Triage: So entscheiden Ărzte, wer gerettet wird â und wer nicht
Die Infektionszahlen sind weiterhin hoch und auf immer mehr Intensivstationen im Land gibt es kaum noch freie Betten. Was passiert, wenn man nicht mehr alle Covid-19-Patienten behandeln kann?
Die Corona-Infektionszahlen in Deutschland sind weiterhin auf einem hohen Niveau. Einige Kliniken stehen bereits kurz vor dem Ernstfall und bereiten sich darauf vor: Ărzte mĂŒssen die Ressourcen an die Covid-19-Erkrankten verteilen â nach dem System der Triage.
Was bedeutet Triage?
Unter Triage wird in der Notfall- und Katastrophenmedizin die Einteilung von Verletzten oder Erkrankten im Fall eines Massenaufkommens von Patienten verstanden. Die Entscheidung darĂŒber, wer behandelt wird, richtet sich dabei nach der Schwere der Infektion oder Krankheit.
"Triage" leitet sich von dem französischen Wort "trier" ab, das "sortieren" oder auch "aussortieren" bedeutet.
Das System kommt aus der MilitĂ€rmedizin. Ende des 18. Jahrhunderts fanden sich im "Königlich-PreuĂischen Feldlazareth-Reglement" erste Angaben, wie Verwundete nach Schweregraden eingeteilt werden sollten. Unter Napoleon I. entwickelte der MilitĂ€rchirurg Dominique Jean Larrey "fliegende Lazarette": Die Verwundeten wurden auf dem Schlachtfeld nach der Schwere ihrer Verletzungen sortiert und, wenn nötig, vor Ort behandelt. Der Begriff "Triage" wurde noch nicht verwendet, er setzte sich erst spĂ€ter durch.
Diese Kriterien gelten bislang in Deutschland
In Deutschland wird die Triage heutzutage in Notaufnahmen angewandt. Beim "Manchester Triage System" etwa wird der Patient innerhalb kĂŒrzester Zeit nach den folgenden Kategorien beurteilt:
- Lebensgefahr
- Bewusstsein
- Blutverlust
- Schmerzen
- Temperatur
- Krankheitsdauer
Entsprechend dieser EinschĂ€tzung wird er einer von fĂŒnf Dringlichkeitsstufen zugewiesen: sofort, sehr dringend, dringend, normal, nicht dringend. Diesen Gruppen wiederum sind maximale Wartezeiten zugeordnet, also die Zeitspanne, nach der ein Patient spĂ€testens Arztkontakt haben soll.
Allerdings geht man im Krankenhausalltag gewöhnlich davon aus, dass alle Patienten bestmöglich behandelt werden können. Doch bereits im FrĂŒhjahr 2020 hatte die Corona-Situation in Italien gezeigt: Ărzte mĂŒssen bei hohem Patientenaufkommen und wenigen IntensivplĂ€tzen entscheiden, wer beatmet wird und wer nicht.
"FĂŒr diesen Fall muss es allgemeingĂŒltige, transparente Kriterien fĂŒr die Triage geben", sagte Uwe Janssens, PrĂ€sident der Deutschen InterdisziplinĂ€ren Vereinigung fĂŒr Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) bereits zu Beginn der Pandemie.
Corona-Krise: Wer wird in Deutschland behandelt?
Ein Triage-Gesetz gibt es in Deutschland nicht. Es ist also nirgends explizit gesetzlich geregelt, wie Ărzte in Notfallsituation ĂŒber Leben und Tod entscheiden mĂŒssen. Sieben medizinische Fachgesellschaften â unter anderem die Divi â haben bereits im MĂ€rz 2020 entsprechende Handlungsempfehlungen fĂŒr die Triage in Corona-Zeiten erarbeitet. Die Leitlinien sollen die behandelnden Ărzte bei den schwierigen Entscheidungen unterstĂŒtzen.
In dem elfseitigen Dokument heiĂt es: "Wenn nicht mehr alle kritisch erkrankten Patienten auf die Intensivstation aufgenommen werden können, muss analog der Triage in der Katastrophenmedizin ĂŒber die Verteilung der begrenzt verfĂŒgbaren Ressourcen entschieden werden." So sei es "unausweichlich", eine Auswahl zu treffen, welche Patienten akut- oder intensiv-medizinisch behandelt werden "und welche nicht (oder nicht mehr)".
Die höhere Ăberlebenswahrscheinlichkeit entscheidet
Gibt es also mehrere Patienten in kritischem Zustand, aber nicht genĂŒgend Ressourcen, mĂŒssten Ărzte allein nach den klinischen Erfolgsaussichten entscheiden. Zum Beispiel: Wie ist der allgemeine Gesundheitsstatus? Welche Vorerkrankungen hat der Patient? Wie hoch ist der Sauerstoffgehalt im Blut? Es ist nach den deutschen Richtlinien nicht zulĂ€ssig, aufgrund des Alters oder sozialer Kriterien eine Entscheidung zu treffen.
Wie das Bundesverfassungsgericht am 28. Dezember urteilte, brauchen Menschen mit Behinderung einen besonderen Schutz bei der Triage. Vorausgegangen war eine Verfassungsbeschwerde von neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen. Sie befĂŒrchten, von Ărzten aufgegeben zu werden, wenn keine Vorgaben existieren. Das höchste deutsche Gericht gab ihnen nun recht. Mehr dazu lesen Sie hier.
Die Empfehlungen sprechen sich auĂerdem fĂŒr ein Mehr-Augen-Prinzip aus. Wenn möglich sollten zwei intensivmedizinisch erfahrene Ărzte gemeinsam mit einem Vertreter des Pflegepersonals und anderen Fachleuten beschlieĂen, welche Patienten welche Behandlung bekommen. Dabei dĂŒrfen Corona-Erkrankte auch nicht vor beispielsweise Krebs- oder Schlaganfall-Patienten bevorzugt werden.
Generell gilt in Deutschland immer die Regel: möglichst viele Menschenleben retten.