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Boris Palmer im Porträt: Politik im Alleingang


Boris Palmer
Politik im Alleingang

  • Olaf Kern
Von Olaf Kern

02.05.2023Lesedauer: 3 Min.
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Boris Palmer (Archivbild): Am Montag erklärte der Tübinger OB den Austritt bei den Grünen. (Quelle: IMAGO/Ulmer)

Provokateur in den eigenen Reihen: Boris Palmer galt schon lange in der Partei als isoliert. Was bedeutet der Austritt bei den Grünen?

Warum solle er seinen Stil ändern, schließlich habe er zum dritten Mal die Oberbürgermeisterwahl gewonnen? Ein typischer Satz von Boris Palmer. Geäußert kurz nach der OB-Wahl in Tübingen im vergangenen Jahr zu Journalisten. Mit 52,4 Prozent und der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang strotzte er vor Selbstbewusstsein. An anderer Stelle ließ er wissen, er wolle künftig sein Verhalten auf Facebook ändern und sich auch sonst besser kontrollieren. Ja, was denn nun?

Boris Palmers Äußerungen in der Öffentlichkeit liefen schon oft nach demselben Muster ab. Erst treibt er Diskussionen auf die Spitze, dann rudert er zurück. Polarisierungen, verbale Fehltritte und rassistische Wortwahl haben ihm immer wieder bundesweit Aufmerksamkeit eingebracht. Nicht selten gefolgt von Relativierungen und Läuterung.

Palmer nennt Dennis Aogo einen "schlimmen Rassisten"

Erinnert sei nur an die Debatte in sozialen Netzwerken im Mai 2021, als er im Zusammenhang mit dem früheren Fußballnationalspieler Dennis Aogo einen rassistischen Begriff benutzte und Aogo schließlich selber einen "schlimmen Rassisten" nannte. Erinnert sei auch an seine umstrittenen Positionen in der Flüchtlingspolitik. Im Oktober 2015 forderte er beispielsweise, die EU-Außengrenzen zu schließen, notfalls bewaffnet.

Heftige Kritik erntete er für die Idee, "auffällige" Flüchtlinge aus kommunalen Unterkünften in einer Liste zu sammeln und in "sichere Landeseinrichtungen" in entlegenen Gegenden zu verbringen. Und wie war das im Zusammenhang mit Corona? "Ich sag's Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären", sagte Palmer im Frühstücksfernsehen im April 2020.

Es waren Äußerungen wie diese, die den 50-Jährigen zunehmend bei den Grünen isolierten. Und seine Politik im Alleingang stand immer mehr im krassen Gegensatz zu den Anfängen des einstigen Politik-Stars, der von Baden-Württemberg aus eine steile Karriere zu machen schien. Noch als Student trat er 1996 den Grünen bei. Später wurde er Landtagsabgeordneter, 2004 trat er bei der OB-Wahl in Stuttgart an, seit 2006 ist er Rathauschef in Tübingen. Themen wie lokale Klimaschutzinitiativen, neue Ideen zur Stärkung des Nahverkehrs oder mehr Bürgerbeteiligung treibt er in Tübingen voran, und diese dürften auch weiterhin für ihn zentrale Anliegen sein.

Dieses Mal klingt alles nach dem endgültigen Bruch

Parallel vollzieht sich der endgültige Bruch mit der Partei. Palmer hat nach dem jüngsten Eklat an der Frankfurter Goethe-Uni am Montag seinen Austritt angekündigt. Mit sofortiger Wirkung. Die Entscheidung dürfte zunächst viel Druck aus der heftigen Debatte um Palmer bei den Grünen nehmen, die zuletzt etwas abgeflacht war, aber natürlich im Hintergrund immer noch geführt wurde. Vor allem auf Bundes-, aber auch auf Landes- und kommunaler Ebene.

Tragischerweise erinnert Palmer dabei immer mehr an das Schicksal seines eigenen Vaters. Helmut Palmer hatte sich zeit seines Lebens politisch engagiert, immer wieder gegen Behördenwillkür und Bevormundung gekämpft, war selbst bei rund 250 Bürgermeisterwahlen angetreten und später als "Remstal-Rebell", so sein Spitzname, nicht mehr ernst genommen worden.

Kreisverband nähert sich wieder vorsichtig an

Boris Palmers Mitgliedschaft bei den Grünen ruhte offiziell noch bis Ende 2023. Nach dem OB-Wahlsieg in Tübingen näherte sich erst im März dieses Jahres der zuvor gespaltene Kreisverband der Grünen mühselig wieder an. Die eine Hälfte hatte sich zuvor für die offizielle Grünen-Kandidatin Ulrike Baumgärtner starkgemacht, die andere Hälfte für Palmer, der als unabhängiger Kandidat antrat. Die Mitglieder waren derart zerstritten, dass ein Ausweg allein nur über ein Mediationsverfahren gesehen wurde.

Der mühselige Aufarbeitungsprozess dürfte jetzt um einiges leichter werden nach dem Austritt Palmers. Eine quälend lange Auseinandersetzung mit dem Provokateur in den eigenen Reihen bleibt den Beteiligten erspart. Wohin führt aber Palmers Weg?

Sollte die selbst auferlegte "Auszeit", die sich Palmer jetzt nimmt, irgendwann wieder beendet sein, wird er schließlich auf den Rathaussessel in Tübingen zurückkehren. Dort kann er wenigstens noch auf einige Unterstützter unter den Bürgern hoffen. Ob es dann stiller um ihn wird und er seine eigenen entschuldigenden Worte beherzigt, er hätte zuletzt in Frankfurt als Oberbürgermeister "niemals so reden dürfen", wird sich erst zeigen. Sicher ist bei Palmer womöglich nur dies: dass man sich nie ganz sicher bei ihm sein kann, was als Nächstes folgt. Gerade jetzt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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