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Olympia 2021 | Robert Harting: "In Deutschland werden Helden verhindert"


Eine Medaille reicht nicht
In Deutschland werden Helden verhindert

MeinungEine Kolumne von Robert Harting

31.07.2021Lesedauer: 5 Min.
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Robert Harting: Der Olympiasieger von 2012 hält es für schwer, in Deutschland ein Held zu werden.Vergrößern des Bildes
Robert Harting: Der Olympiasieger von 2012 hält es für schwer, in Deutschland ein Held zu werden. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Es gibt Stars, es gibt Vorbilder – und es gibt Helden. Auch im Sport. Doch in Deutschland ist es fast unmöglich, einer zu werden. Die Menschen sind skeptisch und übersehen oft die wahren Helden.

In diesen Tagen werden Helden geboren. Olympische Helden. Zumindest hören wir davon im Fernsehen oder lesen es in der Zeitung. Diese Helden sind nicht plötzlich da, sie entstehen mit der Zeit.

Eins darf man dabei nicht vergessen: Ohne uns Zuschauer gäbe es keine Helden. Helden wachsen mit uns und unserer Aufmerksamkeit. Aber es wird immer schwieriger, Helden zu finden. Wir brauchen einen Zugang zum Menschen hinter dem Sportler. Und die Berichterstattung in Deutschland ist zumeist nüchtern, wenig leidenschaftlich. Ich würde von einer "gesunden deutschen Distanz" reden. Aber diese Distanz erschwert es, Helden zu finden.

Es sei denn, sie sind einwandfrei und unantastbar. Denn wir Deutschen lieben es, negative Aspekte aufzuspüren und zu thematisieren. Und dann zerkratzen wir das bis dahin makellose Bild der Sportler. Man kann sagen: Wir Deutschen verhindern Helden.

Mir fallen nur wenige Beispiele für Helden ein. Matthias Steiner aber war einer. Gold im Gewichtheben, und dann der emotionale Ausbruch mit dem Foto seiner bei einem Unfall verunglückten Frau bei der Siegerehrung: Das war einzigartig. Die sportliche Leistung gepaart mit dem emotionalen Moment bei den Spielen in Peking 2008 machten ihn in der Öffentlichkeit dazu.

Man kann Helden auf drei Arten und Weisen kategorisieren.

#1: Der Triumph-Standard

Wir leiden gerne mit Helden mit, wollen sehen, wie sie leiden, wie sie kämpfen müssen. Wir brauchen diese Entwicklung in einem Turnier. Achtelfinale, Viertelfinale, Halbfinale, Finale. Mehrere Schwellen die überwunden werden müssen, emotionale Täler und Berge.

Wer dann siegreich hervorgeht, begleitet von einem aufregenden Kommentar und im Bestfall auch von einer explodierenden Stimmung vor Ort, der kann zum Helden werden. Der hat eine Superkraft entwickelt, die ihn unsterblich macht.

#2: Der Marvel-Standard

Jedem Superhelden eines "Marvel"-Films wohnt etwas Negatives inne. Die Figur "Tony Stark" beispielsweise, zu Beginn ein skrupelloser Waffenfabrikant und zynischer Playboy, wird erst zu Marvel-Held "Iron Man", zum Weltretter im Hightech-Anzug mit großem Herzen, als er mit eigenen Augen sieht, was seine Waffen in der Welt anrichten. Die Zuschauer lieben das Unheimliche, das Mysteriöse. Das ist die absurde Situation. Auch in meiner Arbeit als Berater suche ich bei Athleten genau nach diesen Punkten, diesen Ecken und Kanten. Es war auch Teil meines Erfolgs, dass ich nicht fehlerfrei und glatt war. Ich habe mit meinen provokanten Meinungen oft angeeckt, Debatten ausgelöst und mit meinen zerrissenen Trikots für polarisierende Bilder gesorgt.

#3: Der Transparenz-Standard

Bisher haben wir einen klaren Blick auf die sportlichen Helden gehabt. Die, die mit ihrer sportlichen Superkraft oder dem "Marvel"-Faktor im Gedächtnis bleiben. Doch es gibt noch eine dritte Gruppe, die oft zu kurz kommt. Dabei sind das für mich oft die "wahren Helden".

Es sind die Athletinnen und Athleten, die einen großen Dienst für die Gesellschaft leisten. Da wäre zum Beispiel Carla Suarez Navarro, eine spanische Tennisspielerin, die den Krebs besiegt hat und jetzt bei Olympia dabei war. Das ist ein starkes Zeichen an alle Krebspatienten oder Angehörigen, die dabei sind, nicht den Mut zu verlieren. Mir fällt auch Christina Schwanitz ein, die Mutter von Zwillingen geworden ist und sich wieder in die Weltspitze des Kugelstoßens gekämpft hat, auch wenn sie im Finale am Sonntag nicht dabei sein wird. Sie hat sich ihren Körper, der unter so einer Schwangerschaft und der Geburt natürlich leidet, zurückerkämpft und ihn wieder fit für den Leistungssport gemacht.

Das Problem: Diese Geschichten spielen oft nur eine Nebenrolle, weil wir sie nicht wahrnehmen. Es braucht oft noch mehr Emotionen von den Athletinnen und Athleten selbst, um den Zuschauern einen Zugang zu solchen Schicksalen zu verschaffen. Was ich meine sind tränenreiche Interviews oder Videos auf Social Media. Momente, in denen die Zuschauer Schwächen sehen und noch mehr Sympathien entwickeln.

Mir ist völlig bewusst, dass das eine enorm hohe Anforderung ist, in solchen Momenten an die mediale Präsenz zu denken. Aber so funktioniert die Gesellschaft heutzutage. Das eigene Leid muss häufiger nach außen kommuniziert werden. Denn sonst wird das, was einen zum Helden macht, eben nicht gesehen.

Meine Helden

Da wir so viele tolle Sportlerinnen und Sportler bei diesen Olympischen Spielen haben, möchte ich Ihnen ein paar meiner Helden vorstellen:

Saeid Mollaei: Ein iranischer Judoka, der gegen den Willen seines Verbandes gegen einen Israeli kämpfen wollte, um den Sport als Mittel des Friedens zu sehen. In seiner Heimat zog das Konsequenzen nach sich, weshalb er das Angebot bekam, für die Mongolei in Tokio an den Start zu gehen. Und er gewann Silber. Sein Schicksal zeigt uns, wie gut wir es in Deutschland haben.

Carla Suarez Navarro: Ich selbst habe Kontakt zu einer Person in einem frühen Krebsstadium und merke, wie so ein Tumor das Leben komplett verändern kann. Athletinnen wie Navarro, die den Krebs besiegt haben, sind für mich daher Superhelden.

Tom Daley: Ein britischer Wasserspringer, der homosexuell ist und das auch klar kommuniziert. Mit seinem offenen Umgang erzeugt er Relevanz und Aufmerksamkeit für mehr Toleranz in der Gesellschaft.

Markus Rehm: Ein deutscher Leichtathlet, der darum gekämpft hat, trotz Beinprothese an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Ich kenne Markus gut, er denkt reflektiert und bringt mit seiner Arbeit die Inklusion voran. Es ist schade, dass er mit dem, was er leistet, noch keine Millionen Follower im Internet hat. Verdient hätte er sie zumindest.

Christina Schwanitz: Ich weiß selbst, wie schwer es ist, mit zwei Kindern zu Hause Leistungssport zu betreiben. Das ist ein ganz anderes Leben. Man hat weniger Schlaf, eine schlechtere Regeneration und auch der Fokus ist beeinträchtigt. Es ist unfassbar schwierig, an der Weltspitze zu bleiben. Die tolle Athletin Christina Schwanitz zeigt, dass Frauen Karriere und Kinderwunsch vereinen können. Sie ist eine von Tausenden weiterer Heldinnen in unserer Gesellschaft, die ebenfalls Karriere machen und Mutter sind.

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Simone Biles und Naomi Osaka: Zwei Athletinnen aus verschiedenen Sportarten mit dem gleichen Kampf. Es geht um ihre mentale Gesundheit, um Druck, Erwartungen und negative Gedanken. Was diese beiden Frauen tun, ist elementar wichtig. Denn auch das Kommunizieren der Gründe für das Nicht-Gewinnen ist wertvoll. Es gibt viele Menschen da draußen, die mental K.o. sind und trotzdem immer weitermachen, weil sie sich nicht trauen, zum Arzt zu gehen. Aber wenn diese Sportlerinnen, die in aller Öffentlichkeit stehen, genau das machen, wird es für jeden von uns leichter, mit diesen Problemen umzugehen. Ohne den Fall Simone Biles wäre auch ein Patrick Hausding nicht im TV-Studio zu dem Druck vor dem Wettbewerb befragt worden und hätte offen mit seinen Ängsten umgehen können.

All diesen Athleten sollten wir die gleiche Aufmerksamkeit geben wie den Goldmedaillen-Gewinnern. Denn was sie tun ist die Offenlegung der Rezeptur des normalen Lebens neben der Extreme. Mit ihrem Menschsein tun sie mehr für die Gesellschaft als die Sportler mit Edelmetall um den Hals.

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