Tatort: Ein paar Worte nach Mitternacht

Berlin (dpa) - Der eine ist "Keller-West", der andere "Keller-Ost". Der eine ist Wendegewinner, der andere Wendeverlierer.
Im neuen Berliner "Tatort" geht es um die deutsche Geschichte, um alte und um neue Nazis, um Stasi-FunktionΓ€re in der Familie. Und um zwei alte BrΓΌder. Eines Tages liegt der West-Berliner Bruder (Rolf Becker) erschossen auf einer Dachterrasse, um den Hals ein Schild, auf dem steht: "Ich war zu feige, fΓΌr Deutschland zu kΓ€mpfen."
Das klingt nach Zweitem Weltkrieg. Klaus Kellers Familienunternehmen steckte im Bau eines Holocaust-Dokumentationszentrums in Israel, VersΓΆhnung lag ihm am Herzen. Waren es also Neonazis? Spielte Judenfeindlichkeit eine Rolle?
Fast wΓ€re es ein Fall fΓΌr den politischen Staatsschutz, aber eben nur fast. So machen sich Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) am Sonntagabend in ihrem zwΓΆlften Fall auf Verbrecherjagd. Zur Erinnerung: Kommissarin Rubin ist ein Wessi und jΓΌdisch, ihr Kollege Karow ein Ossi mit Hang zur Arroganz und Direktheit: "Ah, persΓΆnlich betroffen?", sagt er zu ihr am Tatort.
Schon bald stoΓen sie auf die Verwerfungen in der Verwandtschaft: Beide BrΓΌder hatten Jahrzehnte keinen Kontakt. Die Vergangenheit ragt ins Heute hinein. Es stellt sich die SchlΓΌsselfrage vieler deutscher Familien: War Opa ein Nazi? Was wollte Klaus Keller auf der Feier zu seinem 90. Geburtstag beichten? Kann die Kellnerin im Stammlokal der Familie bei der AufklΓ€rung helfen? Nach und nach rollt sich die Familiengeschichte auf, das Geheimnis der BrΓΌder kommt zu Tage.
Der Krimi mit dem Titel "Ein paar Worte nach Mitternacht" ist interessant besetzt. JΓΆrg SchΓΌttauf, frΓΌher selbst "Tatort"-Kommissar in Frankfurt, spielt einen "vΓΆlkischen" Politiker mit Druckerei-Betrieb, Stefan Kurt den Unternehmersohn, der in einer Villa mit Pool lebt. Randnotiz: Der ermordete Seniorchef im Film, Rolf Becker, ist der Vater von Meret Becker.
Es ist kein "Tatort" zum Nebenbeigucken. Bei der verwickelten AuflΓΆsung muss man aufpassen. Und sie ist etwas theatralisch. Insgesamt ist es aber ein sehenswerter Sonntagskrimi, fΓΌr die Regisseurin Lena Knauss ein DebΓΌt im ARD-Flaggschiff. Sie reizte die Historie als Familiengeschichte: "Im Vordergrund steht fΓΌr mich das menschliche Drama, ΓΌber drei Generationen hinweg. Mich hat interessiert, welche Verstrickungen da im Verborgenen gehalten werden."
Die Kommissare tragen das Format souverΓ€n. Bis 2022 sind die beiden noch als Team zu sehen, dann steigt Becker aus. Ihre Nachfolgerin wird Corinna Harfouch. Bis dahin ist noch etwas Zeit fΓΌr Karow und Rubin. Sie sind keine Freunde, aber kΓΆnnen ganz gut miteinander. Im neuen Fall erfΓ€hrt man: Das Erste, was sich Karow nach dem Mauerfall im Westen kaufen wollte, war eine Stretchhose.