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Europawahl 2019: Das richten Hassreden im Netz an


Wahlkampf auf Facebook, Twitter und Co.
Das richten Hassreden im Netz an

t-online, Kim Charleen Pohlmann

27.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Framing, Hass und Verschwörungen im Netz: Besonders im Wahlkampf kann das fatale Auswirkungen habenVergrößern des BildesFraming, Hass und Verschwörungen im Netz: Besonders im Wahlkampf kann das fatale Auswirkungen haben (Quelle: Getty/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Im Europawahlkampf warnt Andrea Nahles vor Hetze und Rechtspopulismus. Die Gefahr geht aber nicht nur von Politikern aus. Denn die ständigen Hassreden im Netz verändern die Art, wie wir Denken.

In politischen Debatten im Netz kommt es sehr schnell zu verbalen Attacken. Dabei kommt Hassrede als wüste Beschimpfung daher – sie kann aber auch auf dem ersten Blick nicht erkennbar sein. Lisa Gutsche arbeitet für das Netzwerk "Gegen-Argument". Im Gespräch mit t-online.de erklärt Sie, dass es keine einheitliche Definition, sondern vielschichtige Interpretationen gibt.

Das Ministerkomitee des Europarates definiert Hassrede als Ausdrucksformen, die Fremdenfeindlichkeit oder andere Formen von Hass ausdrücken, rechtfertigen, propagieren oder dazu anstiften. Das passiert laut Lisa Gutsche systematisch: „Mit Online-Angriffen wird durch toxisches Verhalten Einfluss auf ein gesellschaftliches Meinungsbild genommen“. „Toxisch“ ist ein Verhalten dann, wenn sie ein Publikum durch negative Aussagen beeinflusst und so als „Türöffner“ für Hassrede dient, die Ängste schürt und sich gegen eine Bevölkerungsgruppe, oft eine Minderheit, richtet.

Die Klassiker sind Asyl und Migration

Betrachtet man die politischen Debatten im aktuellen Wahlkampf, lässt sich laut Gutsche eindeutig sagen, welche Themen bei Diskussionen im Netz besonders häufig zu Hassreden führen: „Asyl und Migration sowie antimuslimischer Rassismus sind die Klassikerthemen. Dadurch, dass die feministische Bewegung wächst, kommt es aber als Reaktion darauf auch immer häufiger zu antifeministischen Kommentaren.“

Auffällig sei, dass Akteure, die sich zu einem dieser Themen regelmäßig mit Hassbotschaften in Debatten mischen, häufig auch zu weiteren Themen auffallen, für die sich eine Minderheit engagiert. „Wer zuvor gegen Migranten hetzte, führt das häufig bei Klimaschützern, Feministen oder Gender-Aktivisten fort. Die Anknüpfungspunkte sind hier ganz ähnlich: Der Zugang zum Thema ist verschwörungstheoretisch. Wissenschaftlichen Untersuchungen wird nicht geglaubt“, so Gutsche.

Wenn Hassrede Teil des Denkens wird

Obwohl 92 Prozent der Nutzer von sozialen Medien in Deutschland angeben, Hassrede für feige zu halten, kann sie bei jedem unterbewusst wirken. Das passiert vor allem, sobald Kommentierende unabhängig von Fakten gewisse Zusammenhänge herstellen und dabei Begriffe benutzen, die einen negativen Subtext enthalten. Lisa Gutsche erklärt: „Werden gewisse Begriffe von einer Personengruppe immer wieder in einen gewissen Kontext gebracht, werden Sie allmählich Teil des unterbewussten Denkens der Einzelnen.“

Nicht immer muss es dabei zu offensichtlichen Beschimpfungen kommen. Hassrede kann sich auch erst durch den Kontext als Herabwürdigung oder Hetze entpuppen. Das kann beispielsweise in Form von Verschwörungstheorien oder dem Verbreiten von Unwahrheiten passieren, wie ein Beispiel von der Facebookseite von t-online.de zeigt. Hier wurde unter einem geposteten Artikel zum Thema Migration eine Behauptung aufgestellt. Andere Kommentierende reagierten:

In diesem Beispiel wurde behauptet, dass Geflüchtete in Deutschland 1.000 Euro Bargeld erhalten. Eine Äußerung, die auf eine vermeintliche Ungerechtigkeit hinweist und damit Hass schürt. Eine Quelle wird nicht angegeben, die Behauptung in den vergangenen Monaten aber regelmäßig als Argument gegen Geflüchtete in Diskussionen im Netz verwendet. Warum die Behauptung nicht zutrifft, erklärt das Recherchenetzwerk "Correctiv" in einem Faktencheck.

Diese Forum-Kommentare werden gemeldet

Häufig kommt es bei rechter Hetze auch zur Betonung von Unterschiedlichkeit mit dem Ziel, Ängste zu schüren. Im t-online.de-Forum werden täglich Kommentare gemeldet, unter denen sich viele solcher Argumentationsmuster finden. Ein Beispiel zum Vergewaltigungsfall in Freiburg:

  • "Wäre ich ein Mann, der in einer Maccho-Kultur aufwuchs, der Hier in DE von Wein, Weib und Gesang abgetrennt ist, und wüsste ich, dass ich demnächst sowieso aus Deutschland abgeschoben werde - wozu sollte ich mich da noch an deutsches Recht halten?"

Eindeutig wird hier pauschalisiert, indem die Herkunft von Geflüchteten als "Macho-Kultur" bezeichnet wird und schlimme Ereignisse wie der Fall in Freiburg als logische Konsequenz von Zuwanderung formuliert werden.

Von der "Flüchtlingswelle" zum "Asyltourismus"

Nicht immer ist Hassrede so einfach zu durchschauen: Werden Worte beispielsweise so gewählt, dass sie bestimmte Assoziationen wecken und im Kopf bestimmte Bilder auslösen, kann damit ebenfalls Hass geschürt werden. Werden Themen oder Begriffe verbal in einen Deutungsrahmen eingebettet, spricht man von "Framing". Dieses wird ganz bewusst von Politikern im Wahlkampf verwendet, um mit möglichst intensiven Bildern an die Emotionen der potenziellen Wähler zu appellieren. Häufig werden entsprechende Begriffe aber auch unbewusst übernommen.

Ein klassisches Beispiel für politisches Framing ist der Begriff „Flüchtlingswelle“ – Ein viel genutztes Synonym für die Migrationsbewegung. Der Begriff lässt uns an bedrohliche Menschenmassen denken, die über uns hereinbrechen und Verwüstung und Zerstörung anrichten. Ebenso problematisch: Der Begriff „Asyltourismus“ – Die Flucht vor Krieg wird zu einer entspannten Urlaubsreise umgedeutet. Vor unserem inneren Auge gesellen sich Sonne, Strand und Meer zum Asylbegriff. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder nutzte den Begriff 2018 in den „Tagesthemen“.

Framing kann also in der Begriffswahl, aber auch in der Themenwahl stattfinden. So ist es auch häufig zu beobachten, dass Kommentare mit Hassbotschaften sich völlig themenfremd in Diskussionen mischen. Warum auch das Framing ist, erklärt Lisa Gutsche so: „Wenn man bei Diskussionen zum Thema Migration immer wieder auf das Thema Kriminalität kommt, geht das Eine irgendwann nicht mehr ohne das Andere“.

Ist an allem nur die Anonymität Schuld?

Während politisches Framing unterschwellig daherkommt, kommt es in politischen Diskussionen im Netz ebenso häufig zu direkten Beleidigungen. Dass Dialoge sich in einer direkten Kommunikationsform genauso aggressiv abspielen könnten, ist nur schwer vorstellbar. Im Netz dagegen überrascht kaum jemand die Wortwahl der Nutzer, schließlich herrscht Online eine gewisse Anonymität.

Tatsächlich ist die Anonymität ein wesentlicher Faktor für die Enthemmung in Online-Diskussionen. Bei Facebook oder Twitter, wo viele Nutzer unter ihrem echten Namen unterwegs sind, ist das Phänomen trotzdem allgegenwärtig. Es gibt also weitere Faktoren, die eine Rolle spielen.

Warum die Hemmschwelle online sinkt

Lisa Gutsche erklärt die Enthemmung, die sich online beobachten lässt, vor allem mit dem Aspekt der mangelnden Empathie. Einfühlungsvernögen kann sich nicht entwickeln, weil man von seinem Gegenüber nur eine Fantasievorstellung hat: „Dass es nicht zu Augenkontakt kommt, macht viel aus. Es gab Versuche, in denen Opfer von Hassrede ihre Angreifer aufgesucht haben. Im persönlichen Gespräch war derjenige dann plötzlich sehr freundlich“, so Gutsche.

Ein weiterer Grund für Enthemmung ist der asynchrone Charakter der Online-Kommunikation: Reaktionen auf eine Äußerung kommen nicht unmittelbar zurück, wie bei einem echten Dialog. Man muss sich also erst zeitverzögert mit Reaktionen auseinandersetzen, hat sogar die Wahl, den Computer nach dem Verfassen einfach auszuschalten und die Antwort gar nicht wahrzunehmen.

Was wir gegen Hassrede im Netz tun können

"Will man verbal reagieren, sollte man wissen, wie der Facebook-Algorhitmus funktioniert", erklärt Lisa Gutsche. "Kommentare mit vielen Reaktionen werden als wichtig eingestuft und deshalb unter dem Artikel als Erstes angezeigt". Stattdessen rät sie: "Es ist sinnvoll, die Betroffenen zu unterstützen, indem man eigene Kommentare verfasst, die bestärkend sind und beispielsweise eine gute Arbeit hervorheben."

Selbst wenn Hassrede nicht immer strafrechtlich relevant sein muss, können bestimmte Inhalte dennoch beispielsweise aufgrund von Volksverhetzung, Beleidigung oder Bedrohung geahndet werden. Während ein gesprochenes Wort flüchtig ist, wird eine geschriebene und veröffentlichte Beleidigung, Verschwörung oder Herabsetzung immer wieder gelesen - und beeinflusst schlimmstenfalls ein großes Publikum. Umso wichtiger ist es, Hassrede nicht zu ignorieren. Wer etwas gegen Hassrede tun möchte, sollte entsprechende Kommentare deshalb konsequent melden und dafür sorgen, dass sie nicht im Netz stehen bleiben.

Verwendete Quellen
  • Forsa-Studie der Landesanstalt für Medien
  • GreenCampus - HateSpeech widersprechen
  • eigene Recherche
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