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Zum Tod von Robert Enke: Jan Rosenthal spricht über Umgang mit Depression


Ex-Enke-Teamkollege warnt
"Sonst verlieren wir die feinen Fußballer"

InterviewVon Robert Hiersemann

Aktualisiert am 10.11.2019Lesedauer: 5 Min.
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Ehemalige Teamkollegen: Robert Enke und Jan Rosenthal.Vergrößern des Bildes
Ehemalige Teamkollegen: Robert Enke und Jan Rosenthal. (Quelle: t-online.de/imago-images-bilder)

Zehn Jahre nach dem Tod von Fußball-Nationaltorwart Robert Enke hat sich Ex-Profi Jan Rosenthal im Interview mit t-online.de zum aktuellen Umgang mit Depressionserkrankungen geäußert.

Fußball-Torwart Robert Enke nahm sich am 10. November 2009 in der Nähe von Hannover im Alter von 32 Jahren das Leben. Einen Tag später erklärte Teresa Enke, dass ihr Mann an einer schweren Depression litt. Die Trauerfeier für Enke fand anschließend vor beinahe 40.000 Zuschauern in der AWD-Arena statt.

Knapp fünf Jahre lang spielte Ex-Profi Jan Rosenthal mit Enke für Hannover 96. Von 2005 an kämpften sie gemeinsam um Punkte für den Klub, Enke im Tor, "Rosi", so sein Spitzname, in der Offensive. Inzwischen hat Rosenthal, der insgesamt 200 Mal in der Bundesliga auflief, seine Karriere beendet.

Veränderungen im Umgang mit Depressionen

Doch wie hat sich der Umgang mit Depressionserkrankungen in der Bundesliga und allgemein in der Bevölkerung seit dem Tod Enkes verändert? Im Interview gibt Rosenthal seine äußerst reflektierte Einschätzung zum aktuellen Stand der Dinge und spricht über positive Auswirkungen durch die Robert-Enke-Stiftung.

t-online.de: Herr Rosenthal, was hat sich Ihrer Meinung nach seit dem Tod Ihres Freundes Robert Enke bezüglich der Enttabuisierung und Behandlung von Depressionen im Profisport – speziell in der Bundesliga – verändert?

Jan Rosenthal (33): Im Umfeld der Bundesliga wurde seit dem Tod von Robert ein großer Schritt nach vorne gemacht. Es besteht inzwischen ein riesiges Netzwerk der Robert-Enke-Stiftung. In den Nachwuchsleistungszentren der Vereine sind heute Sportpsychologen vertreten. Spieler mit Depressionen wissen, an wen sie sich in ihren Klubs zu wenden haben und können teilweise sogar im normalen Trainingsalltag ambulant behandelt werden. So müssen sie sich nicht mehr zwangsläufig stationär behandeln lassen und sich dafür eine Pseudo-Verletzung ausdenken, die ihr Fehlen beim Verein erklärt. Das ist ein enormer Gewinn.

Demnach hat sich der Umgang mit der Erkrankung zum Positiven verändert.

Die Krankheit ist kein reines Sportlerthema, es ist ein gesamtgesellschaftliches. Inzwischen herrscht eine gewisse Offenheit dafür – vor allem im Fußball. Der Fußball hat durch seine gesellschaftliche Relevanz sogar die große Chance, diesbezüglich eine Vorreiterrolle einzunehmen. Spieler wie Markus Miller und Weltstars wie Gianluigi Buffon oder Andrés Iniesta haben offen über Phasen von Angstzuständen und Depressionen berichtet. Das Ziel muss nun die breite Akzeptanz von Depressionserkrankungen sein.

Wie ist das zu erreichen?

Fußballer und alle anderen Menschen auch müssen sich öffentlich zu ihrer Erkrankung bekennen können, ohne dass anschließend über sie gesagt wird: "Ach, der hat doch einen Dachschaden." Eine Depression ist eine Krankheit! Und es ist wichtig, dass sie irgendwann die gleiche Akzeptanz findet wie eine Bänderdehnung oder ein Kreuzbandriss, um beim Thema Fußball zu bleiben.

Sie haben selbst 200 Partien in der Bundesliga absolviert. Baut das System des Profifußballs nicht unnötig großen Druck auf die Spieler auf?

Professionelle Sportligen wie die Bundesliga können und sollen sich hinsichtlich des Grundgedankens nicht ändern: Im Leistungssport geht es um Leistung. Das wird immer so bleiben. Durch die ständige mediale Beobachtung und öffentliche Bewertung kann bei Profifußballern ein besonderes Druckgefühl vorherrschen, allerdings sollte man nicht vergessen: Menschen, die unter Umständen mehreren Jobs nachgehen müssen, um ihre Familie gut ernähren zu können, leiden teils an einem existenziellen Druck.

Wie wichtig ist es, dass man mehr aufeinander achtet?

Es heißt, knapp 90 Prozent der Leistungssportler leiden phasenweise unter Angstzuständen oder Depressionen. Hochbegabte Fußballer sind oft sensibel. Und wenn der Leistungssport für diese sensiblen Menschen nicht mehr zuträglich wäre, hätten wir auch nicht mehr die feinen, extravaganten Fußballer.

Genau von diesen Spielern lebt der Fußball.

Der Druck in der Bundesliga ist hoch, aber nicht zu hoch. Man muss bloß den sensibleren Spielern, die vielleicht weniger gut mit Druck umgehen können, zusätzlichen Halt geben. Und das funktioniert immer besser, so mein Eindruck – aber es ist noch viel Luft nach oben.

Sensible Menschen und der knallharte Profifußball. Diese Verbindung scheint heute noch nicht in allen Gesellschaftsteilen akzeptiert zu sein.

Bei Künstlern oder Musikern ist es für Fans und Veranstalter eher okay, dass man sensibel ist. Der Fußball ist aus der Geschichte heraus als der harte Männersport verschrien. Doch auch als Fußballer muss man Schwäche zeigen dürfen – weil das normal und einfach menschlich ist.

Was muss das nächste Ziel im Umgang mit der Erkrankung sein?

Eine noch höhere öffentliche Akzeptanz der Erkrankung, auch im Profigeschäft. Es gibt auch heute sicher viele Fußballer, die wissen, dass ihnen in ihrem Verein geholfen werden könnte – und trotzdem nehmen sie diese nicht in Anspruch, weil die persönliche Hemmschwelle zu groß ist. So war es auch bei Robert damals.

Was genau meinen Sie?

Robert war die Nummer eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Er war sympathisch, lustig, aufmerksam, selbstbewusst. Er war beliebt und ganz oben angelangt. Wenn, könnte man denken, hätte er aus dieser Position heraus seine Erkrankung öffentlich machen können. Doch er tat es nicht. Stattdessen folgte der Suizid. Er hatte Angst davor, das zu verlieren, was er liebt: den Fußball.

Und da ist man als Profi eben doch in einer sehr speziellen Situation. Die Angst vor dem Verlust des ganz großen Traums – das hat man im normalen Berufsleben eher selten.

Das muss man differenzierter sehen. Ein Beispiel: Wenn man in einer Kleinstadt arbeitet und bei seinem Job aussetzt, weil man sich wegen einer Depression behandeln lässt und dies offen kundtut – wo ist da der Unterschied? Auch in diesem Fall wird man leider noch häufig verurteilt. Von den Nachbarn, den Kollegen, insgesamt dem sozialen Umfeld. Und genau das darf nicht sein. Egal, ob im Fußball oder sonst wo.


Ist Ihnen noch etwas wichtig, was Sie zu diesem Thema loswerden möchten?

Die Depression ist eine Krankheit, die behandelbar und heilbar ist. Man sollte sich nicht scheuen, den Weg zum Arzt zu gehen. Und wir alle sollten daran arbeiten, dass die Krankheit weiter enttabuisiert wird. Zum Beispiel betroffenen Menschen aus dem eigenen Umfeld Mut zusprechen, sich professionell behandeln zu lassen – ihnen das Gefühl geben, dass das total okay ist. Das ist wahnsinnig wichtig. Der Suizid von Robert Enke zeigt uns, dass es jeden treffen kann. Wir müssen aufeinander achten.

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

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