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Köln: Architektin seit Monaten ohne Anklage in iranischer Haft


Kölnerin in iranischer Haft
"Nur noch die Frage, wie viele Jahre und Peitschenhiebe sie bekommt"

Von Florian Eßer

Aktualisiert am 11.03.2021Lesedauer: 5 Min.
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Nahid Taghavi, als sie noch in Freiheit war: Seit Monaten ist die 66-jährige Kölnerin in Isolationshaft im Iran.Vergrößern des Bildes
Nahid Taghavi, als sie noch in Freiheit war: Seit Monaten ist die 66-jährige Kölnerin in Isolationshaft im Iran. (Quelle: Privatbestand Mariam Claren)

Vor fünf Monaten wurde die 66-jährige Kölnerin Nahid Taghavi in Teheran verhaftet. Seitdem hat sie weder mit einem Anwalt sprechen dürfen, noch einen Grund erfahren, weshalb sie eingesperrt ist. Mariam Claren, die Tochter der Gefangenen, sieht die Bundesregierung im Zugzwang.

Am nördlichen Rand der iranischen Hauptstadt Teheran liegt das Evin-Gefängnis. Ursprünglich war die Haftanstalt für die Unterbringung von etwa 300 Insassen konzipiert, heute werden in ihr mehrere Tausend Menschen gefangen gehalten.

Bei den Inhaftierten handelt es sich ausschließlich um politische Häftlinge, vermeintliche Dissidenten, die der iranischen Regierung ein Dorn im Auge sind: Andersdenkende, deren Ansichten konträr zu denen des totalitären Regimes verlaufen. In dem Gefängnis sind so viele Intellektuelle und Akademiker untergebracht, dass es im Volksmund auch als Evin-Universität bekannt ist.

Eine der weiblichen Insassen ist Nahid Taghavi. Die 66-Jährige Architektin pendelte bis vor wenigen Monaten zwischen Köln und dem Iran hin und her, lebte die Hälfte des Jahres in Teheran, die restlichen Monate in der Domstadt.

Festnahme im Oktober 2020

Von ihrem letzten Aufenthalt im Iran kehrte Nahid Taghavi nicht zurück: Zunächst hinderte sie die Ausreisesperre im Zuge der Corona-Pandemie daran, die im Iran in katastrophalen Ausmaßen wütete. Dann unterband die iranische Regierung ihren Rückflug nach Deutschland: Im Oktober des letzten Jahres besuchte Taghavi Verwandte in Schiras. Am 16. Oktober, einem Freitag, begab sie sich wieder auf den Weg zu ihrer Wohnung in Teheran.

Ihre in Köln lebende Tochter Mariam Claren erinnert sich daran, dass sie an diesem Tag noch mit ihrer Mutter telefonierte. Alles schien soweit normal, Tochter und Mutter sprachen über das Kochen. Am Freitagabend schrieb Mariam ihrer Mutter über WhatsApp: Die Nachrichten wurden mit einer Lesebestätigung versehen, eine Antwort aber blieb aus.

Auch am nächsten Tag meldete sich Taghavi nicht bei ihrer Tochter. "Da wurde ich langsam nervös", erzählt diese heute. Ihre Mutter ist Diabetikerin, leidet unter Bluthochdruck und hatte sich wenige Tagen zuvor einer Operation am Kiefer unterzogen. Mariams Sorgen, dass ihrer Mutter etwas zugestoßen ist, wurden größer.

"Die Wohnung wurde auf den Kopf gestellt"

Zu diesem Zeitpunkt wusste Mariam Claren noch nicht, dass ihre Mutter kurz nach dem letzten gemeinsamen Gespräch verhaftet wurde. Als sie von dem Besuch bei ihren Verwandten zu ihrer Teheraner Wohnung zurückkehrte, wurde sie vor der Tür bereits von Anhängern der iranischen Revolutionsgarde erwartet. Die Gardisten verhafteten Taghavi und beschlagnahmten ihre persönlichen Gegenstände – darunter auch ihr Smartphone und Laptop.

"Als meine Onkel nach der Wohnung meiner Mutter sahen, war diese komplett auf den Kopf gestellt", erzählt Mariam Claren: Die Schränke waren umgeworfen worden, die Bücher aus den Regalen gerissen, das Mobiliar der Wohnung kreuz und quer über den Boden verteilt.

Pro Tag nur eine halbe Stunde frische Luft

Während ihre Brüder geschockt das Ergebnis der Hausdurchsuchung betrachten, befindet sich Nahid Taghavi bereits im berüchtigten Evin-Gefängnis. Sie sitzt in Isolationshaft, muss beim Verlassen ihrer Zelle eine Augenbinde tragen. Frische Luft atmen kann sie nur eine halbe Stunde pro Tag, rund um die Uhr sind Kameras auf sie gerichtet.

Das Gefängnisabteil A2, in dem die 66-Jährige untergebracht ist, wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarde persönlich verwaltet. Die paramilitärische Gruppierung entstand 1979 im Zuge der Islamischen Revolution und wird von den USA inzwischen als Terrororganisation eingestuft.

"Weiße Folter": Die Verhöre ziehen sich seit Monaten hin

Seit Taghavi in Haft ist, hat es für sie nur wenig Kontakt zur Außenwelt gegeben. Ihre Tochter hat seit fünf Monaten kein Wort mit ihr wechseln dürfen. Taghavi darf nur mit ihren Brüdern sprechen, die Telefonate werden dabei strengstens überwacht. Auch einen Anwalt konnte die 66-Jährige, die die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft besitzt, noch nicht kontaktieren.

Stattdessen wird sie verhört, erzählt ihre Tochter: Bis jetzt ganze eintausend Stunden lang, von Geheimdienstlern, die ihre Gesichter entweder mit Sturmhauben verhüllen oder sich im Dunklen des Raumes halten. Das sei Teil der "Weißen Folter", mit denen die Revolutionsgardisten ihre Gefangenen zum Geständis zwingen wollen: Folter ohne physische Gewalt, Psychoterror um den Willen der Insassen zu brechen: "Ich denke nicht, dass meine Mutter körperlich angegangen wird", erzählt Mariam Claren, "aber ich habe mit vielen ehemaligen Häftlingen gesprochen, die mir sagten, dass die Weiße Folter fast noch schlimmer wäre."

Menschenrechtsorganisation: "Besonders tragisch"

Seit der Inhaftierung Taghavis setzt sich auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) für das Schicksal der 66-Jährigen ein. Wie Martin Lessenthin vom Vorstand der IGFM erklärt, sei es besonders tragisch, dass die Revolutionsgarde Taghavi keine freie Anwaltswahl gewähre – stattdessen solle sie sich einen regimetreuen Anwalt als "Rechtsbeistand" nehmen.

"Sie weiß aber, dass es dann in jedem Fall nur einen Schuldspruch geben kann", erläutert Lessenthin, "dann ist nur noch die Frage, wie viele Jahre und Peitschenhiebe sie bekommt." Im Iran seien Körperstrafen für Regierungskritiker nämlich ein regulärer Bestandteil der Rechtsprechung: "Aus unserer Sicht ist das natürlich barbarisch", so Lessenthin, "aber leider ist der Iran mit der Islamischen Revolution in den Barbarismus zurückgefallen."

Keine konkrete Anklage

Besonders perfide an dem Fall von Nahid Taghavi ist nämlich auch, dass keine konkrete Anklageschrift gegen sie vorliegt und die Akten verschlossen bleiben. Derzeit gehe die IGFM davon aus, dass man Taghavi vorwerfen könnte, sich für Frauenrechte im Iran engagiert zu haben – was in der islamischen Republik, in dem Frauen als dem Mann untergeordnet angesehen werden, bereits Verbrechen genug ist: "Meine Mutter ist nicht politisch aktiv", so Mariam Claren, "aber sie hat eine klare politische Haltung."

Der Vorwurf, unter dem Nahid Taghavi verhaftet wurde, lautet "Gefährdung der Sicherheit". Ein sehr dehnbarer Straftatbestand, mit dem man laut Claren im Iran all jene belegen würde, deren Ansichten nicht zu denen des Regimes passen würden: "Das kann alles oder nichts sein", so Claren, "für die Revolutionsgarden aber ist eine Legitimation, keine Auskunft geben zu müssen." Schließlich gehe es in solchen Fällen um die Staatssicherheit.

"Meine Mutter ist ein Faustpfand"

Von der Bundesregierung zeigen sich sowohl die IGFM als auch Mariam Claren enttäuscht. Deutschland würde sich zu wenig um das Schicksal von Nahid Taghavi und das der anderen Gefangenen kümmern, die der Iran als Druckmittel in Verhandlungen mit dem Westen einsetze: "Meine Mutter ist ein Faustpfand, was der Iran betreibt ist Geiseldiplomatie", so Claren.

Einen möglichen Grund für das Zögern der deutschen Regierung sieht Claren im Atomabkommen mit dem Iran: "Ich glaube, dass Deutschland den Iran unter keinen Umständen verärgern will, um das Atomabkommen nicht zu gefährden." Auch Martin Lessenthin von der IGFM hält das für plausibel: "Man hat die Furcht, dass der Iran Bomben bastelt und zur Atommacht wird."

Petition zur Freilassung von Nahid Taghavi

Um die Bundesregierung dennoch zum Handeln zu bewegen, hat Mariam Claren eine Petition zur Freilassung ihrer Mutter ins Leben gerufen: Diese richtet sich nicht nur an die Regierung selbst, sondern auch an das Auswärtige Amt, Hans-Udo Muzel, den Deutschen Botschafter im Iran, und nicht zuletzt auch an Außenminister Heiko Maas: "Herr Maas redet immer davon, wie wichtig ihm Menschenrechte seien", so Claren, "nun hätte er die Möglichkeit, das auch zu beweisen."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Mariam Claren
  • Gespräch mit Martin Lessenthin
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