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Tim Lobinger (†50) ist tot | "Ich flüsterte: 'Ich möchte nicht sterben'"


So erfuhr Lobinger von seiner Krankheit
"Ich flüsterte: Ich möchte nicht sterben"

Von Tim Lobinger (†)

Aktualisiert am 16.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Tim Lobinger am 15. Mai 2017 zwischen Blutplättchen-Infusion und Blutkontrolle. Hier ist ihm seine Erkrankung deutlich anzusehen.Vergrößern des Bildes
Tim Lobinger am 15. Mai 2017 zwischen Blutplättchen-Infusion und Blutkontrolle: Die Erkrankung war ihm deutlich anzusehen. (Quelle: Riva-Verlag)

Tim Lobinger ist tot. In seinem Buch "Verlieren ist keine Option" beschrieb der Ex-Stabhochspringer seinen Kampf gegen Leukämie. Hier lesen Sie, wie er zum ersten Mal von seiner schweren Krankheit erfuhr.

Mit nur 50 Jahren ist Tim Lobinger am Donnerstag seiner schweren Krebserkrankung erlegen. Der frühere Stabhochspringer hatte lange Jahre gegen die Leukämie gekämpft – und diesen 2018 auch öffentlich gemacht, in seinem Buch "Verlieren ist keine Option". t-online veröffentlichte damals vorab die ersten zwei Kapitel.

Lesen Sie hier, wie Lobinger von der Diagnose erfuhr, was seine ersten Gedanken waren, und wie seine Familie reagierte.

Freitag, 3. März 2017

"Jetzt muss ich mich mal setzen."

Als Professor Ulrich Keller mit diesen Worten und einem befremdlichen Klang in der Stimme das Gespräch eröffnet, wird mir sofort klar, was die Stunde geschlagen hat.

Sekunden später hat meine düstere Vorahnung einen Namen: Leukämie.

Mich erfasste Panik

Der Tag hat mit einem Besuch beim Gastroenterologen begonnen. Ich hatte mich über einen längeren Zeitraum schlapp und antriebslos gefühlt und deshalb einen Internisten aufgesucht, der sich auf meine schlechten Blutwerte keinen Reim machen konnte. Das wiederum hatte eine Reihe von Besuchen bei verschiedenen Fachärzten zur Folge, und heute Morgen stand also die Magen-Darm-Spiegelung auf dem Programm.

Auf dem Weg in die Praxis bekam ich einen Anruf von meinem tags zuvor konsultierten Internisten. Es werde keine Spiegelung mehr geben, denn die Blutwerte hätten eine ganz andere Problematik aufgeworfen. Ich sollte den Besuch beim Gastroenterologen aber nutzen, um die Überweisung ins Klinikum rechts der Isar zu beantragen.

Hatte ich bisher meine Angst vor einer ernsten Krankheit halbwegs im Zaum halten können, erfasste mich nun die Panik. Was war es, das eine sofortige Einweisung ins Krankenhaus erforderlich machte? Warum diese Eile? War ich ein Notfall? Ohne nochmals nach Hause zu fahren und mir ein paar Sachen zu holen, machte ich mich mit dem Auto auf den Weg in die Klinik.

Eine quälend lange Wartezeit

Ich rief meine Frau Alina an und berichtete ihr von meinem neuen Fahrplan. Ich versuchte, so unbekümmert wie möglich zu klingen. Aber ich merkte, wie sich mit jedem Wort, das ich betont munter herausbrachte, am anderen Ende der Leitung die Angst breitmachte.

Und nach einer ersten Untersuchung und quälend langer Wartezeit kam dann Professor Keller und überbrachte mir die Neuigkeiten.

Die Diagnose lautet Plasmazell-Leukämie, eine sehr seltene und aggressive Form der Leukämie. Wir müssten umgehend mit der Behandlung beginnen, erklärte der Professor – die Therapie umfasse eine Reihe von Chemotherapien und eine Stammzelltransplantation. Mein relativ junges Alter und meine Sportlerkonstitution sind offenbar die einzigen Pluspunkte bei diesem Krankheitsbild, in dem es vor Minuspunkten nur so wimmelt.

Die Dauer der gesamten Behandlung gibt Professor Keller mit rund sechs Monaten an.

Geboren am 3. September 1972 in Rheinbach, war Tim Lobinger der erste deutsche Stabhochspringer, der im Freien die Sechs-Meter-Marke übersprang. Er holte bei Europameisterschaften Bronze und Silber. Später arbeitete er als Athletiktrainer bei den Fußballern von RB Leipzig. Er hatte Auftritte im TV bei "Let's Dance" und "Schlag den Star". Am 3. März 2017 wurde bei ihm eine besonders aggressive Form der Blutkrankheit Leukämie diagnostiziert, der er nun am 16. Februar 2023 erlag.

Was haben die Zellen bei mir schon angerichtet?

"Heute in sechs Monaten ist mein 45. Geburtstag", murmele ich in seine Ausführungen hinein. Als ob das wichtig wäre. Dennoch, es gibt eine Perspektive: Ich bekomme die Gelegenheit zum Kampf. Wobei sich mein Gegner nicht um die Regeln eines fairen Wettkampfs zu scheren scheint. Feige hat er sich aus dem Hinterhalt in meinen Körper geschlichen und mit seiner teuflischen Attacke begonnen. So geschickt, so subtil, so hinterhältig, dass er sich ungehindert an sein zerstörerisches Werk machen konnte, lange bevor ich beziehungsweise die Ärzte ihm auf die Schliche kommen konnten.

Am Montag, also in drei Tagen, steht mit der Entnahme des Knochenmarks der erste wichtige Eingriff an. Das entnommene Knochenmark wird im Labor analysiert werden, woraus sich Rückschlüsse auf die Natur der bösartigen Blutzellen ergeben sollen. Dann erst kann die Therapie individuell auf mich abgestimmt werden.

Anders als bei anderen Krebsarten lässt sich Leukämie nicht lokalisieren. Einen bösartigen Tumor beispielsweise auf der Niere kann man sich bildlich vorstellen. Doch bei Leukämie ist der Krebs überall da, wo Blut fließt. Überall. Und es ist nicht das Blut selbst, das ein Notsignal versendet, sondern ein Organ – die Niere, die Leber, die Milz –, das sich entzündet und nach Hilfe ruft. Wenn das geschieht, hatten die kranken Blutzellen schon alle Zeit der Welt, um sich zu vermehren und großen Schaden anzurichten. Oft ist es dann zu spät. Was die Zellen wohl bei mir schon angerichtet haben?

Mich überfällt ein Weinkrampf

Die Flut der Informationen überfordert mich. Vieles kann ich nicht behalten und bin zu geschockt, um nachzuhaken. Was ich bei aller Verwirrung allerdings realisiere: Der härteste Kampf meines Lebens ist bereits voll im Gange. Meine Heilungschancen hängen von unzähligen Parametern ab. Die Krankheit kommt mir vor wie ein riesiges Lotteriespiel, und ich kann nur hoffen, dass mein Schutzengel die richtigen Zahlen zieht.

Bevor Professor Keller das Zimmer verlässt, muss ich ihm eine Frage stellen, die mir seit der ersten Sekunde unter den Nägeln brennt.

"Ist meine Krankheit vererbbar? Ich habe drei Kinder …"

Der Arzt kann mich beruhigen. Das sei nicht der Fall.

Puh, wer hätte gedacht, dass es an diesem Tag doch noch eine gute Nachricht gibt.

In der nächsten Minute überfällt mich beim Gedanken an meine Kinder Fee, Tyger und Okkert ein Weinkrampf.

Ich muss Alina anrufen, aber ich weiß, dass mir die Stimme bricht. Also schreibe ich ihr eine Whatsapp-Nachricht: "Ich wollte dir nie eine solche Nachricht übermitteln. Aber die Diagnose steht. Ich habe Blutkrebs und werde ab sofort behandelt. Morgen werde ich von der Inneren in die Onkologie verlegt und dann beginnt gleich die Therapie. Diese geht vermutlich sechs Monate. Heilungschancen sind gut, aber nicht super. Die Krebsform ist nicht erblich, also alles gut für Fee, Tyger und Okkert."

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Alinas Antwort lässt keine halbe Minute auf sich warten: "Ich komme sofort."

Wie und wann sage ich es den Eltern und Kindern?

Als sie mein Zimmer im Krankenhaus betritt, steht ihr die Angst ins Gesicht geschrieben. Sie umarmt mich stumm, dann wird sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Sie sagt, ihre Mama passt auf Okki auf. Mehr bringt auch sie zwischen den Tränen nicht heraus.

"Ich kann es nicht fassen. Wie kann das denn sein, Timmi?", wiederholt sie immer wieder.

Wenn ich das nur wüsste. Ich kann es doch auch nicht fassen.

Als ich wieder allein bin, rufe ich meine Schwester Babett in Meckenheim an. Sie wohnt mit ihrer Familie direkt neben dem Haus meiner Eltern. Babett wusste nichts von meinen gesundheitlichen Problemen während der vergangenen Monate und fällt aus allen Wolken. Sie bringt nach dieser Schocknachricht nur ein Stammeln heraus. Irgendwann fasst sie sich, und allmählich kommt die analytische, patente Sportpsychologin bei ihr durch. Gemeinsam überlegen wir, wann ich es unseren Eltern und meinen Kindern sagen werde.

Ich bin leer und erschöpft

Heute ist auf jeden Fall der denkbar schlechteste Zeitpunkt, denn nebenan ist Papas Geburtstagsfeier im Gange. Am Morgen habe ich ihm zum 75. gratuliert, da wusste ich noch nicht, was für einen schrecklichen Ausgang der Tag nehmen würde und welche "Überraschung" ich für ihn bereithalten würde. Von den Sorgen um meine Gesundheit habe ich natürlich auch ihm gegenüber nichts erwähnt.

Wir einigen uns darauf, dass ich morgen Vormittag mit meiner Familie telefonieren werde. Babett wird zu meinem Sohn Tyger fahren, um ihn nach dem Gespräch aufzufangen.

Wir verabschieden uns. Ich bin leer und erschöpft.

"Ich habe Leukämie. Ich habe Krebs. Ich möchte noch nicht sterben", flüstere ich allein in meinem Krankenzimmer.

Ich schließe die Augen und sehe nur Blitze. Ich spüre und höre den Puls in meinen Adern pochen.

Dann kann ich endlich einschlafen.

Verwendete Quellen
  • "Verlieren ist keine Option" von Tim Lobinger (Riva-Verlag)
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