler Flüchtlingsunterkünften durchaus verbreitet, wie Jasna O’Sullivan von der Gemeinschaftsunterkunft Kiel-Wik in der Sitzung bestätigte.

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