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Bundeswehr-Helfer bei Flutkatastrophe in NRW: "Wir funktionieren nur noch"


Flutkatastrophe in NRW
Bundeswehr-Helfer: "Wir funktionieren nur noch"

Von Florian Eßer

Aktualisiert am 17.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Frederik Fischer und Niklas Lanzrath (r.) vom THW bei einer Lagebesprechung in der Sammelstelle.Vergrößern des Bildes
Frederik Fischer und Niklas Lanzrath (r.) vom THW bei einer Lagebesprechung in der Sammelstelle. (Quelle: Florian Eßer/leer)

Seit Mittwoch kämpfen die Einsatzkräfte in den Katastrophengebieten gegen die Fluten und um die Leben der hier wohnenden Menschen. Nicht selten riskieren sie dabei ihr eigenes. Niklas Lanzrath ist Zugführer bei der Bundeswehr und derzeit mit dem Technischen Hilfswerk im Kreis Euskirchen im Einsatz. Für t-online schildert er seine Eindrücke und berichtet, wie die Situation auch ihn und seine Kollegen belastet.

"Ich habe seit Mittwochmorgen um fünf Uhr quasi nicht mehr geschlafen", sagt Niklas Lanzrath, dem die Erschöpfung anzusehen ist: "Aber ich werde weitermachen, bis es wirklich gar nicht mehr geht."

Der 27-Jährige ist Zugführer bei der Bundeswehr und parallel seit 13 Jahren beim Technischen Hilfswerk im Ehrenamt. Gemeinsam mit seinen Kollegen ist Lanzrath derzeit im Kreis Euskirchen im Einsatz: "Wir haben hier verschiedene Einheiten des THW, vornehmlich aus Niedersachen und Bayern." Nicht so Lanzrath: Der Helfer wohnt selbst in Euskirchen, wie auch seine Familie und seine Freunde.

"Man sah, dass die Katastrophe kommen wird"

Für Lanzrath begann der Einsatz im Katastrophengebiet am Mittwoch gegen 15.30 Uhr. Zu dieser Zeit war er noch auf der Arbeit in Daun, wo der Zugführer der Bundeswehr mit seiner Einheit stationiert ist. Von Daun aus "erkämpfte" sich Lanzrath den Weg nach Euskirchen mit dem Auto, fast zwei Stunden lang war er unterwegs – üblicherweise bringt er dieselbe Strecke in 60 Minuten hinter sich: "Auf meinem Weg bin ich über die Ahr gefahren, an Ahrbrück und Bad Neuenahr vorbei. Da ging es noch, aber man hat schon gesehen, dass die Katastrophe kommen wird."

Wie Lanzrath erzählt, war ihm zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass er am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit nach Daun fahren könnte – "Ich dachte: Du kommst jetzt nachhause, aber der Rückweg in die Eifel wird abgeschnitten sein. Die üblichen Strecken waren auch schon um 15.30 Uhr nicht mehr passierbar."

Beim Sammelpunkt des THW in Euskirchen angekommen, wird Lanzrath zur Unterstützung des Bauchfachberaters Jens Bädorf eingeteilt. Dieser prüft die Statik von Gebäuden und kontrolliert, ob Häuser möglicherweise einsturzgefährdet sind. Zusätzlich führt Lanzrath Logistik-Transporte durch, bringt dringend benötigte Güter wie Material und Verpflegung zu den verschiedenen Einsatzorten. Weil der 27-Jährige selbst in Euskirchen lebt und sich in der Umgebung bestens auskennt, fungiert er zudem als Lotse für nicht ortskundige Einheiten des THW.

"Ich bin froh, dass meine Familie überlebt hat."

Lanzrath wohnt in Flamersheim, unterhalb der Steinbachtalsperre, die durch die Wassermassen schwer beschädigt wurde. Seine Familie wurde evakuiert: "Ich funktioniere einfach nur noch", sagt der Helfer während einer Zwangspause, "Ich mache mir natürlich Gedanken um mein Zuhause, aber ich weiß, dass meine Familie in Sicherheit ist."

Dieses Wissen hatte Lanzrath zu Beginn seines Einsatzes jedoch noch nicht: "Ich habe natürlich versucht, Kontakt zu meiner Familie herzustellen, was auf Grund der fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten schwierig war. Es gab ja kein Internet, kein Telefon, gar nichts." 13 Stunden lang wusste der Vater einer fünfjährigen Tochter nicht, wie es um seine Familie steht – 13 Stunden der quälenden Ungewissheit. Dennoch versuchte er, seine eigenen Sorgen so gut wie möglich auszublenden: "Ich wusste, dass wir hier anderweitig helfen müssen."

Wie der 27-Jährige weiter erzählt, hat er sich dann bis zu seiner Familie durch gefragt: "Irgendwann wurde mir gesagt, dass sich meine Mutter in einer Evakuierungsstelle befindet. Da bin ich dann sofort hingefahren und als ich sie gesehen habe, war die Erleichterung natürlich sehr groß."

"Die Situation ist körperlich und psychisch belastend"

Der Dauereinsatz, das Adrenalin, die ganze Härte des Einsatzes hinterlässt Spuren bei den Helfern, die sich seit Mittwoch rund um die Uhr an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit befinden: "Die Situation ist so belastend, körperlich wie psychisch, dass ich einfach nur noch funktioniere. Ich hätte nie gedacht, dass das geht, ohne müde zu werden", erzählt Lanzrath.

Denn Schlaf gehört nicht zum Zeitplan des Helfers. Seit dem Beginn des Einsatzes schläft er maximal für eine Stunde am Stück: "Dann kommt direkt der nächste Auftrag und ich muss weitermachen. Zudem war – oder bin – ich ja auch selber betroffen. Da wollte ich natürlich wach bleiben, um zu wissen: Wie ist die Lage, was ist mit meinen Freunden und Verwandten?"

Diese Fragen beschäftigen aber nicht nur Lanzrath selbst – auch Freunde und Bekannte von ihm aus Köln schreiben dem 27-Jährigen Nachrichten, wollen wissen, ob er Informationen zu ihren Familien und ihren Heimatorten hat: "Sie fragen: Niklas, hast du was von meiner Mutter gehört? Wie ist die Lage vor Ort? Um allen zu antworten, fehlt mir aber leider die Zeit."

Psychologische Betreuung für die Helfer

Vier Tage lang sind Lanzrath und seine Kollegen bereits im Katastrophengebiet unterwegs, ein baldiges Ende der Anstrengungen ist dabei aber noch nicht in Sicht: "Wir rechnen derzeit mit weiteren zehn Tagen. Deswegen sind hier Einheiten des THW aus der gesamten Bundesrepublik versammelt."

Derzeit wird in Euskirchen eine große Führungsstelle des Technischen Hilfswerks aufgebaut, Zelte werden errichtet und Container mit trockenen Kleidungsstücken bereitgestellt. Auch das Einsatznachsorgeteam des THW ist vor Ort. Dieses ist für die psychologische Unterstützung der Helfer zuständig und hilft denen, die ihre Gesundheit für andere riskieren. "Man kann mit ihnen reden, wenn einen etwas belastet", sagt Niklas Lanzrath.

Schließlich gehen die Helfer nicht nur körperlich an ihre Grenzen, sondern werden auch mit Anblicken und Situation konfrontiert, welche die Psyche belasten. Am Freitagabend zum Beispiel war Lanzrath mit seinen Kollegen in Gemünd im Einsatz, wo sich ihnen die Katastrophe in ihrer gesamten Grausamkeit offenbarte: "Von Hellenthal, Schleiden und Gemünd bis runter nach Euskirchen ist es eine Schneise der Verwüstung", berichtet der 27-Jährige: "Viele Leute haben ihr Zuhause, ihr Hab und Gut verloren. Aber sie sind trotzdem dankbar, dass sie noch leben."

Schließlich konnten nicht alle Menschen in der Region gerettet werden. Allein in Gemünd sind sechs Personen verstorben, deren Leichen zwischen den Trümmern geborgen wurden: "Die meisten Toten waren bereits abtransportiert oder abgedeckt. Aber es ist natürlich trotzdem etwas, was du erst einmal verdauen musst."

Mit Stand von Freitagabend, 22 Uhr, sind im Kreis Euskirchen 17 Menschen ums Leben gekommen.

"Man ist dankbar, dass man noch helfen kann"

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Niklas Lanzrath versucht, derartige Eindrücke nicht zu nah an sich heran zu lassen, um sich weiterhin auf seinen Einsatz konzentrieren zu können: "Ich habe ja einen Auftrag. Ich kann nicht an Ort und Stelle stehen bleiben und sagen: Das muss mich jetzt betreffen. Ich weiß, ich muss zu diesem oder jenem Gebäude fahren, weil es vom Einsturz gefährdet ist."

Dennoch ist sich der 27-Jährige bewusst, dass ihn das Erlebte und das Gesehene noch für eine lange Zeit beschäftigen wird, sobald er die Tragödie in ihrem gesamten Ausmaß realisiert hat: "Das wird bei mir in einer Woche kommen, oder wenn ich zukünftig an diesen Orten vorbei fahre – dann werde ich an die Leichen denken müssen. Das habe ich aus vorherigen Einsätzen gelernt. Da ist man dankbar, dass man selber noch hier ist und helfen kann."

2013 War Lanzrath mit dem THW nämlich schon einmal in einem Hochwassergebiet im Einsatz – damals in Magdeburg, im Alter von gerade einmal 19 Jahren.

"Es ist eine Jahrtausendflut"

Auch wenn sich die Lage an der Steinbachtalsperre ein wenig entspannte, ist die Gefahr noch nicht vollständig gebannt, wie Lanzrath erklärt: "Wasserseitig steigen Blasen auf. Das könnte bedeuten, dass der Damm auf der Talseite beschädigt ist, sodass Luft in das gesammelte Wasser eindringen kann. Diese steigt dann in Form von Blasen aus dem Wasser wieder auf. Das ist derzeit aber nur eine Vermutung."

Wenn die Talsperre reißen sollte, würde das den Super-GAU bedeuten. Sollte das Wasser nämlich unkontrolliert ins Tal fließen, würde die Landschaft einem Tsunami gleich von meterhohen Wellen geflutet. Um das zu verhindern, ist das THW derzeit damit beschäftigt, das Wasser aus der Talsperre abzupumpen. Auf diese Weise konnten die Einsatzkräfte den Wasserstand bereits um einen Meter reduzieren. Um ganz sicher zu gehen aber, müsste der Wasserstand um ganze 60 Prozent reduziert werden.

"Das THW ist meine zweite Familie"

"Ich bin seit 13 Jahren beim Technischen Hilfswerk", erzählt Lanzrath: "Ich kenne die Leute auch schon, seitdem ich klein bin. Das ist meine zweite Familie, das sind meine Freunde. Du weißt ganz genau, dass du dich auf deine Kollegen verlassen kannst. Diese Kameradschaft ist ein super gutes Gefühl."

Am Montag aber wird Niklas Lanzrath die Sammelstelle des THW verlassen und zu seiner Bundeswehreinheit in die Eifel zurückkehren, welche ebenfalls gegen die Naturgewalten kämpft. Auch dort wird es für den 27-Jährigen keine Verschnaufpause geben. Als Zugführer wird er die Koordination des Einsatzes übernehmen: "Ich werde solange weitermachen, wie es sein muss."

Die Helfer in den Krisengebieten sind mit ihrem Einsatz also noch lange nicht zu Ende – aufzugeben kommt für Niklas Lanzrath und seine Kollegen aber dennoch nicht in Frage: "Du willst helfen, du willst, dass es besser wird, du willst wieder in dein Zuhause zurück", sagt Lanzrath und fügt hinzu: "Und ich weiß derzeit nicht einmal, ob ich noch ein zuhause habe. Aber ich weiß, dass meine Familie sicher ist und das ist das Wichtigste."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Niklas Lanzrath
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