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Frühkindlicher Autismus: Symptome, Ursachen, Therapie


Diagnose Kanner-Syndrom
Wie sich frühkindlicher Autismus bemerkbar macht

Von Wiebke Posmyk

Aktualisiert am 14.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Einsam wirkender Junge auf einer Bank: Kinder mit frühkindlichem Autismus schotten sich von anderen Menschen ab.Vergrößern des Bildes
Einsam wirkender Junge auf einer Bank: Kinder mit frühkindlichem Autismus schotten sich von anderen Menschen ab. (Quelle: Xavier_S/getty-images-bilder)

Der frühkindliche Autismus ist die wohl bekannteste Form von Autismus. Erste Anzeichen sind bereits im Babyalter erkennbar.

Menschen mit frühkindlichem Autismus unterscheiden sich schon in frühester Kindheit von Gleichaltrigen. Sie reagieren nicht, wenn sie gerufen werden. Blickkontakt und körperliche Nähe meiden sie. Ihre sprachliche Entwicklung ist auffallend langsam. Statt mit Gleichaltrigen zu spielen, bleiben sie allein – und beschäftigen sich stundenlang mit Details, etwa dem drehenden Rad eines Spielzeugautos.

Der frühkindliche Autismus ist in Anlehnung an den Erstbeschreiber Leo Kanner auch als Kanner-Autismus oder Kanner-Syndrom bekannt. Die Symptome dieser tiefgreifenden Entwicklungsstörung halten im Erwachsenenalter weiter an. Betroffene sind daher in der Regel lebenslang auf Hilfe angewiesen.

Auch wenn das Kanner-Syndrom nicht heilbar ist, ist eine frühzeitige Therapie von Bedeutung: Je früher und umfassender die Behandlung einsetzt, desto besser können die Kinder in ihrer Entwicklung gefördert werden.

Es gibt verschiedene Formen von Autismus

Autismus kann sehr unterschiedlich verlaufen. Ärztinnen und Ärzte unterscheiden mehrere Formen von Autismus, die unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störungen zusammengefasst sind. Neben dem frühkindlichen Autismus zählt dazu unter anderem das Asperger-Syndrom, welches mit vergleichsweise milden Symptomen einhergeht.

Zur Häufigkeit von Autismus gibt es unterschiedlichen Angaben. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass von 100 Kindern etwa 1 eine Autismus-Spektrum-Störung hat. Einen frühkindlichen Autismus entwickeln drei- bis viermal mehr Jungen als Mädchen.

Welche Symptome weisen auf frühkindlichen Autismus hin?

Menschen mit frühkindlichem Autismus sind in verschiedenen Bereichen ihrer Entwicklung schwer beeinträchtigt:

  • Sie zeigen kein Interesse an sozialen Kontakten.
  • Ihre sprachliche Entwicklung ist so beeinträchtigt, dass sie nicht oder nur eingeschränkt mit anderen kommunizieren können.
  • Sie führen Tätigkeiten möglichst immer auf die gleiche Weise aus und haben sehr spezielle Interessen.

Die Intelligenzleistung ist beim frühkindlichen Autismus nicht immer, aber meistens deutlich vermindert.

Die ersten Symptome des Kanner-Syndroms zeigen sich normalerweise in den ersten Lebensmonaten, spätestens aber bis zum dritten Lebensjahr. Vor allem zu Beginn bleiben die Entwicklungsverzögerungen häufig noch unbemerkt. Nach und nach wird jedoch deutlich, dass sich die Kinder langsamer entwickeln und keinen Kontakt zu engen Bezugspersonen wie der Mutter suchen.

Sonderform atypischer Autismus
Frühkindlicher Autismus kann unterschiedlich schwer ausgeprägt sein und die Symptome können von Person zu Person variieren. Wenn ein Kind nur einen Teil der Hauptsymptome aufweist und/oder die Symptome erst nach dem dritten Lebensjahr einsetzen, sprechen Ärztinnen und Ärzte von einem atypischen Autismus.

Frühkindlicher Autismus: Beziehungen zu anderen kaum möglich

Kinder mit frühkindlichem Autismus können Gefühle kaum äußern. Ihre sozialen Fähigkeiten sind deutlich gestört.

Sie suchen kaum Kontakt zu anderen Menschen – nicht einmal zu den Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen. Schaut man ihnen in die Augen, wenden sie den Blick ab. Auf Gesten, etwa ein Winken, reagieren sie im Gegensatz zu gesunden Kindern nicht. Körperliche Nähe meiden sie. Kinder mit Kanner-Autismus spielen normalerweise nicht mit anderen, sondern bleiben für sich.

Sprache und Kommunikation sind beim frühkindlichen Autismus gestört

Typisch für den Kanner-Autismus ist, dass die Sprachentwicklung der betroffenen Personen schwer gestört ist. Sie sind nicht oder kaum fähig, sprachlich mit anderen zu kommunizieren.

Wie sehr die Sprache beeinträchtigt ist, ist von Person zu Person unterschiedlich. Einige Kinder lernen das Sprechen nie. Bei anderen sind die sprachlichen Fähigkeiten etwas besser, sie sprechen allerdings eher mit sich selbst als mit anderen. Sie können ihre Gefühle nicht durch Sprache zum Ausdruck bringen und keinen Dialog führen. Ihr Sprechen wirkt monoton und frei von Gefühlen. Die Sprachmelodie der Kinder ist tief und seltsam betont. Auch zeigen sie kaum Mimik und Gestik.

Wenn sie sprechen, benutzen Menschen mit frühkindlichem Autismus oft völlig neu erfundene Wörter. Zudem neigen sie dazu, einzelne Worte zu wiederholen. Fachleute sprechen von Echolalie. Das ständige Wiederholen kann für die Betroffenen hilfreich sein, denn es trägt zum Spracherwerb bei. Zudem kommt die sogenannte pronominale Umkehr vor: Autistische Menschen sagen dann "Du", obwohl sie "Ich" meinen.

Menschen mit frühkindlichem Autismus brauchen Rituale

Typisches Symptom des Kanner-Syndroms sind die starren Verhaltensmuster: Die Betroffenen brauchen einen geregelten, möglichst immer gleichen Tagesablauf mit festen Ritualen. Gegenstände müssen stets am selben Platz liegen, Handlungen in der gleichen Reihenfolge ausgeführt werden.

Abweichungen oder Veränderungen führen bei autistischen Menschen zu starkem emotionalen Stress. Sollen sie ihr Essen beispielsweise von einem anderen Teller zu sich nehmen als gewohnt, stellt die Situation für sie eine Überforderung dar. Auch ein anderer Heimweg oder "falsch" einsortierte Gegenstände belasten sie. Dann reagieren sie zum Beispiel mit Wutausbrüchen, Erregung oder großer Angst.

Menschen mit frühkindlichem Autismus neigen dazu, immer die gleichen Tätigkeiten auf die gleiche Weise auszuführen (sog. Stereotypien). Häufiger kommt es vor, dass sie immer wieder mit dem Oberkörper oder anderen Körperteilen hin- und herwippen.

Charakteristisches Symptom eines frühkindlichen Autismus ist zudem, dass sich die Personen sehr für Details interessieren und sich stundenlang damit beschäftigen. Das kann zum Beispiel eine sich drehende Waschtrommel sein.

Kanner-Autismus: Viele weitere Symptome möglich

Neben den charakteristischen Symptomen weisen viele Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weitere Beschwerden und Verhaltensauffälligkeiten auf. Dazu zählen zum Beispiel selbstverletzendes Verhalten, Wutausbrüche und fehlende Angst vor Gefahren. Zudem leiden Personen mit frühkindlichem Autismus häufiger an epileptischen Anfällen.

Ursachen: Wie entsteht frühkindlicher Autismus?

Die Entstehung eines frühkindlichen Autismus ist von einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren abhängig. Welche das genau sind, ist noch unklar.

Wahrscheinlich spielen vor allem neurobiologische und erbliche Faktoren eine große Rolle. Studienergebnisse sprechen dafür, dass genetische Einflüsse an der Entstehung des frühkindlichen Autismus beteiligt sind. Bei Personen mit frühkindlichem Autismus lassen sich verschiedene Schäden und Störungen in bestimmten Hirnbereichen nachweisen. Bei einem Teil der Betroffenen ist der Kopfumfang auffällig vergrößert.

Als weitere auslösende Faktoren des Kanner-Syndroms diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem verschiedene Einflüsse während der Schwangerschaft, zum Beispiel eine Rötelninfektion, bestimmte Medikamente (etwa Antiepileptika) oder Diabetes.

Widerlegt werden konnte die Annahme, dass Kanner-Autismus rein psychische Ursachen hat – ebenso wie die Theorie, die Störung werde durch die Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR-Impfung) begünstigt.

Frühkindlicher Autismus: Wie stellt der Arzt die Diagnose?

Erste Anlaufstelle bei Entwicklungsauffälligkeiten ist meist die kinderärztliche Praxis. Erhärtet sich der Verdacht, dass eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegen könnte, wird in der Regel eine Kinder- und Jugendpsychiaterin oder ein Kinder- und Jugendpsychiater zurate gezogen.

Die Diagnose frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) kann ab dem zweiten Lebensjahr gestellt werden. Im Gespräch mit den Eltern erhält die Ärztin oder der Arzt schon wichtige Hinweise auf die mögliche Diagnose.

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Verschiedene standardisierte Hilfsmittel erleichtern ihr oder ihm das Vorgehen. Zum Beispiel kommt häufig das "Diagnostische Interview für Autismus" (ADI-R) zum Einsatz. Dabei handelt es sich um einen vorgegebenen Fragenkatalog, den die Eltern im Interview beantworten.

Ein weiteres Hilfsmittel ist der "Autism Diagnostic Observation Schedule" (ADOS). Dieser Autismustest erleichtert es der Ärztin oder dem Arzt, Verhaltensweisen des Kindes einzuordnen. Dafür wird das Kind zunächst in verschiedenen vorgegebenen Situationen beobachtet. Anschließend hält die Ärztin oder der Arzt das Beobachtete auf einer Skala fest. Anhand der Skala lässt sich ablesen, inwieweit die Verhaltensweisen des Kindes von denen gesunder Kinder abweichen.

Um andere körperliche oder psychische Ursachen ausschließen und die anschließende Behandlung planen zu können, sind gegebenenfalls weitere Untersuchungen und Tests nötig. Dazu zählen etwa ein Intelligenztest oder ein Test zum sprachlichen Entwicklungsstand des Kindes. Hör- oder Sehtests können in manchen Fällen ebenfalls sinnvoll sein.

Therapie: Wie wird frühkindlicher Autismus behandelt?

Frühkindlicher Autismus ist nicht heilbar. Eine Therapie ist dennoch sinnvoll, um das Kind in seiner Entwicklung optimal zu fördern. Mit einer geeigneten Behandlung lassen sich zum Beispiel die sprachlichen Fähigkeiten oder die Kommunikation mit anderen Menschen verbessern. Dabei gilt: Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser.

Für eine optimale Behandlung des Kanner-Syndroms arbeiten Fachleute aus verschiedenen Richtungen zusammen, darunter Pädagoginnen und Pädagogen, Psychiaterinnen und Psychiater sowie Psychologinnen und Psychologen.

Ziel der Therapie ist, das Kind ganz individuell auf verschiedenen Gebieten zu fördern. Dabei geht es zum Beispiel darum,

  • die sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern.
  • die Lernfähigkeit zu fördern.
  • soziale Fähigkeiten zu trainieren.
  • starre Verhaltensmuster abzubauen oder zu verändern.

Nicht zuletzt benötigen die Eltern und andere Angehörige Hilfestellung im Umgang mit der Erkrankung.

Diagnose Kanner-Syndrom: Unterstützung für Eltern

Was kommt auf uns zu? Wie kann ich mein Kind optimal unterstützen? Wo finde ich Hilfe? Eltern, deren Kind die Diagnose frühkindlicher Autismus erhalten hat, fühlen sich vor allem zu Beginn nicht selten überfordert.

Besonders wichtig ist es daher, sich Unterstützung zu holen. In der Regel kann die behandelnde Kinder- und Jugendpsychiaterin oder der Kinder- und Jugendpsychiater bereits entsprechende Anlaufstellen vermitteln.

Es gibt spezielle Einrichtungen, die sich auf die Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen wie dem frühkindlichen Autismus spezialisiert haben. Dazu zählen zum Beispiel Autismus-Therapiezentren, -ambulanzen oder Frühförderstellen.

Tipp: Informationen vom Bundesverband Autismus Deutschland
Adressen zu Autismus-Therapiezentren sowie weiterführende Informationen zum Thema Autismus erhalten Sie auf den Seiten des Bundesverbands Autismus Deutschland unter www.autismus.de.

Frühzeitige und intensive Therapie empfehlenswert

Kinder mit frühkindlichem Autismus sollten im Rahmen einer Frühförderung so bald wie möglich und sehr intensiv behandelt werden. Sie benötigen dabei vor allem klare Strukturen und einen geregelten Tagesablauf. Die Frühförderung kann bereits im Kleinkindalter einsetzen.

Zur Behandlung des Kanner-Syndroms gibt es spezielle Therapieprogramme. In diesen kommen vor allem Elemente aus der Verhaltenstherapie zum Einsatz. Wichtig ist, dass die Eltern zu Hause mit dem Kind weiter üben. Zusätzlich können weitere Therapieangebote nützlich sein, zum Beispiel eine Ergotherapie.

Im weiteren Verlauf können die Kinder häufig in speziellen Integrationskindergärten, -schulen oder anderen pädagogischen Einrichtungen gut unterstützt werden.

Wichtig zu wissen: Die meisten Menschen mit Kanner-Syndrom sind dauerhaft auf Hilfe angewiesen. Sie leben in der Regel auch als Erwachsene in ihrer Familie oder einer betreuten Wohnform.

Wann kommen Medikamente infrage?

Es gibt keine gesicherten Belege dafür, dass frühkindlicher Autismus mit Medikamenten behandelt werden kann. Eine medikamentöse Therapie kann jedoch nötig, wenn das Kind zusätzlich an einer Erkrankung leidet – etwa einer Epilepsie. Auch bei selbstverletzendem Verhalten oder starker Erregung wird die Ärztin oder der Arzt möglicherweise auf Medikamente zurückgreifen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Online-Informationen von AMBOSS: www.amboss.com (Stand: 12.10.2021)
  • Autismus-Spektrum-Störungen. Online-Informationen der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (Abrufdatum: 15.10.2021)
  • Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 2: Therapie. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 028/047 (Stand: 24.3.2021)
  • Gortner, L., Meyer, S.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2018
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2017
  • Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 1: Diagnostik. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 028/018 (Stand: 5.4.2016)
  • Möller, H., et al.: Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
  • Kerbl, R., et al.: Checkliste Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2015
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