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HomeDigitalNicole Diekmann: Im Netz

Soziale Medien: Das gefährliche Spiel der Pseudo-Experten


Erfolgreiche "Experten"
Sie wollen mit Irrsinn ernsthaft Kasse machen

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

21.05.2025 - 13:32 UhrLesedauer: 4 Min.
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Cathy Hummels: Symbol einer Welt, in der Einfluss vor Expertise kommt. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Ob Hautkrebs, Ernährung oder Lichttherapie. Auf Social Media tummeln sich etliche Pseudo-Experten, die viele Fans haben und sich vor allem für deren Geld interessieren.

Kürzlich schlenderte ich durch die Fußgängerzone einer mittelgroßen deutschen Stadt. Plötzlich sprach mich ein fremder Mann an. Keine Auffälligkeiten, gut angezogen, aber auch nicht drüber. Gepflegtes, aber nicht geschniegeltes Äußeres. Auf einer Skala von "heruntergekommen" bis "Bling-Bling" angesiedelt in der seriösen, entspannten Mitte, würde ich sagen.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr

Ich solle meine Sonnenbrille absetzen, sagte der Fremde, ohne sich zuvor vorgestellt zu haben, und fügte hinzu, dass sich die Zahl der Hautkrebserkrankungen fast verdoppelt habe. Meine interessierte Frage, in welchem Zeitraum und in welcher Region denn, ignorierte er und fuhr fort: "Alle verdächtigen Flecke am Körper haben sich bei mir in den letzten Jahren, seitdem ich Sonnencreme und Sonnenbrille weglasse, zurückgebildet! Unsere Retina registriert sichtbares Licht, darunter auch UV-ähnliche Helligkeit. Zieht man eine Sonnenbrille auf, denkt das Gehirn, du seist im Schatten, weil kein starkes Licht in den Augen registriert wird. Damit wird die Produktion von Melanin merklich gehemmt, das unsere Haut bei Sonnenlicht dunkler färbt und so vor UV-Strahlung schützt!"

Ehrlich gesagt, hatte ich schon nach "Sonnencreme und Sonnenbrille" aufgehört, wirklich zugetan zuzuhören. Denn in meinem Kopf ploppte folgender Gedanke auf: "Schade. Ein Spinner." Hatte ich zunächst gedacht, die Bekanntschaft eines freundlichen, normalen Herren zu machen, stellte er sich nun als bekloppt heraus.

Ich nickte also freundlich, bedankte mich für die Information und ging meiner Wege. Meine Zeit ist mir kostbar, und meine Gesundheit auch.

Den Irrsinn noch übertreffen

Okay, die Geschichte ist ausgedacht. Tatsächlich aber nur in einem Detail: Auf den oben zitierten Text stieß ich nicht im echten Leben zwischen einer dm-Filiale und einem Ein-Euro-Shop. Sondern im guten, alten Social Web. Auf X. Mein erster Reflex beim Lesen dieses Unsinns war aber derselbe: einfach weiterscrollen. Dann aber sagte mir meine Erfahrung mit Scharlatanerie im Social Web: Bleib mal stehen und lies die Antworten. Solche Inhalte werden ja erstaunlich (oder besser: erschreckend) oft ernst genommen.

Tatsache: Tausende (!) Menschen hatten "Gefällt mir" angeklickt, Hunderte den Post weiterverbreitet. Andere stellten Nachfragen. Natürlich auch solche wie "Bist du heute Morgen gegen den Türrahmen gefallen und hast dir dabei den Kopf sehr doll angestoßen, dass du hier so einen Mist schreibst?" Aber auch Beiträge wie "Was denkst du, wie Babys behandelt werden sollten? Mein Kleiner ist 4 Monate alt und kommt langsam in Kontakt mit der Sonne. Am liebsten würde ich ihn auch nicht eincremen", waren dort zu lesen.

Ob es sich bei solchen Nachfragen um ernsthaften Inhalt handelt, oder ob da jemand einfach nur meint, den Originalpost im Irrsinn noch übertreffen zu müssen und zu ergründen, wie viele wirklich darauf reinfallen, weiß ich nicht. Aber wer sich seit einiger Zeit im Netz bewegt, weiß: Es sind mehr, als man denkt. Apropos denken: Man denke nur an Cathy Hummels, die mit sogenannten Retreats ernsthaft Kasse machen wollte und damit auch Erfolg hatte bei an Depressionen erkrankten Menschen.

Die Gleichung geht leider auf

Insta, X, TikTok, Facebook – sie alle sind prall gefüllt mit selbst ernannten Expertinnen und Experten. Kaum ein Thema, das nicht von halbseidenen, geldgeilen, zuvor im Leben oft gescheiterten Existenzen besetzt wird. So gut wie jeden Tag treffe ich auf mindestens zwei der genannten Plattformen auf ehemals übergewichtige Frauen, die sich nach Verlust von enorm viel Gewicht mindestens genauso enorm viel an Wissen zugelegt haben: Sie wissen nun alles über Ernährung. Ein hochkomplexes Thema. Und einen unersättlichen Markt voller Menschen, die endlich dem gängigen Schönheitsideal entsprechen wollen.

Und es gibt eben sehr viele Menschen, die in den Timelines auftauchen und dieses komplizierte Thema vermeintlich durchdrungen und den ultimativen Plan haben. Einfache Antworten, nach denen die Wissenschaft seit Jahrzehnten sucht. Sie aber, also Moni aus Braunschweig oder Kai aus Bremen, sie haben es durchdrungen, weil sie ja selbst auch mal dick waren und jetzt dünn sind, also wer soll es besser wissen als sie? Je dünner, desto genialer – diese Gleichung geht anscheinend auf, zumindest in ihren Fällen. Und wenn ich ihnen eine persönliche Nachricht schicke, lassen sie mich an ihrer Weisheit teilhaben! Vorher aber bitte noch Geld schicken. Per Paypal. An ein Konto, das auf eine Fantasie-Mail-Adresse ausgestellt ist.

Abnehmen, keinen Krebs bekommen oder ihn gar mit alternativen Methoden wie Lichttherapie oder dem Verzicht auf Kuhmilch heilen – man entkommt diesen digitalen Betrügern nirgends mehr. Die einzig erkennbare Qualifikation dieser wildfremden Menschen ist ihr Talent, andere über den Tisch zu ziehen.

Und das sind nur die plakativen Fälle, bei denen ein Großteil einfach weiterscrollt. Andere selbst ernannte Experten-Influencer gehen geschickter vor.

Vielleicht einmal den Arzt fragen?

So lauschte ich kürzlich einem Vortrag über Protein. Wie wichtig dieser Makronährstoff für uns ist. Wie wir ihn möglichst gut in unseren täglichen Ernährungsplan einbauen können. Und wie wir die tägliche Dosis steigern, wenn wir viel Sport treiben. Warum ich diesen Vortrag hörte? Weil ich bei einem Abendessen saß. Bei einer Freundin, die ein paar Leute eingeladen hatte. Darunter ihre Freundin Jasmin.

Jasmin ist zwar weder Medizinerin noch Ernährungsexpertin. Leistungssportlerin ist sie auch nicht. Aber Jasmin ist viel auf Instagram unterwegs. Und nimmt jetzt sehr, sehr viele Proteine zu sich, erzählte sie. Auch mithilfe von Shakes. Die bekomme sie bei einem Influencer. Mit Extra-Rabatt: "Ich hab den einfach mal angeschrieben, und wir hatten gleich einen Draht zueinander." Ob sie darüber auch mit einer Ärztin gesprochen habe, fragte eine Mitesserin, die genau diesen Beruf ausübt. Denn an und für sich sei gegen Proteine zwar nichts einzuwenden. Aber ob Jasmins Nieren denn in Ordnung seien? Ob sie Diabetes habe?

Diabetes habe sie nicht, antwortete Jasmin, nun etwas nervös. "Und ich glaube, meine Nieren sind okay." Ganz genau wisse sie das aber nicht. Sie sei seit Jahren nicht mehr beim Arzt gewesen. "Ich glaube, den brauche ich nicht."

Ich wiederum glaube, wir brauchen viel, viel mehr Misstrauen. Ein gesundes Misstrauen. Damit wir uns nicht hinters Licht führen lassen von Menschen, denen es um viel geht. Viel Geld. Und nicht um unsere Gesundheit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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