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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Randsportart wird immer populärer Hobby Horsing: So läuft das Training beim TuS Wesseling

Im TuS Wesseling zeigen Mädchen, dass das Reiten auf Steckenpferden ein echter Sport ist, der Disziplin abverlangt und viel Zusammenhalt erfordert.
An einem Dienstag steht Heidi Reeker (56) auf dem Sportplatz des TuS Wesseling und gibt klare Anweisungen: "Erst mal Trab, dann Galopp! Hier unten eine Volte reiten! Und dann einen Handwechsel in die andere Richtung bitte!" Die Mädchen auf dem Platz greifen fester nach den Zügeln und folgen konzentriert. Zwischen ihren Beinen: keine lebendigen Pferde, sondern bunte Steckenpferde mit glänzenden Knopfaugen, wuscheliger Mähne und glitzerndem Zaumzeug.
"Sparky", "Vanilla" und "Popcorn" – so heißen ihre Hobby Horses. Was für Außenstehende skurril aussieht, ist für die Kinder eine große Leidenschaft. Und echter Sport mit Technik, Regeln, Ausdauertraining und Disziplin. "Die Leute denken, dass das kein Sport ist", so Heidi Reeker. "Aber die sollen erst mal versuchen, mit einem Steckenpferd zwischen den Beinen und Zügeln in der Hand elegant über eine ein Meter hohe Hürde zu springen."
Reeker ist Vorsitzende des TuS Wesseling und seit Jahrzehnten als Leichtathletiktrainerin aktiv. Als während der Corona-Pandemie plötzlich alles stillstand, suchte sie nach neuen Bewegungsangeboten für Kinder. In den sozialen Medien stieß sie auf das aus Finnland stammende Hobby Horsing – und war fasziniert. Anfangs sei ihre Idee vom damaligen Vereinsvorstand belächelt worden. Doch dann kamen immer mehr Anfragen von außen. "Und plötzlich kamen sie auf mich zurück", grinst Heidi Reeker stolz.
Hobby Horsing: Wettbewerb in drei Disziplinen
Heute ist der Verein einer der wenigen im Raum Köln, der Hobby Horsing anbietet. Seit mittlerweile drei Jahren findet das Training wöchentlich statt. Es gibt feste Kursblöcke mit bis zu zehn Teilnehmern im Alter von sechs bis 13 Jahren. Am Nachmittag ist die Stimmung auf dem Platz besonders lebendig: Die sieben Kursteilnehmerinnen sind euphorisch, denn erst vor wenigen Tagen haben sie an einem Turnier in Düren teilgenommen. Einige konnten sich sogar Podestplätze sichern.
An die Leistung soll beim heutigen Training angeknüpft werden. Schnell wird gemeinsam der Trainingsparcours aufgebaut: Hürden, Pylonen, Wassergräben. Nach einem kurzen Aufwärmen stehen die Mädchen aufgereiht mit ihren Hobby Horses vor dem Parcours. Eine nach der anderen nimmt Anlauf – dann heben sie ab. Die Beine und Füße so angewinkelt, dass sie möglichst elegant und fehlerfrei über die Hürden kommen.
Ähnlich wie im echten Reitsport gibt es beim Hobby Horsing mehrere Disziplinen: Stilspringen, bei dem Ästhetik und Technik zählen, Zeitspringen, wo es auf Geschwindigkeit ankommt, oder auch das Mächtigkeitsspringen, bei dem die Höhe das Ziel ist. Einige der Mädchen schaffen Sprünge von über einem Meter. Auch Dressur oder Westernreiten kommen beim Hobby Horsing vor.
Hobby Horsing: Steckenpferde kosten über 100 Euro
Falls ein Kind kein eigenes Steckenpferd besitzt, kann man von Heidi ein sogenanntes "Schulpferd" zum Training bekommen. Die meisten Kursteilnehmer haben jedoch mehrere eigene Hobby Horses zu Hause, denn die Auswahl des Pferdes kann den entscheidenden Unterschied bei den Disziplinen machen. Kursteilnehmerin Emma erklärt, warum: "Wenn das Pferd kleiner und leichter ist, kann man höher springen." Und sie ergänzt, größere Pferde würden sich dagegen besser für Dressur eignen. Doch das hat seinen Preis: Viele Steckenpferde kosten über 100 Euro, plus zusätzlichem Zubehör wie Trensen, Halfter oder Kandare. Manche besonders echt aussehende Hobby Horses können über 1.000 Euro kosten.
Emma näht ihre Pferde deswegen unter anderem selbst. Für sie und die anderen Kursteilnehmerinnen ist Hobby Horsing nicht nur Sport, sondern auch ein Ausdruck von Kreativität, Spaß und Fantasie. Da kann es auch mal passieren, dass ein Hobby Horse einen Sprung "verweigert" oder ausschert. Dass einige Erwachsene oder Mitschüler genau deswegen über ihr Hobby lächeln, stört Emma aber nicht mehr. "Irgendwann habe ich mir gedacht: Warum soll man sich über Kinder lustig machen, nur weil sie Spaß haben?", sagt die 12-Jährige selbstbewusst.
Hobby Horsing: Verband in Planung
Auch die anderen Mädchen stehen voll und ganz zu ihrer Leidenschaft, bejubeln einander und feuern sich an. Von Konkurrenzkampf keine Spur. Es geht um den Sport und die Gemeinschaft.
Inzwischen gibt es für den Sport sogar offizielle Turniere, einheitliche Richtlinien und Wettbewerbsordnungen. In Deutschland formiert sich derzeit eine Initiative für einen eigenen Hobby-Horsing-Verband. Ob es der Sport eines Tages zu Olympia schafft? Trainerin Heidi Reeker winkt ab: "Das glaube ich nicht. Das kann und soll den Reitsport nicht ersetzen. Aber das hier ist trotzdem echter, anspruchsvoller Sport." Die roten, verschwitzten Köpfe der Kursteilnehmerinnen zeugen davon. Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht gehen sie vom Platz und freuen sich schon auf ihr nächstes Training.
- Reporterin vor Ort