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Nürnberg: Stadtrat entscheidet – NS-Kongresshalle wird vorübergehend zur Oper


Entscheidung in Nürnberg
NS-Kongresshalle wird vorübergehend zur Oper

Von dpa, mam

Aktualisiert am 15.12.2021Lesedauer: 4 Min.
Innenhof der NS-Kongresshalle in Nürnberg (Archivbild): Die Halle wurde nie fertiggestellt.Innenhof der NS-Kongresshalle in Nürnberg (Archivbild): Die Halle wurde nie fertiggestellt.Vergrößern des BildesInnenhof der NS-Kongresshalle in Nürnberg (Archivbild): Die Halle wurde nie fertiggestellt. (Quelle: Daniel Karmann/dpa-bilder)
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Kann die NS-Kongresshalle in Nürnberg Ausweichspielstätte der Oper werden? Über diese Frage hat heute der Stadtrat abgestimmt – und eine eindeutige Antwort gefunden. Historiker kritisieren das.

Das Nürnberger Opernhaus ist mehr als 100 Jahre alt. Nun wird es Zeit für eine Sanierung. Doch wohin mit Ballett und Oper in der wohl mehrjährigen Sanierungsphase? Wie die Stadt am Mittwoch mitteilte, soll die NS-Kongresshalle zur Übergangsstätte für die Oper werden. Zudem solle ein Interimsbau auf dem Gelände errichtet werden.

Bürgermeisterin Julia Lehner (CSU) begrüßte die Entscheidung. "Mit der heutigen Entscheidung darf weiter an der Idee gearbeitet werden, die Kongresshalle zu einem offenen, demokratischen und freien Ort für die gesamte Stadtgesellschaft zu machen", so Lehner.

Bereits zuvor war eine deutliche Mehrheit für die Entscheidung sicher. So kündigten CSU, SPD und Grüne an, zustimmen abstimmen zu wollen. "Wir haben eine deutliche Mehrheit", sagte CSU-Fraktionschef Andreas Krieglstein. Die Abstimmung am Mittwoch galt somit als reine Formsache.

Nürnbergs Projekt ist heftig umstritten

Die Entscheidung des Stadtrats dürfe nun nicht jedermann zufrieden stellen, war das Projekt doch schon zuvor heftig umstritten. Die Kongresshalle am Ufer des Dutzendteichs in Nürnberg wurde von den Nationalsozialisten gebaut, um einmal im Jahr beim Parteitag ihre absolute Macht zu demonstrieren. 50.000 Menschen sollten dort den NS-Größen während ihrer Reden zujubeln. Heute ist das Gebäude vor allem ein Symbol für das Scheitern der Nazis und ihres Größenwahns.

Und genau da liegt der Streitpunkt: Wie kann und darf man mit dem düsteren Erbe rund um das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg umgehen? Von der Außenseite mag die Kongresshalle mit ihren riesigen Rundbögen und Granitplatten bedrückend beeindruckend wirken. Doch vom Innenhof her sieht man eindeutig: Sie wurde nie fertiggestellt. Statt der geplanten etwa 70 Meter ragt der Bau nur knapp 40 Meter in die Höhe. Zuschauersaal und das freitragende Dach fehlen. Der hufeisenförmige Torso, der später Treppen und Garderoben beherbergen sollte, steht zu großen Teilen leer.

Abstimmung in Nürnberger Stadtrat

Doch das soll sich nun ändern. Die Oper und das Ballett des Staatstheaters werden dort für mehrere Jahre ein Ausweichquartier finden, während das mehr als 100 Jahre alte Opernhaus in der Innenstadt saniert wird. Probenräume, Werkstätten und Büros sollen in dem Rohbau untergebracht werden, die Spielstätte in einem Leichtbau im Innenhof oder neben der Kongresshalle.

Für die Kongresshalle spricht nach Ansicht von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) nicht nur der Mangel an Alternativen: Wenn Musik- und Tanztheater wieder ausgezogen seien, könne die freie Kunstszene die für mehrere Millionen Euro hergerichteten Räume beziehen, sagt sie. Auch die Leichtbau-Halle könne möglicherweise weitergenutzt werden.

Historiker wollen Kongresshalle bewahren

Doch Fachleute hatten die Pläne zuvor kritisiert: "Was mir Kopfschmerzen bereitet, ist die Frage, will man einen solchen Bau als schickes Kulturzentrum herrichten?", sagt der Leiter des NS-Dokumentationszentrum, Florian Dierl. Das Museum ist im Nordflügel der Kongresshalle untergebracht. Gegen mehr Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft hat Dierl eigentlich nichts. Diese dürfe aber nicht die Funktion des Erinnerungsortes verwässern, betont er.

Am Ende des Rundgangs durch das Dokumentationszentrum gelangen die Besucherinnen und Besucher auf eine Aussichtsplattform, von der sie über den Innenhof der Kongresshalle blicken können – dort, wo nach den Plänen der Nazis ein tempelartiger Saal sein sollte, ist nur Leere.

In dieser steht Pascal Metzger und zeigt auf die bröckelnden Fassaden. Mehr als 1,000 Gruppen hat er bereits über das Reichsparteitagsgelände geführt und jedes Mal dasselbe erlebt. "Wenn die Leute hier reinkommen, wirkt die Architektur auf sie", sagte er. Wie seine Kolleginnen und Kollegen vom Verein für Geschichte für alle befürchtet Metzger, dass ein Opernhaus im Innenhof die Fassade verstellen und dieses sinnliche Erlebnis mindern könnte.

Hier wurden NS-Gebäude schon umgebaut

Auch anderswo in Deutschland gibt es Diskussionen um den Umgang mit Baudenkmälern aus der NS-Zeit: So wurde auf der Ostsee-Insel Rügen eine von den Nazis geplante Ferienanlage mit baugleichen Häuserblöcken auf einer Länge von 2,5 Kilometern nach und nach an Investoren verkauft, die dort Hotels und Ferienwohnungen errichteten. In Hamburg wurde ein ehemaliges Wehrmachtsgebäude in einem Villenviertel zur Luxus-Wohnanlage umgebaut, ein Nazi-Bunker in München zum exklusiven Büro- und Appartementhaus.

Darf man das? Und muss man das NS-Erbe überhaupt erhalten oder sollte man es lieber verfallen lassen? Diese Fragen sind auch in der Wissenschaft umstritten. Für Pascal Metzger ist die Kongresshalle ein steinerner Zeitzeuge, der umso mehr an Bedeutung gewinne, je weniger Zeitzeugen des Dritten Reiches noch lebten, sagt er.

Historiker kritisiert "Hau-Ruck-Verfahren"

Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, sieht die Diskussion um Kongresshalle und einstiges Reichsparteitagsgelände jedoch auch als Chance. "Es geht nicht darum, dieses Gelände zu markieren und aus dem täglichen Leben zu nehmen", sagt er während einer Diskussionsrunde der Stadt, die auf Youtube übertragen wurde. Kunst und Kultur könnten für Irritationsmomente sorgen, die die Erinnerungskultur lebendig hielten. Diese dürften allerdings nicht alltäglich und somit banal werden.

Ein Eingriff in das Bauwerk sei aber auch immer ein Eingriff in die historische Quelle, meint der Historiker Alexander Drecoll, der im wissenschaftlichen Beirat für den Erinnerungsort ehemaliges Reichsparteitagsgelände sitzt. Deshalb hätte seiner Meinung nach die Stadtgesellschaft viel mehr in die Diskussion eingebunden werden müssen, statt in einem "Hau-Ruck-Verfahren" zu entscheiden.

Verwendete Quellen
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